Kinderwunsch
Lage in der Schweiz: Qualität und begrenzte Möglichkeiten
- Text: Anastasia Sorvacheva; Bild: Shutterstock
Die Schweiz ist ein Land mit einem der fortschrittlichsten medizinischen und sozialen Systeme der Welt. Von diesem System profitieren – mit wenigen Ausnahmen – fast alle Bevölkerungsgruppen. Die Menschen, die mit dem Problem der ungewollten Kinderlosigkeit konfrontiert sind, bilden eine dieser Ausnahmegruppen. Wenn sie keine Kinder auf natürlichem Weg haben können, müssen sie oft einen langen, sehr kostspieligen und schwierigen Weg bewältigen.
Nach Angaben des Bundesamtes für Statistik ist jedes sechste Paar in der Schweiz ungewollt kinderlos. Gemäss Bundesamt für Statistik (BFS) wurden in der Schweiz in den letzten Jahren, jährlich circa 6000 verheiratete Frauen mit medizinisch unterstützen Fortpflanzungsmethoden behandelt. Etwas mehr als 2000 davon bringen Kinder zur Welt.
Die Statistiken des Bundes beinhalten nur die Behandlungen in der Schweiz. Es ist nicht bekannt, wie viele Frauen zur Behandlung in andere Länder reisen, aber diese Zahl könnte hoch sein. Fachleute schätzen, dass jährlich um die 1000 Frauen/Paare sein könnten. Ebenfalls unbekannt ist, wie viele davon bereits einen Fehlversuch in der Schweiz hatten oder den Erstversuch im Ausland angehen.
Weltgesundheitsorganisation: Infertilität als eine Krankheit
Laut Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird die Diagnose Infertilität/Sterilität gestellt, wenn bei einem Paar entgegen seinem expliziten Willen nach mehr als zwölf Monaten trotz regelmässigem, ungeschütztem Sexualverkehr keine Schwangerschaft eintritt. Schon im Jahr 1967 wurde die ungewollte Kinderlosigkeit durch die Scientific Group on the Epidemiology of Infertility der WHO als Krankheit anerkannt.
Im September 2020 bestätigte es die WHO nochmals explizit als Krankheit und wies auf die bedauerliche Situation der Kinderwunsch Behandlung in vielen Ländern der Welt hin: «Die Fruchtbarkeitspflege umfasst die Prävention, Diagnose und Behandlung von Unfruchtbarkeit. Ein gleichberechtigter und gerechter Zugang zur Fruchtbarkeitsversorgung bildet in den meisten Ländern ein Problem, insbesondere in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Fruchtbarkeitspflege wird in nationalen Leistungspaketen für die allgemeine Krankenversicherung selten priorisiert.»
Kinderlose Paare müssen in der Schweiz fast alle Behandlungen aus eigener Tasche bezahlen. Die Krankenkassen übernehmen nur die erste Diagnostik der Unfruchtbarkeit, die Hormontherapie für die Dauer von zwölf Monaten und maximal drei Sperma-Inseminationen. Für diese Kassenleistungen gibt es aber Altersbegrenzungen: Nach Erreichen des 40. Altersjahres müssen die Patientinnen in der Schweiz in der Regel auch diese Behandlung selbst bezahlen.
Schätzungsweise um die 90 Mio Franken pro Jahr
Die künstliche Befruchtung mit allen dazugehörenden Medikamenten ist generell kostenintensiv. Je nach Art der Behandlung, der Anzahl Versuche (Zyklen) und der gewählten Klinik, kann das zudem stark variieren. Eine In-vitro-Fertilisation kann in der Schweiz, je nach Institut, ab 8000 Franken pro Zyklus kosten. Umfasst ein «Paket» auch das Einfrieren und den Kryotransfer von verbleibenden befruchteten Eizellen, kann es zusätzlich etwa 2000 Franken ausmachen. Kommt noch ICSI dazu, liegen die Kosten nochmals höher. Oft sind zwei, drei oder mehr Zyklen bis zur Schwangerschaft nötig. Kosten von 20’000 Franken sind also nicht selten. Experten schätzen die jährlichen Umsätze der schweizerischen Kinderwunsch Behandlungen um die 90 Mio. Franken.
