Die schöne Geschäftsführerin des Zurich Film Festival lässt sich nicht gern in die Karten blicken. Das hat uns neugierig gemacht... annabelle-Autorin Stefanie Rigutto wollte endlich schlau werden aus dem ehemaligen Model und hat Nadja Schildknecht um einen Termin gebeten.
Sie ist das Gesicht des Zurich Film Festival, erfolgreich, schön. Und wirkt trotz allem so seltsam temperiert. Wir wollten endlich schlau werden aus der Unternehmerin und haben um einen Termin gebeten.
Sie wolle nicht «einfach so» mitmachen bei diesem Porträt, hatte Nadja Schildknecht im Vorfeld verlauten lassen, sondern nur, wenn es dem Filmfestival etwas bringe. Das hatten wir befürchtet. Schliesslich bezeichnet sie den Anlass als ihr Baby. Auch gibt es auf Youtube ein Video, das einem ihre Entschlossenheit vor Augen führt: Sie brachte es geschickt fertig, das Festival in ein Interview einzuflechten, in dem es eigentlich um eine Spendenaktion zugunsten armer Kinder ging. Man kann ihr die Besessenheit nicht verübeln: Das Filmfestival war Nadja Schildknechts Ticket aus dem oberflächlichen Showbusiness in die intellektuelle Kulturszene. Als Model hat sie sich verpuppt, als Geschäftsführerin des Festivals ist sie geschlüpft.
Eine Metamorphose, wie sie die Medien lieben. Entsprechend viel wurde seit der Gründung des Filmfestivals 2005 über die 38-Jährige geschrieben. Wie sie gegen Vorurteile kämpfen musste, weil sie aus dem Modelgeschäft kommt. Wie sie die Skepsis der Zürcher Behörden entschärfte. Dass sie vom Filmfestival Locarno als Konkurrenz betrachtet wird. Wie die Kinobranche sie nicht ernst nahm. Wie ihr, so behauptet jedenfalls sie selbst, das Äussere bei den Sponsoren nichts genützt hat. Wie sie 16-stündige Arbeitstage bewältigt. Oder auch, dass sie für den kleinen Danny De Vito Ballerinas statt Pumps angezogen hat, um den Grössenunterschied (1.52 vs. 1.80) nicht noch dramatischer zu machen. Trotz all dieser Artikel will sich kein Gefühl für Nadja Schildknecht einstellen. Sie gleitet einem durch die Finger, wird nie richtig fassbar. Ob das Absicht ist?
Unseren Interviewtermin setzt sie in einem Monat an, vorher ist sie ausgebucht. Wir hätten sie gern in einem Café getroffen oder zum Mittagessen. Aber dazu hat sie keine Zeit. «Am besten bei uns im Büro», schlägt sie vor. Jänusodänn! Ihre Geschäftsräume liegen im noblen Kreis 2 in Zürich. Im Treppenhaus des Gebäudes wuchern Pflanzen, abgesehen davon wirkt alles klinisch, es riecht nach Arbeit. Ihre Sekretärin platziert uns in einem Sitzungszimmer mit USM-Haller-Möbel und einer Sicht, die über die Stadt bis zur ETH reicht. Nach zehn Minuten kommt Nadja Schildknecht herein – sie wirkt sehr dünn, fast zerbrechlich. Sie schüttelt der Journalistin die Hand und fragt, ob sie noch kurz ein Telefon machen dürfe, dann ist sie schon wieder weg. Sie vermittelt den Eindruck einer Vielbeschäftigten, scheint es fast zu zelebrieren, obwohl sie, darauf angesprochen, beteuert: «Ich will nicht so tun, als würde ich von Termin zu Termin hetzen. Aber ja, ich habe viel zu tun.»
Weitere fünf Minuten gewartet. Dann bittet sie einen in ihr Büro. Ein paar gerahmte Aufnahmen vom Festival stehen auf einem Regal, der Kartonschutz für die Ecken wurde noch nicht einmal abgenommen. Eine Schale mit Lindor-Kugeln, eine Orchidee, Plastikmäppli auf dem Tisch. Der einzige persönliche Gegenstand ist ihre Handtasche und ein aufgestellter Fotorahmen, Kategorie Familienporträt. Kaum haben wir uns an den Sitzungstisch gesetzt, klingelt bereits wieder ihr Telefon. «Darf ich kurz?»
