Kultur
Art Basel: Eine Begegnung mit der neuen Direktorin Maike Cruse
- Text: Ulf Lippitz
- Bild: Pati Grabowicz
Sie hatte eigentlich nie einen Plan, sagt Maike Cruse. Nun sitzt die Deutsche als Direktorin der Art Basel auf dem Chefinnensessel der wichtigsten Kunstmesse weltweit.
Im feinen «Les Trois Rois» am Basler Rheinufer tut sich Unerhörtes. Schick gekleidete Paare sitzen in Ledersesseln – und eine blonde Frau robbt auf dem Boden des Fünfsternehotels herum. Sie sucht nach einer Steckdose, schlägt das Hilfsangebot des etwas pikierten Kellners aus («Ach, das schaffe ich schon»), kriecht unter einen Tisch und stöpselt das Handy ein.
Die Frau ist Maike Cruse, Direktorin der Messe Art Basel und damit eine der wichtigsten Player:innen im globalen Kunstbetrieb. Trotzdem packt sie Dinge am liebsten selbst an. Kein Dienstwagen, kein eigenes Büro, keine Allüren.
Vor dieser Nahbarkeit strecken Beobachter:innen regelmässig ihre Kugelschreiberbewehrten Waffen. Die «Zeit» attestiert der 48-jährigen Deutschen «Streetwiseness». Die Argusaugen der «Basler Zeitung» finden sie «völlig unprätentiös», und die «NZZ» hat gleich zum Antritt von Maike Cruse erklärt, wie «herzlich und entgegenkommend» sie wirke.
Bald ein Jahr ist sie nun im Amt. Und in wenigen Wochen ist es so weit: Erstmals verantwortet sie das bekannteste Galerientreffen der Welt, gegründet 1970 und spezialisiert auf Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. Die Crème de la Crème der Kunstszene versammelt sich Mitte Juni in Basel und blickt gespannt auf den Premierenanlass der etablierten Kunstmanagerin Maike Cruse.
Denn die Erwartungen des Verwaltungsrats und wohl auch der Öffentlichkeit sind ebenso hoch wie herausfordernd: Im hart umkämpften Kunstmessen-Markt soll sie die herausragende Position der Art Basel stärken.
Von Nervosität ist nichts zu spüren. Sollte sie vorhanden sein, versteckt sie diese hinter einem deftigen Lachen, voller Lebenslust und ehrlicher Freude, für das Maike Cruse in der Branche bekannt ist. In grasgrünem Pullover und blauer Cordhose sitzt sie auf der Couch des «Les Trois Rois», weisse Sneakers an den Füssen und eine knallbunte Handykette um den Hals, gestaltet von der Berliner Schmuckdesignerin Ina Seifart.
Cruse ist soeben entlang der Clarastrasse gelaufen, eine etwas heruntergerockte Einkaufsmeile, die sich mitten durch Basel zieht. Sie hat auf die leerstehenden Kaufhäuser hingewiesen und nannte das, worin andere Zeichen des Verfalls erkennen, «urban». Am Ende des Spaziergangs blickte sie in den Eingang einer abgeschlossenen Tiefgarage und sagte: «Hier wäre doch Platz für eine tolle Ausstellung.»
Tatsächlich wird die Clarastrasse anlässlich der diesjährigen Art Basel künstlerisch bespielt – Parcours, die übliche Begleitveranstaltung der Messe mit Open-Air-Kunst, findet in diesem rauen Ambiente statt. Früher plante man sie jeweils auf dem Münsterplatz, eher staatstragend rund um die sauber renovierten Häuschen und die Kirche aus rotem Sandstein.
«Ein Bühnenbild» nennt Maike Cruse das pittoreske Postkartensujet und will lieber dorthin, wo sich aktuelle Fragen auftun, eben an die Clarastrasse: «Die Innenstädte verändern sich, der stationäre Handel befindet sich seit Corona und Onlinehandel im Wandel.» Darauf wolle sie mit den Installationen und Arbeiten reagieren.
Maike Cruse schwärmt, wie sie in Basel auf jede verrückte Idee grundsätzlich ein «überhaupt kein Problem» bekommt. Ein Weizenfeld auf dem Messeplatz, gestaltet von der ungarischen Land-Art-Veteranin Agnes Denes? «Das schaffen wir.» «Solche Projekte im Berliner Stadtraum umzusetzen, war etwas komplizierter», sagt Cruse.
Berlin ist wichtig in ihrem Leben. Dort hat sie die ersten Karriereschritte gewagt und später für Furore gesorgt. Dorthin pendelt sie, weil ihre Familie da wohnt, mehr möchte sie dazu nicht sagen, ihre Privatsphäre sei bitte zu respektieren. Und dort erzählt sie einige Tage später in der «Joseph-Roth-Diele», einem unspektakulär gemütlichen Lokal mit rotweiss karierten Tischtüchern, von ihrem Werdegang.
