Cailee Spaeny über ihre Rolle als Priscilla Presley: «Während der Film-Premiere wäre ich fast ohnmächtig geworden»

Winzig wirkt sie live mit ihren 1.55 Metern. Aber unterschätzen sollte man sie nicht: Cailee Spaeny kann ganz grosses Kino. Regisseurin Sofia Coppola hat der Newcomerin aus Springfield, Missouri, gerade die Hauptrolle in ihrem neuen Film «Priscilla» anvertraut. Und Spaeny überzeugt auf der ganzen Linie: verblüfft als gelangweilte 14-Jährige im Deutschland der 1950er-Jahre, verzaubert als Elvis’ naive Vertraute, begeistert als Modeikone der 60er und bewegt uns als selbstbestimmte Frau, die in den 70ern ihren eigenen Weg wählt.

Das anspruchsvolle Festival von Venedig feierte das Biopic erst im Wettbewerb, dann verlieh es der bislang Unbekannten die Trophäe als beste Hauptdarstellerin. Wie sie Priscilla Beaulieu Presley aus dem Schatten des King of Rock’n’Roll herauswachsen lässt, voll sanfter Melancholie, machte klar: Die gehört ins Rampenlicht.

Bei der offiziellen Pressekonferenz am Lido punktete die 25-Jährige sofort. Mit Natürlichkeit. Als sie mit dem Mikro zu kämpfen hatte, entfuhr ihr: «Sorry, ich mache das zum ersten Mal!» Lachen, Applaus – und schon waren alle bezaubert. Bis zu «Priscilla» war die junge Schauspielerin nur in Nebenrollen zu sehen gewesen, in «Pacific Rim 2: Uprising», «Devs» oder «Mare of Easttown». Aber jetzt hat Cailee Spaeny sogar Oscarchancen.

Wir treffen die Schauspielerin im Garten einer venezianischen Villa. Im weissen Sommerkleid, mit Schneewittchenteint, zarten Sommersprossen, dunklem Pagenkopf und sichtlich aufgeregt, würde Cailee Spaeny noch immer als Teenie durchgehen.

annabelle: Cailee Spaeny, Sie rasen gerade von einer Premiere zur nächsten – und gemeint sind nicht nur Filmpremieren. Was passiert Ihnen gerade alles zum allerersten Mal?
Cailee Spaeny: Es stimmt, ich besuche zum ersten Mal ein Festival, sass zum ersten Mal in einer Pressekonferenz, gebe zum ersten Mal Interviews, sah den fertigen Film zum ersten Mal – und war zum allerersten Mal überhaupt in Venedig! Alles in wenigen Tagen. Und dann dieser Preis!

Sie gewannen auf dem ältesten Filmfest der Welt auf Anhieb den begehrten Coppa Volpi, einen riesigen Pokal. Wie erlebten Sie diesen Moment?
Ich war ja schon total geblendet, wie viele wunderbare Schauspieler:innen und Regisseur:innen dort im Saal sassen – allein nur im selben Raum wie Jessica Chastain, Maggie Gyllenhaal oder Jane Campion zu sitzen, fand ich cool. Aber dann zu gewinnen, das war schon ziemlich … wild! (lacht)

Und wie wurde gefeiert?
Erstmal musste ich zusehen, dass ich mein rasendes Herz wieder in den Griff bekam! (lacht) Danach genoss ich den Moment ausgiebig mit einer riesigen Portion Pasta und viel Rotwein. Mir war sehr bewusst, dass das ein seltener und wertvoller Augenblick ist.

Kommen wir zu «Priscilla». Was hat Sie an der Rolle der Frau, die den meisten ausschliesslich als Frau von Elvis Presley bekannt ist, so gereizt?
Erstmal Sofia Coppola. Sie ist die erste Regisseurin, die mich je komplett mit einem Film umgehauen hat. Als ich mit 14 ihren «The Virgin Suicides» sah, war ich völlig perplex, weil da jemand meine Traurigkeit und die Tiefe meiner Gefühle verstand, eben die Emotionen eines Teenies. Zum ersten Mal interessierte mich, wer da hinter der Kamera stand, und ich habe ihre Filmografie gründlich studiert. Das war das erste Mal, dass ich Film nicht nur als Unterhaltung verstand, sondern mich das Filmemachen faszinierte.