Erfolgsraten differenziert vergleichen
Geht es aber um die Erfolgsraten von Kinderwunsch Behandlungen, ist es gar nicht so einfach, Vergleiche anzustellen. Was ist ein Erfolg: Empfängnis, Schwangerschaft, Geburt eines lebendigen Kindes? Was ist die Rate: Je nach Altersgruppe? Nach Vorerkrankungen? Es gibt nicht einfach nur eine Erfolgsrate. Eine differenzierte Betrachtung ist unabdingbar. Hier ein Beispiel einer Kinderwunsch Klinik im europäischen Ausland – Erfolgsraten in den Jahren 2018 und 2019:
Viele Statistiken dokumentieren also neben dem Zeitraum der Erhebung, die unterschiedlichen Methoden (in der Schweiz ist die Eizell- und Embryonenspende verboten), das Alter der kinderwünschenden Frau, der Nachweis der Schwangerschaft (bsp. ca. zwei Wochen nach dem Transfer) und schlussendlich die Lebendgeburten. Neben dem Alter der Frau ist ebenso die Fertilitätshistorie (auch ihres Partners) ein massgeblicher Einflussfaktor auf die Schwangerschaftschance. Diese Durchschnittswerte bieten immerhin eine gewisse Einschätzung des Erwartbaren.
Die schriftliche Einschätzung ist wichtig
Kinderwünschende sollten sich daher von der Klinik – aufgrund der Untersuchungsergebnisse und in Einbezug der jeweiligen Fertilitätshistorie – eine schriftliche Einschätzung zur der voraussichtlichen Erfolgswahrscheinlichkeit geben zu lassen. Basierend auf der empfohlenen Art der Behandlung (inkl. Medikamente) und der vermuteten Anzahl Zyklen, die es benötigen kann. Damit sind ebenfalls wichtige Grundlagen für die Schätzung der Gesamtkosten gegeben.
Eine akribische Abklärung, welche die passende Klinik ist, macht Sinn und auch ein Blick über die Grenzen kann eine Option sein. Sofern die Ursache der Kinderlosigkeit nicht mit einer der in der Schweiz angewandten Methoden zu behandeln oder die finanzielle Belastung für Wunscheltern mit mehreren Versuchen nicht (mehr) tragbar ist, stellen die spezialisierten Kliniken im Ausland eine Alternative dar. So oder so, am Ende entscheidet das Gefühl.
Fragen an den Kinderwunsch Spezialisten
Wir haben bei Dr. med. Mischa Schneider, ärztlicher Leiter des Kinderwunschzentrum Bade,n nachgefragt.
Herr Dr. Schneider, wie war die Entwicklung der assistierten Reproduktion in Schweiz?
Dr. med. Mischa Schneider: Das Fortpflanzungsmedizingesetz trat am 01. Januar 2001 in der Schweiz in Kraft und ermöglichte sterilen Paaren den Zugang zur assistierten Reproduktion. Das Gesetz war damals ein wichtiger Schritt, da bis dahin kantonal ganz unterschiedliche Regelungen galten. Das Gesetz erlaubte damals aber nur, maximal drei befruchtete Eizellen weiterzuentwickeln und verbot das Einfrieren von Embryonen. Dadurch kamen die Kinderwunschzentren in die Zwickmühle. Einerseits konnten mehrere Embryonen zurückgegeben werden, was gute Schwangerschaftszahlen aber auch ein erhöhtes Risiko von Mehrlingen ergab. Andererseits mussten überzählige Embryonen vernichtet werden, was moralisch schwer zu akzeptieren war. Daher sehen wir im enuen Fortpflanzungsmedizingesetz, das seit dem 01. September 2017 in Kraft ist, einen grossen Schritt zu einer besseren Qualität bei gleichzeitig weniger Risiken. Neu sind das Einfrieren von Embryonen und die Präimplantationsdiagnostik erlaubt und eingefrorene Zellen dürfen während 10 Jahren kryokonserviert werden.