Sie ist komplett ungeschminkt, trägt noch nicht einmal Puder. Sie wirkt etwas müde, ein leichter Schatten zeichnet sich unter den Augen ab. Manchmal, wenn sie angestrengt nachdenkt, hält sie sich die Hand an die Stirn. Die Haare sind zusammengebunden, scheinbar ohne Konzept. Sie trägt pinkfarbene Ballerinas, Jeans und eine luftige Bluse. «Bei diesem Job geht es nicht um Äusseres», sagt sie, die ihre ganzen Zwanziger im Modelbusiness verbracht hat. Einzig die Diamantringe an ihren Fingern verraten, dass nicht alles im Leben der Nadja Schildknecht so schlicht ist – ihr Partner ist niemand Geringerer als der Spitzenbanker Urs Rohner, der dieses Jahr zum Verwaltungsratspräsidenten der Credit Suisse gewählt wurde. Nadja Schildknecht hat ein breites Lachen, das ihr ebenmässiges Gebiss offenbart. Sie ist eine Strahlefrau, ohne ins Gekünstelte abzudriften, sie wirkt immer natürlich, auch für Galas brezelt sie sich kaum auf. Sie erwarte noch ein wichtiges Telefonat, kündigt sie an, da müsse sie leider rangehen.
Auf ihrer Website trennt sie ihr Leben klar in «Jetzige Tätigkeit», wozu das Filmfestival zählt, und «Bisherige Tätigkeit», worunter sie ihre Modeljobs oder die Moderation der «Supermodel»-Show auf 3+ auflistet. Man konnte überall lesen, dass sie nicht gern zu ihrer Vergangenheit Auskunft gibt. Ihr gutes Recht. Und Taktik. Nadja Schildknecht ist eine gewiefte PR-Frau, die den Fokus auf jene Dinge lenken will, die ihr nützen. Über ihre Zeit als Model zu reden, nützt ihr nichts. Zudem hat sie lange genug gegen Klischees angekämpft. Fast hat man das Gefühl, sie stelle ihr Äusseres als Bürde dar. Sie sagt: «Ich bereue meine Modeljahre nicht. Sie sind einer der Gründe, dass ich jetzt hier bin.» Als Model habe sie gelernt, sich durchzubeissen, hartnäckig zu bleiben und lange zu arbeiten. Dass gewisse Leute Vorurteile gegen ein ehemaliges Model hätten, sei verständlich, menschlich. Manchmal, gerade in den Anfängen des Festivals, sei es aber auch ein Vorteil gewesen. «Viele haben mich total unterschätzt.»
Sie ist ein richtiger Fuchtli, diese Nadja Schildknecht. Gestikuliert wild, kratzt sich am Kopf, macht die Faust, während die Sätze aus ihr herausplatzen. Sie ist eine unterhaltsame, amüsante Gesprächspartnerin, die oft und gern lacht. Nur bei persönlichen oder heiklen Themen – etwa der Frage nach ihrer Kindheit, nach der Verhaftung ihres Stargasts Roman Polanski oder nach dem «wichtigen Telefon», das sie erwartet – legt sich ein Vorhang über ihr Gesicht, die Antworten kommen in einem anderen Tonfall, wirken kalkuliert, fast verschlossen. Auch das Gestikulieren lässt sie in diesen Momenten bleiben; sie legt die Hände in den Schoss, wie man es wohl in Medientrainings lernt. Man möchte nachhaken – und lässt es doch bleiben. Ihr Blick sagt freundlich, aber bestimmt: Thema beendet.
Anhand der Videos, die von ihr im Internet zu finden sind (Schildknecht: «Ah, würkli, gibts welche?»), hatte man einen viel weniger spontanen, weniger emotionalen, weniger energischen Menschen erwartet. Wenn sie an den Events des Filmfestivals Interviews gibt, wirkt sie zwar charmant, aber immer sehr temperiert. «Auf dem roten Teppich bin ich nervös und eher scheu», sagt sie. Man nimmt es ihr fast nicht ab – einer Frau, die über zehn Jahre als Model für Armani und Dior gearbeitet hat. Manchmal aber sind ihre Bemerkungen auch von überraschender Offenheit, ohne hochgestochenes Geschwurbel, dafür mit viel gesundem Menschenverstand, sodass sie einem wieder richtig sympathisch wird. So antwortete sie auf die Frage einer TV-Journalistin, woher sie ihre starken Nerven nehme: «Mängisch sind die gar nicht so stark. Man muss sich einfach zusammenreissen.»