«Während der Messe haben meine Eltern den Kinderwagen hinter mir hergeschoben»
Aufgewachsen ist Maike Cruse in Bielefeld, 300’000 Einwohner:innen, Hauptsitz des Nahrungsmittelkonzerns Dr. Oetker und in Deutschland ein Synonym für gepflegte Langeweile. In London studierte sie Ende der 1990er-Jahre Kunst, besuchte alternative Projekträume und wurde zu ihrer härtesten Kritikerin: «Ich fand meine eigenen Werke einfach nicht gut genug.»
Doch mit Künstler:innen wollte sie weiter zu tun haben. Sie war fasziniert, wie diese das Leben interpretierten. Nach dem Studium stürzte sie sich in die Berliner Szene, wo man oft wenig Geld, aber viel Raum hatte. Die Stadt galt damals als Petrischale der zeitgenössischen Kunst, in der man sich durchwurstelte.
«Das schaffen wir schon», die daraus sprechende Zuversicht entwickelte sich damals zur Devise von Maike Cruses Leben. In ihrem Kalender standen später dann gleichrangig Kindergeburtstage neben Sponsorenessen. Als sie vor einigen Jahren am Eröffnungsdinner einer Berliner Kunstmesse teilnahm, sass die Nanny im Nebenraum und rief an, wenn ihre kleine Tochter aufwachte. «Und während der Messe haben meine Eltern den Kinderwagen hinter mir hergeschoben.»
Heute nimmt sie ihre zwei Kinder auf Vernissagen mit und lockt sie mit dem Versprechen: «Es gibt auch einen Film.» Was bedeutet: Ein Videokünstler bespielt einen dunklen Raum im Hinterzimmer.
Während sie Spätzle isst, erinnert sie sich an ihre Anfänge im Kunstbetrieb. Wie sie 2001 bei der Berliner Underground-Bude namens Kunstwerke vorsprach, im Gebäude einer ehemaligen Margarinenfabrik, wo Stars wie Matthew Barney genauso wie junge mexikanische Kunstschaffende ausstellen durften.
«Das beste Programm, aber stark unterfinanziert.» Ihr Vorstellungsgespräch für das Praktikum bestand aus zwei Fragen: Kannst du Englisch? Kannst du morgen anfangen? Der Job war in der Tasche.
Die Arbeit dort – ein ständiges Improvisationstheater am Rande der Existenzangst. Geringe Bezahlung, viel Verantwortung. Der spätere Saint-Laurent-Designer Hedi Slimane wohnte eine Weile in einer der Atelierwohnungen und zeigte seine Fotografien. Die isländische Sängerin Björk wollte nach ihrem Berliner Konzert eine Aftershowparty in den Räumen feiern und Praktikantin Cruse musste dafür kurzfristig DJs und die richtigen Gäste besorgen.
Es gab Flaschenbier aus Supermarktkästen. «Mich hat immer meine Liebe zur Kunst angetrieben», sagt sie. Das Abenteuer drumherum klingt im Nachhinein wie ein Bonus.
Danach ging es aufwärts. Sie war für die Berlin Biennale tätig, im Sommer 2008 hat sie das bahnbrechende Projekt Forgotten Bar mitinitiiert, einen Off-Space mit täglich wechselndem Kunstprogramm, und übernahm 2011 die Leitung der Kunstmesse Art Berlin Contemporary, aus der die Art Berlin hervorging. Ausserdem stand sie ab 2014 dem Gallery Weekend vor, der Leistungsschau der Berliner Galeristen.
Instinktiv alles richtig gemacht. So könnte man das Leben von Maike Cruse zusammenfassen. «Ich hatte nie einen Plan», sagt sie und erschrickt gleich ein bisschen. Weil es nach Zufälligkeit klingt, gar nicht nach Fleiss und Hartnäckigkeit. Doch genau dieses Immer-dran-Bleiben hat sie letztendlich auf den Chefsessel der Art Basel katapultiert.
Zurück in der Bar des Basler «Trois Rois». Cruse schwärmt von der lokalen Kunstszene. Diese habe sich in den vergangenen Jahren stark verjüngt und vergrössert. Die weltwichtigste Galerie, Gagosian aus New York, hat nun einen Verkaufsraum gleich neben dem «Les Trois Rois» eröffnet. Sie vertritt Kaliber wie Damien Hirst oder Cindy Sherman. Junge Galerist:innen wie Dominik Müller zeigen aufregende Kunst, und die Kunsthochschule sei «ziemlich international und divers», sagt Cruse.
Nicht, dass sie viel Musse findet, ständig neue Kunsträume zu begutachten. Jeden Morgen steht Maike Cruse um sieben Uhr auf, holt sich einen Cappuccino to go in der Bäckerei Kult, geht die sieben Minuten zu Fuss zu ihrem Büro im Basler Messeturm, setzt sich an einen freien Schreibtisch im Grossraumbüro und verschafft sich einen Überblick über die Termine, die das Team in ihren Kalender eingepflegt hat.