Welche Behandlungsmethoden sind generell sehr gefragt?
Dr. med. Mischa Schneider: Alle Behandlungsmethoden sind sehr gefragt, wobei die klassische In-Vitro-Fertilisation mit oder ohne ICSI sicher am wichtigsten ist. In letzter Zeit sind Sonderformen wie die IVF-Naturelle häufiger nachgefragt worden. Wir sehen hier einen Trend zu einem Vorgehen “näher an der Natur” mit weniger Nebenwirkungen und besserer Verträglichkeit. Auf der anderen Seite des Spektrums ist das social freezing, also das Einfrieren von Eizellen, damit die Erfüllung des Kinderwunsches auf später verschoben werden kann, in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus gerückt.
Gibt es in naher Zukunft mögliche Änderungen beim Schweizer Reproduktionsgesetz?
Dr. med. Mischa Schneider: Diese Möglichkeit besteht. Der Nationalrat hat im März 2019 einen Vorstoss zur Legalisierung der Eizellenspende zurückgewiesen. Damals wurde vergeblich argumentiert, dass die Samenspende zugelassen sei und die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen aufgehoben werden sollte. Der Bundesrat wollte aber vorgängig die Auswirkungen des neuen Fortpflanzungsmedizingesetzes abwarten. In einem Rechtsgutachten für das Bundesamt für Gesundheit wird darauf hingewiesen, dass das Verbot der Eizellspende aufzuheben sei.
Wie viele Menschen werden jährlich in der Schweiz behandelt und wie viele davon sind ausländische Reproduktionskunden?
Dr. med. Mischa Schneider: In der Schweiz lassen sich jedes Jahr um die 6’000 Paare mit einer assistierten Reproduktion behandeln. Der Anteil der Schweizer Paare ist dabei jeweils grösser als 90%. Nur im Kanton Tessin sind die Paare aus dem Ausland (fast ausschliesslich aus Italien) eine wesentliche Gruppe. Die grenznahen Regionen vor allem im Raum Basel und Genf haben sicher auch einen gewissen Anteil ausländischer Paare, aber die Mehrheit stammt aus der Schweiz.
Aus welchen Herkunftsländern kommen diese Kunden mehrheitlich? Und mit welchem Beziehungsstatus?
Dr. med. Mischa Schneider: Bei den Kunden aus dem Ausland handelt es sich in der Regel um Personen aus Nachbarstaaten, also Deutschalnd, Frankreich und Italien. Paare aus Österreich sind eine Seltenheit, da diese Kunden vor allem in der österreichischen Grenzregion in Feldkirch und Bregenz gute Behandlungsmöglichkeiten finden. Es handelt sich bei den Patientinnen und Patienten aus dem Ausland fast ausschliesslich um heterosexuelle Paare, da die assistierte Reproduktion in der Schweiz nur diesen Paaren offen steht.
Was sind die wichtigsten Vorteile, wenn man die Behandlung in der Schweiz macht?
Dr. med. Mischa Schneider: Mit dem neuen Fortpflanzungsmedizingesetz wurde den Schweizer Kinderwunschzentren die Möglichkeit eröffnet, mit modernsten Methoden die bisher schon guten Behandlungserfolge nochmals zu verbessern. Gleichzeitig sinken die Risiken, da sich der sogenannte single Embryo-Transfer durchsetzt. Daher bieten die hiesigen Kliniken individuelle Therapien an, die sich mit den Resultaten der besten Kliniken in Europa vergleichen lassen. Allerdings bleiben andere Behandlungen wie die Eizellspende in der Schweiz weiterhin verboten.
Interviewpartner:
Kinderwunschzentrum Baden
Dr. med. Mischa Schneider
Partner Content: Dieser Artikel wurde von kinderwunschinfo.ch publiziert