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Andra Day als Billie Holiday: «Ich hatte erst wahnsinnige Widerstände, diese Rolle zu spielen»
- Text: Mathias Heybrock
- Bild: Matt Sayles/Invision/AP/Keystone
Billie Holidays legendärer Song «Strange Fruit» thematisierte die Lynchjustiz an Schwarzen. Nun setzt ihm der Kinofilm «The United States vs. Billie Holiday» ein Denkmal. In der Hauptrolle: Die Oscar-nominierte Sängerin Andra Day.
Billie Holiday kommt zu einem Interview, müde, erschöpft, von der Sucht gezeichnet. Die ältere weisse Radiojournalistin, die sich so auf diesen Moment gefreut hat, bekommt nicht wirklich mit, wie es um ihren Gast steht. «Ms. Holiday», beginnt sie ihr Gespräch mit der Jazz- und Blueslegende, «was ist das für ein Gefühl, eine schwarze Frau in den USA zu sein?» Holiday seufzt und verdreht die Augen. Mit dieser Szene beginnt der Film «The United States vs. Billie Holiday».
«Die Frage der Journalistin ist so gross, dass sie geradezu lächerlich wirkt», sagt Andra Day. Die 36-jährige US-Soulsängerin veröffentlichte 2015 ihr erstes Album – und gibt hier ein beeindruckendes Schauspieldebüt. Sie kriecht förmlich in die Rolle der Billie Holiday hinein, füllt sie bis in die letzte Pore. Sogar ihren eigenen, zuweilen stark tremolierenden Gesangsstil hat Day gegen die einfachere, ergreifende Eleganz von Holiday eingetauscht.
FBI wollte Holiday zum Schweigen zu bringen
Der sehenswerte Film «The United States vs. Billie Holiday» basiert auf einem präzis recherchierten Sachbuch, das schildert, wie das FBI über Jahrzehnte versuchte, Billie Holiday als politische Stimme zum Schweigen zu bringen. Mitte der 1930er-Jahre, Holiday ist da schon sehr populär und wird auch vom weissen Publikum gefeiert, bittet der – schwarze – Page eines vornehmen New Yorker Hotels die Sängerin inständig, den Lastenaufzug zu nehmen anstelle des Lifts, der Weissen vorbehalten ist. Panik liegt in seiner Stimme. Sollte Holiday sich widersetzen, fürchtet er, entlassen zu werden – oder Schlimmeres. Denn im Süden der USA ist Lynchjustiz noch immer gang und gäbe.
Für Schwarze reicht es schon, sich «unbotmässig» zu verhalten – oder einfach zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Billie Holiday weiss ein Lied davon zu singen: «Strange Fruit», über die «seltsame und bittere Ernte», die im Süden an den Bäumen hängt – die Leichen schwarzer Amerikaner. Ihre klare, helle, direkt ins Nervenzentrum der Zuhörer vordringende Stimme ist dabei ohne Wut. Bei manchen Textpassagen jedoch bricht sie, und dann stellen sich einem die Nackenhaare auf.
Das FBI will Billie Holiday verbieten, das Lied zu singen, aus Angst, es könnte Proteste auslösen und Forderungen nach Gleichbehandlung befeuern. Doch weil sich die Sängerin weigert, sucht der Chef der Behörde nach einer Möglichkeit, sie zu kriminalisieren – und findet sie in Holidays Drogensucht. Ein Agent wird darauf angesetzt, ihr den Besitz von Heroin nachzuweisen.
«Wie sollte ich einer Rolle gerecht werden, die so viel Tiefe verlangt?»
«Ich hatte erst wahnsinnige Widerstände, diese Rolle zu spielen», erinnert sich Andra Day. «Ich war voller Angst, denn ich bin ja gar keine Schauspielerin. Wie sollte ich einer Rolle gerecht werden, die so viel Tiefe verlangt?» Andererseits ist Andra Day, bürgerlich Cassandra Monique Batie, von Kindesbeinen an ein riesiger Billie-Holiday-Fan. Schon ihr Künstlername bezeugt die Verehrung: «Ich liebe es, dass Billie Holiday ihren Saxofonisten Lester Young zärtlich ‹Prez› – Präsident – nannte und er sie hochachtungsvoll ‹Lady Day›. Darauf beziehe ich mich.» Und so überwand sie sich trotzdem dazu, bei Regisseur Lee Daniels zum Casting anzutraben. Was er sah, gefiel ihm. «Ich musste mir die Haare abschneiden, begann zu rauchen und zu trinken, drehte gewalttätige Sexszenen – lauter Dinge, die in meinem Leben sonst nicht vorkommen», erzählt Day. «Ich musste mich emotional mit Holiday verbinden, ihre Beweggründe verstehen: Warum nahm sie Heroin, warum drückte sich ihre Sucht auf diese Weise aus?»
Nachdem Holiday vom FBI wegen Heroinbesitzes festgenommen und zu einer Haftstrafe verurteilt wird, beschliesst sie, clean zu werden. Sie drückt jede Zigarette aus, die sie sich bei Gesangsproben gedankenverloren ansteckt. Sie verzichtet auf harten Alkohol als ständigen Begleiter, will auch vom Heroin endlich loskommen. Doch, nach einem Wortgefecht mit ihrem Manager, schaut der sie lang an und meint leise: «Du bist wieder high».
«Natürlich ist sie high»
«Natürlich ist sie high», sagt Andra Day. «Wie könnte sie es nicht sein? Ihr Leben war ein einziges Trauma.» Holidays Mutter war Prostituierte, Billie wuchs im Bordell auf. Sie wurde vergewaltigt, kam mit 14 Jahren das erste Mal ins Gefängnis, weil sie sich einer weiteren Vergewaltigung widersetzte.
«Wie hätte sie mit diesem biografischen Hintergrund ‹Strange Fruit› singen und die gesamte Staatsmacht gegen sich aufbringen können, ohne etwas zu haben, das ihr den Schmerz nahm?», sagt Andra Day. Dass Holiday ihren Kampf dennoch fortsetzte, nennt Andra Day «heroisch». Zeit ihres Lebens kam sie nicht von Alkohol und Drogen los. 1959 starb sie elend an Leberzirrhose, mit 44 Jahren. Die Polizei stand an ihrem Sterbebett, um sie noch ein letztes Mal wegen Drogenbesitzes zu verhaften; diesmal kam sie zu spät. Doch die Kraft von «Strange Fruit» war nicht mehr aufzuhalten: Der Song wurde zu einer Hymne für die Bürgerrechtsbewegung, die sich in den 1960er- Jahren formierte.
Damals sang ihn unter anderem Nina Simone, heute gehört er auch zu Andra Days Repertoire. Die Soulsängerin ist sich noch nicht sicher, ob sie nun auch eine Schauspielerin ist. «Ich weiss nur, dass ich es in diesem Film war.»
Ab 27. 5. im Kino: «The United States vs. Billie Holiday» von Lee Daniels. Mit Andra Day, die an der Inaugurationsfeier von Joe Biden ihren Song «Rise Up» performte und nun für einen Oscar nominiert ist. Der Filmsoundtrack ist bereits erhältlich.