Für Ihre Rolle hätte sich halb Hollywood ein Bein ausgerissen. Hat Sie das Projekt nicht eingeschüchtert?
Natürlich, total! Ich bin ja in den Südstaaten aufgewachsen, bei uns ist Elvis bis heute ein Held. Auch meine Eltern waren schon immer grosse Fans. Als ich klein war, haben wir Graceland besucht. Elvis bedeutet uns viel. Darum war ich schockiert, als mir klar wurde, dass ich nie Priscillas Geschichte gehört hatte. Okay, ich kannte Fotos von ihren coolen Looks – aber ich ahnte nicht, was sie selbst erlebt und mitgemacht hatte.

Priscilla war 16, als sie von ihren Eltern, die auf der Armeebasis in Wiesbaden lebten, fort- und zu Elvis nach Graceland hinzog. Die Eltern waren offensichtlich überfordert, dass ein Megastar etwas von ihrer Tochter wollte. Trotzdem, aus heutiger Sicht ist das fast unvorstellbar.
Wir wollten Priscillas Story so erzählen, wie sie passiert ist und wie sie sie selbst in ihrer Biografie «Elvis und ich» geschildert hat. Sehr menschlich und sehr ehrlich, ohne Wertung. Meine Aufgabe war, ohne Urteil an die Sache heranzugehen.

Wie kühn wollten – und durften! – Sie sein, als Sie Priscilla Presley das erste Mal selbst trafen?
Ich war voller Ehrfurcht! Plötzlich sass ich einer Art amerikanischen Royalty beim Mittagessen gegenüber. Ich war so schüchtern, dass ich mich kaum traute, sie anzusehen oder etwas zu sagen. Bis sie nach einer gefühlten Ewigkeit ganz sanft fragte: «Möchten Sie mir auch Fragen stellen?» (lacht) Natürlich musste die Schauspielerin in mir ganz viel wissen. Priscilla war so offen und grosszügig.

Was haben Sie alles von Priscilla Presley erfahren wollen?
Eine Menge Details aus ihrem Leben. (lacht) Ich wollte ja ihr und ihrer Vergangenheit gerecht werden. Wir trafen uns ein paar Mal, und ich habe alles an ihr eingesogen, verinnerlicht. Sie hat sehr lange keine Interviews gegeben – nur ein kurzes, acht Jahre nach Elvis’ Tod.

Waren Sie auch eine Rebellin, als Sie ein Teenager waren?
Na ja, ich habe mit 13 die Schule abgebrochen. Ich schätze, das war meine Rebellion. Ich war ein merkwürdiges Kind, hatte schlechte Noten und fühlte mich nur an unserem Theater wohl. Ich blühte erst auf, als ich in die Kreativszene eintauchte, wenn ich sang oder auf der Bühne stand. Ich wusste sonst nichts mit mir anzufangen.

Wie kamen Sie von der Kleinstadtbühne in die grosse weite Filmwelt Hollywood?
Als klar war, dass Schule keine Option ist, tat ich alles, was man in Süd- Missouri überhaupt tun konnte: Ich jobbte in einem Freizeitpark, drehte Werbespots, sogar Unterrichtsfilme. Daraus habe ich ein kleines Demotape zusammengestellt. Mit dieser Präsentation überzeugte ich meine Eltern, mit mir nach Los Angeles zu ziehen.

Mit 14 waren Sie so durchsetzungsstark? Oder haben Sie extrem coole Eltern?
Beides. Ich weiss, wie es sich anfühlt, wenn man mit 14 Jahren eine so starke Überzeugung von seinem Leben hat – da war ich ein bisschen wie Priscilla. Vielleicht hatten meine Eltern auch Mitleid, weil ich in der Schule so schlecht war und sie sich fragten: «Was sollen wir mit diesem Kind machen?» Also nahmen wir unser Erspartes, fuhren nach L. A., wohnten bei Bekannten oder Leuten, die wir aus der Kirche kannten, und haben uns dort ein paar Monate durchgeschlagen. Gerade, als wir zurück wollten, wurde ich für meinen ersten Film gebucht.

Hatten Ihre Eltern denn etwas mit der Branche zu tun?
Nein. Aber meine Mutter würde sich wünschen, dass ich jetzt erzähle, dass sie im Theater mal die Hauptrolle in «Grease» gespielt hat, als Sandy. – So, Mom, erledigt!

Was hat es eigentlich mit Ihrem vokalreichen Namen auf sich?
Meine Eltern fanden, dass das gut passt. Spaeny kommt übrigens aus der Schweiz – aber das ist sehr lange her. Mein Ur-Ur-Grossvater war Schweizer, seine Frau Deutsche.