Sie hat Humor, was man aus der Distanz nicht erwarten würde. Ihre Ausführungen über all die Tätigkeiten, die sie für das Filmfestival erledigt, schliesst sie mit «… am Ende des Tages hat man alles unter Kontrolle. Oder auch nicht.» Pause. «Aber ich eher schon.» Lauter Lacher. Ein gesundes Selbstbewusstsein muss sein, nicht wahr? «So selbstbewusst bin ich gar nicht», widerspricht sie, «aber auf jeden Fall diszipliniert und ambitioniert.» Man müsse sorgfältig arbeiten, sonst komme man in die Bredouille, schliesslich geht es beim Filmfestival um hohe Beträge. Als ausgefuchste Geschäftsfrau sieht sie sich dennoch nicht. «Das sagt man mir immer nach. Aber bin ich das wirklich? Vielleicht schon.» Immerhin habe sie schon als Kind in ihrem Dorf Lose verkauft – «mit Gewinngarantie!». Sie glaube an das, was sie tue, habe ein vernetztes Denken, viele Ideen und einen «enormen Willen». Bestimmt sei sie eine geschickte Verhandlungspartnerin, fährt sie fort. Dass die diesjährige Ausgabe des Filmfestivals ihren Schlussabend im Zürcher Opernhaus feiert («Das ist genial!»), kann sie ihrem Verhandlungstalent zuschreiben. Wie auch die Erfüllung ihres lang gehegten Traumes: Das Festivalzentrum mit Lounges, einem Shop und einer Kunstausstellung steht neu auf dem Sechseläutenplatz.
Ob sie eigentlich alle Filme anschaue, die eingereicht werden? «Jesses Maria», ruft sie, «dafür habe ich nun wirklich keine Zeit. Da würden 24 Stunden am Tag nicht reichen, das wären etwa 3000 Filme.» Es gebe einen strukturierten Ablauf mit Vorauswahl, Selektionsteam und Sichtungsgremium. Erst in die Endauswahl sei sie involviert. Nadja Schildknecht ist nicht nur das Gesicht des Festivals, sie ist als Geschäftsführerin für die Finanzen («mit Zahlen und Geld konnte ich schon immer umgehen»), das Marketing, PR, Sponsoring und die Events zuständig, ebenso entscheidet sie mit dem künstlerischen Leiter Karl Spoerri über strategische Belange. Erneut klingelt ihr Handy. «Chan ich dir zrugglüte?» Es sei immer schwierig, fährt sie fort, den Leuten zu erklären, was sie den ganzen Tag mache. Sie zählt auf: fast 40 000 Zuschauer, über 200 Stars, 80 Sponsoren, etwa 70 Filme, 50 Apéros, 10 Partys und 3 Galas. «Wenn ich das aufführe, verstehen die Leute, warum ich von morgens bis abends voll beschäftigt bin.»
So konkret sind ihre Aussagen nicht immer. Auf die Frage, was sie am Festival verbessern wolle, ruft sie: «Ach!» und meint, da gebe es tausend Sachen. Erkundigt man sich nach ihrer Bilanz der vergangenen Festivals, sagt sie, sie könne kein Resümee ziehen, man laufe einfach vorwärts und habe klare Ziele. Auch bei der Frage nach ihren Filmvorlieben bleibt sie vage. «Mhmhm», macht sie lange und sagt dann, das sei eine schwierige Frage, sie müsse sich da mal was zurechtlegen. Sie möge aber, schiebt sie schliesslich nach, bewegende Geschichten, emotionale Filme, Werke, von denen sie etwas lernen könne. Und Dokumentarfilme. Bei welchem Film hat sie zuletzt von Herzen gelacht? Der Name komme ihr nicht mehr in den Sinn, sagt sie zerknirscht. Sie sei so schlecht mit solchen Sachen! Das Handy erlöst Nadja Schildknecht von der lästigen Fragerei. «Aaaaahh, das ist es jetzt», ruft sie, nimmt ab und verschwindet nach draussen – das wichtige Telefonat, das sie erwartet hat.