Sie ist dabei, wenn es um die Vergaben für die begehrte Messe geht, um die filmischen Einspieler in der VIP-Lounge oder um die Speisekarte fürs Messe-eigene Restaurant. Dieses Jahr will sie alles mitmachen, lernen, abspeichern.
Dazwischen trifft sie Kuratierende, Galerist:innen, Kunstschaffende oder die Stadtoberen. Regelmässig muss sie ins Ausland, um den Standort Basel zu repräsentieren. «Ich bin eigentlich eine Moderatorin zwischen sehr vielen Leuten», sagt sie. Nachts um zehn ist sie meist zu Hause, in dem kleinen Häuschen, fünf Minuten vom Rhein entfernt, in dem sie so gerne schwimmen geht.
Bisweilen gab es Befürchtungen, dass die Schweizer Veranstaltung demnächst dichtmacht, weil es seit ein paar Jahren einen Ableger in Paris gibt. «Keine unserer Messen ist so breit aufgestellt, hier laufen die wichtigsten Geschäfte», entgegnet Maike Cruse. «Warum sollten wir sie einstellen? Das ist komplett aus der Luft gegriffen.»
In erster Linie ist die Art Basel natürlich eine Verkaufsplattform. Das soll, bitte schön, auch so bleiben. «Weil die Geschäfte gut laufen, wollen die Galerien dabei sein», erklärt die Chefin. «Diese bringen ihre besten Arbeiten mit – wegen derer die grössten Sammler:innen kommen. Das ist der Kreislauf, der nicht unterbrochen werden darf.»
Mehr als 250 Galerien aus aller Welt präsentieren im Juni ihre Top-Kunstschaffenden. Noch mehr Kunsthändler: innen haben sich wie jedes Jahr um einen Stand bemüht. Früher stapelten sich die Bewerbungsmappen meterhoch auf den Tischen, durch die sich dann die Auswahlkommission kämpfte, erinnert sich Maike Cruse. Heute geht alles digital. Wie viele tatsächlich in die Messehalle wollten? Das verrät die Art Basel nicht.
Das Bier in der Bar des «Trois Rois» ist ausgetrunken. Nach dem Gespräch will Maike Cruse noch zeigen, dass Basel als internationale Kunstmetropole nicht nur eine Fiktion für eine Woche pro Jahr ist, sondern ganzjährig prosperierend. Vor kurzem hat die Berliner Galerie Contemporary Fine Arts Räume in der Innenstadt bezogen, ein paar Treppenstufen hoch, im Totengässlein. Die örtliche Direktorin Katharina Hajek erwartet sie mit einer Tasse Kaffee in der Tür.
Maike Cruse fällt ein, dass der von dieser Galerie vertretene Maler Norbert Schwontkowski ein Bild der Forgotten Bar gemalt haben soll – jenem legendären Berliner Ausstellungsprojekt, das sie einen Sommer lang führte. Katharina Hajek schaut in ihrem Computer nach. «Da ist es.» Maike Cruse blickt auf den Bildschirm, auf einen ockerfarbenen Himmel und eine halbvergrabene riesige Gitarre im Boden. Über dem Schallloch des Instruments steht der Schriftzug der Bar. Für einen kurzen Moment ist sie ergriffen. Sie hat Spuren in der Kunst hinterlassen. Auch deshalb, weil sie selbst mitangepackt hat.
«Warum sollten wir die Art Basel einstellen? Das ist komplett aus der Luft gegriffen»
Als Cruse 2004 das erste Mal die Art Basel besuchte, fremdelte sie mit der Messe. «Ich habe mir den Kunstmarkt wie eine Ausstellung angesehen, über viele hochkarätige Werke gestaunt, aber das System des Marktes habe ich wenig durchschaut», erinnert sie sich. Gemälde gegen Geld, Kunst und Kommerz, das passte in ihrer Auffassung nicht zusammen.
Umso überraschter war sie, als ihr 2008 der Job als Communications Managerin für die Art Basel angeboten wurde, den sie für drei Jahre innehatte. Sie war sich zuerst gar nicht sicher, ob Galerien ihrer Ansicht nach auf der richtigen Seite der Kunstwelt standen. Doch nach und nach liess sie sich von ihrer Rolle als Vermittlerinnen zwischen Kunstschaffenden und Öffentlichkeit überzeugen – sowie von ihrer Notwendigkeit, um nachhaltig Künstler:innen-Karrieren aufzubauen.
Frühere Direktoren der Art Basel haben grosse Spuren hinterlassen: Sam Keller hat die Messe in die USA, nach Miami, gebracht, Marc Spiegler nach Hongkong, Noah Horowitz trieb die Diversifizierung voran. Horowitz steht dem Unternehmen nun als Global Director vor und installierte Messeleitungen für jeden Standort. Maike Cruse sitzt auf dem neugeschaffenen Posten in Basel. Was soll ihr Erbe werden? «Dass die Art in Basel die führende Messe der Welt bleibt», sagt sie wie aus der Pistole geschossen.