Ihre Geschichte hat das Zeug zur Hollywood- Mär: das Smalltown-Girl mit dem besonderen Namen, das Naturtalent, dem das Spielen zufliegt…
Nein, nein, «zufliegen» passt nicht. Ich finde das Spielen schon anstrengend, es ist fast schon eine Art Hassliebe. Was mich aber faszinierte, war das Arbeiten mit so aussergewöhnlichen Leuten. An Sets ist es ein bisschen wie im Zirkus, da gibt es Aussenseiter, Freaks und die, die «irgendwie» in diesem Job gelandet sind. Wir lieben die Kunst, aber sind alle ein bisschen komisch und einsam. Doch am Set wollen wir bei all unseren Verschrobenheiten dasselbe erreichen. Das finde ich jedes Mal wieder berührend.

Was für einen Führungsstil hat Sofia Coppola im Vergleich zu anderen Regisseur: innen?
Sie weiss genau, was sie will. Selbst im grössten Chaos bleibt sie souverän, gelassen und bescheiden. Sie gewinnt das Vertrauen der Crew ganz ohne laute Worte oder Marschbefehle. Einer ihrer Freunde sagte: «Sofia hat eine eiserne Hand, aber in einem Seidenhandschuh. » Das trifft es total. Allein ihre Anwesenheit ist beruhigend, obwohl ihr sicher immer eine Million Details und Probleme durch den Kopf gehen. Aber sie ist die Selbstbeherrschung in Person.

Sofia Coppola verriet, dass Kirsten Dunst Sie empfohlen hatte. Wie kams?
Wir beide standen in Alex Garlands «Civil War» vor der Kamera und kamen super klar. Kirsten gab mir das Gefühl, auf Augenhöhe zu sein. Da war nie eine Mauer oder Abstand, sie war immer herzlich. Als sie erfuhr, dass Sofia ihre Priscilla suchte, schrieb sie ihr ein SMS. Sofia castete mich, ich bekam die Zusage am letzten Drehtag. Ich raste schreiend zu Kirsten: «Ich hab’ die Rolle!» Da fing sie an zu weinen und umarmte mich.

Warum die Tränen?
Kirsten war 23, als sie in Sofias «Marie Antoinette» die Hauptrolle spielte, genau so alt wie ich bei «Priscilla». Ich glaube, für sie war es eine Art Übergabe, als hätte sie nun die Fackel an mich weitergereicht. Es war irgendwie bewegend.

Das klingt nach echter Sisterhood und Frauen-Solidarität. Sind Eifersüchteleien und Stutenbissigkeit in der Branche jetzt völlig out?
Ich glaube, dass die Besten Neid gar nicht kennen. Wenn man genau weiss, was man kann, hält man andere nicht zurück, sondern fördert sie. Ich bin für Kirsten eine aufstrebende Nachwuchsschauspielerin, und sie nahm mich unter ihre Fittiche, um mich zu beschützen.

Wann kam für Sie das Happy End, die Erleichterung, es geschafft zu haben?
Noch während der Premiere wäre ich fast ohnmächtig geworden. Dreimal habe ich versucht, dem Kinosessel zu entkommen, als ich mich in Grossaufnahme sah. Jacob Elordi hielt mich jedes Mal fest und raunte mir zu: «Ganz ruhig. Entspann dich. Bleib sitzen!» Es war surreal.

Aber irgendwann muss doch der Champagner geflossen sein!
Auf der Afterparty wollte Priscilla mit mir sprechen. Die Worte, die ich da hörte, bedeuten mir alles. Sie sagte: «Das war eine grossartige Leistung. Genau das war mein Leben. Als ich dich beobachtete, kam es mir vor, als würde ich alles nochmal erleben.» Ich war selig.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, mit wem würden Sie jetzt drehen?
Ich brauche erstmal zehn Jahre, um diese Sofia-Coppola-Sache zu verdauen! Wen ich aber sehr bewundere, sind Claire Denis, Robert Eggers oder Luca Guadagnino. Direkt nach «Priscilla » habe ich erst mal ein Alien gespielt. Ich wollte sehen, ob auch ein Action-Girl in mir steckt. Also tauschte ich die Highheels gegen einen Raumanzug.

Habe Sie eine Vision, wo Sie mal landen wollen?
Am liebsten bewege ich mich immer so weit wie möglich von der letzten Figur weg. Ich brauche den grösstmöglichen Kontrast, weil ich mich gerne selbst herausfordere. Eigentlich müsste ich jetzt Elvis spielen.

«Priscilla» ist im Kino zu sehen.