Ein paar Wochen später wird sie die Antworten zu ihren Lieblingsfilmen per Mail nachreichen: «Pulp Fiction» von Quentin Tarantino (Schildknecht: «eine brillante schwarze Komödie mit einer einzigartigen Bildsprache»), «Dersu Uzala» von Akiro Kurosawa («ein episches Meisterwerk über das Aufeinandertreffen zweier Kulturen mit betörenden Naturbildern») sowie «The English Patient» von Anthony Minghella («eine herausragende Literaturverfilmung und vermutlich der aufwühlendste Liebesfilm seit ‹Casablanca›»).
Strahlend kommt sie in ihr Büro zurück. Ist das Gespräch gut gelaufen? «Ja», antwortet sie nur. Nun will man sie aber doch noch zu einem klaren Statement herausfordern und versucht
es damit: Jüngst bekannten einige Akademikerinnen in einem Zeitungsartikel, dass sie lieber zuhause bei ihren Kindern bleiben, statt als Anwältin oder Ärztin Karriere zu machen. Wie stehen Sie als berufstätige Mutter zum Thema Kinder und Karriere, Nadja Schildknecht? «Das ist eine persönliche Entscheidung. Es gibt kein Richtig und Falsch.» Bitte nicht diese Unentschlossenheit, denkt man, bevor sie weiterfährt und konkreter wird: «Ich will auch nicht, dass mir jemand sagt: Warum hast du einen Sohn in die Welt gesetzt, du verbringst viel zu wenig Zeit mit ihm? Ich bewundere die Frauen, die nur Mami sein können, die den Job völlig vergessen. Ich finde das konsequent und super – aber für mich wär das nicht richtig, obwohl ich meinen Sohn über alles liebe.» Zudem wisse sie ihren Leon in sehr guten Händen, «das Grossmami und die Nanny unterstützen mich». Sie sei sich bewusst, fährt sie fort, dass ihre Wahl ein Privileg sei: «Viele haben nicht die Möglichkeit zu entscheiden.»
Nadja Schildknecht schützt ihr Privatleben gewaltig, es gibt kein Foto mit ihrem Kind oder ihrem Lebenspartner Urs Rohner, dem CS-Verwaltungsratspräsidenten, der für sie seine langjährige Ehe mit drei Kindern aufgab. Als Nadja Schildknecht noch mit Ivo Sacchi, dem Chef des Labels Universal Music Schweiz, liiert war, hielt sie ihr Privates nicht so verborgen. «Wenn man in der Showbranche arbeitet, ist das etwas anderes», sagt sie. Es sei nicht so, dass sie ihr Privatleben «sooooo waaaaahnsinnig geheim und wichtig» finde, «aber wir haben einfach für uns entschieden, dass es nicht in der Öffentlichkeit stattfinden soll». Sie sehe sich auch nicht als öffentliche Person (was sie natürlich trotzdem ist, sonst gäbe es nicht all die Artikel über sie).
Sie ist ein Mensch, der gern die Kontrolle behält. Ein Mensch auch, der Zeit braucht, um sich an neue Situationen zu gewöhnen. Erst wenn sie spürt, dass sich die Dinge in ihrem Sinn entwickeln, kann sie sich entspannen. Jedenfalls taut sie gegen Schluss des Interviews richtig auf (oder ist es nur die Vorfreude, die Journalistin bald los zu sein?), will gar nicht mehr aufhören zu reden, schwatzt sogar noch weiter, als man längst ins Treppenhaus getreten ist. Jetzt, so hat man das Gefühl, könnte man sich mit ihr in ein Café setzen und über Gott und die Welt plaudern. Doch Nadja Schildknecht lässt bloss ein lautes «Tschaaau!» von sich hören und schliesst behutsam die Tür.
Nadja Schildknecht (38) wuchs in Langnau am Albis ZH auf, absolvierte das KV, gewann mit 20 Jahren den Wettbewerb «Gesicht des Jahres» und arbeitete über zehn Jahre als Model, unter anderem für Giorgio Armani und Laura Biagiotti. Sie moderierte bei MTV und 3+ («Supermodels») und gründete 2005 mit zwei Partnern das Zurich Film Festival. Nadja Schildknecht ist mit CS-Verwaltungsratspräsident Urs Rohner liiert. Die beiden haben einen gemeinsamen dreijährigen Sohn.
www.nadja-schildknecht.ch