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Kinderwunsch-Mythen im Check

Kinderwunsch

Kinderwunsch-Mythen im Check

  • Text: Dr. med. Florian Götze; Bild: Getty Images

Hartnäckige Gerüchte zum Thema Kinderwunsch verunsichern betroffene Paare. Die endlose Fülle an Informationen im Internet macht die Sache nicht gerade einfacher. Der Gynäkologe Dr. med. Florian Götze räumt mit den häufigsten Mythen der Reproduktionsmedizin auf.

Täglich werden wir in der Kinderwunsch-Klinik mit den unterschiedlichsten Ängsten und Befürchtungen unserer Patientinnen konfrontiert. Nicht zuletzt die ungefilterte und häufig unkontrollierte Informationsflut im Internet macht es betroffenen Paaren nicht immer leicht, korrekte Informationen zu beziehen.

In der Folge gehen wir auf sogenannte Mythen der Reproduktionsmedizin ein, das heisst auf immer wieder gehörte Vermutungen, Ängste und Sorgen.

1. «Nach einer Kinderwunsch-Behandlungen bekomme ich doch Zwillinge»

Die Wahrscheinlichkeit, dass im Rahmen einer In-Vitro-Fertilisation Zwillinge entstehen, liegt bei der Übertragung von zwei Embryonen bei ca. 22–25 %. Wenn ein Transfer von zwei Embryonen höchster Qualität (Blastozysten) durchgeführt wurde, kommt es in 35 % der Fälle zu Zwillingen. Man kann das Risiko durch die gezielte Übertragung von nur einem Embryo (Elective Single Embryo Transfer, eSET) fast vollständig verhindern.

Das gleiche gilt für die einfache hormonelle Stimulationsbehandlung im Rahmen einer Inseminationstherapie: Bei einem Wachstum von mehr als zwei Follikeln steigt das absolute Zwillingsrisiko von 0,3 % auf 2,8 % an. Das bedeutet, dass die Furcht vor Mehrlingen heute niemanden mehr von einer Kinderwunschbehandlung abhalten sollte, da der Arzt die Therapie mit den individuellen Patientenwünschen abstimmen kann.

Abgesehen von den (schicksalhaften, jedoch bei IVF minimal häufiger eintretenden) eineiigen Zwillingen, kann man zweieiige Zwillinge heutzutage mit grosser Sicherheit vermeiden, wenn dies bevorzugt wird. (Referenz: ESHRE Good Clinical Treatment in ART)

2. «Ich muss nur loslassen, dann klappt es mit der Erfüllung des Kinderwunsches von ganz allein»

Tatsächlich kommt es nach Beendigung der aktiven Kinderwunschbehandlung mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 0,23 – 0,29 % pro Monat zu einer spontanen Schwangerschaft. Verglichen mit den Schwangerschaftsraten durch hocheffektive Behandlungen wie die In-Vitro-Fertilisation fallen diese Zahlen aber weit ab.

Daher stellt diese Option auf keinen Fall eine seriös kalkulierbare Strategie dar, wenn die Behandlungsoptionen noch nicht ausgeschöpft und der Kinderwunsch noch nicht bewusst verlassen wurde. (Osmanagaoglu 2002 und Jaques et al. 2010).

3. «Durch eine Hormontherapie werden die Eierstöcke ausgequetscht wie eine Zitrone und dauerhaft geschädigt»

Repräsentative Studien (zum Beispiel in einem Studienkollektiv mit über 300 teilnehmenden Frauen) konnten belegen, dass auch wiederholte Zyklen einer hochdosierten IVF-Stimulation keinerlei Einschränkung der Eierstockreserve verursachten.

So zeigte sich auch bei Frauen nach sieben IVF-Zyklen keine Abnahme der Anzahl an gewonnenen Eizellen. Diese wurden lediglich und massgeblich durch den Faktor Alter beeinflusst. (de Boer EJ et al. 2004)

4. «Ich habe bei meinem Arzt die Eizellen im Ultraschall gesehen»

Was im Ultraschall darstellbar ist, nennt man Follikel (oder Eibläschen). Dies sind flüssigkeitsgefüllte Strukturen, die jeweils eine Eizelle beinhalten.

Der Follikel wächst im Verlauf eines Monats zu einer genügenden (reifen) Grösse heran, bis es zu einem Eisprung kommt. Dabei wird die winzig kleine Eizelle aus dem Eibläschen freigesetzt und kann in der Folge befruchtet werden.

5. «Kinderlosigkeit ist ein persönliches Schicksal, eine Kinderwunsch-Therapie eine Lifestyle-Behandlung»

Rund 15 % aller Paare sind vom Thema Kinderlosigkeit betroffen, somit zirka jedes 7. Paar. Seit 1967 ist die ungewollte Kinderlosigkeit als eigenständiges Erkrankungsbild durch die WHO (Weltgesundheitsorganisation) anerkannt. Die UN deklariert zudem die Familiengründung als Menschenrecht.

Die Grundversicherung deckt hierzulande die allermeisten medizinischen Abklärungen und konservative (nicht-IVF-assoziierte) Kinderwunschbehandlungen wie zum Beispiel Hormonstimulationen und drei Inseminationen bis zum 40. Lebensjahr.

6. «Die Pille macht dauerhaft unfruchtbar»

Patientinnen mit Zyklusunregelmässigkeiten profitieren in jungen Jahren durch eine Einnahme der sogenannten Anti-Baby-Pille, da durch sie eine Normalisierung der Zyklusstörungen stattfinden und Hormonstörungen elegant behoben werden können.

Nach dem Absetzen kommt es in der Regel lediglich zu einem Rückfall in die alten, vor der Pilleneinnahme vorherrschenden Zyklusmuster. Gelegentlich findet sich in den ersten Zyklen eine vorübergehende Verlängerung der Zyklen, wobei diese viel weniger ausgeprägt ist, als nach der Verwendung anderer Verhütungsmittel wie der Dreimonatsspritze oder dem Implanon. Insofern beeinträchtigt die Pille die Fruchtbarkeit dauerhaft ebenso wenig, wie sie sie konservieren kann.

7. «Erhöhung der Temperatur im Hoden reduziert die Spermienqualität»

Der Wahrheitsgehalt dieser Behauptung ist (wenn überhaupt) gering. Es heisst: Männer, die sich zusammen mit ihrer Partnerin ein Kind wünschen, sollten zu heisse Whirlpools, häufiges Saunieren, Sitzheizung im Auto etc. meiden.

Eine Studie zeigte bereits vor Jahren keinerlei Auswirkungen durch dauerhaft (ganzjährig) konstant erhöhte Temperaturen am Hoden. Ein massvoller Umgang mit den genannten Situationen kann sinnvoll sein. Hysterie in Bezug auf derartig harmlose Details ist aber fehl am Platz.

8. «Meine grösste Angst ist, dass der Spezialist mir sagen wird, dass ich niemals Kinder bekommen kann»

Eine solche absolute Aussage ist sehr selten und häufig mit Vorsicht zu interpretieren, sofern sie nicht von einem ausgewiesenen Spezialisten kommt. Heutzutage werden Begriffe wie Unfruchtbarkeit (Sterilität) eher vermieden und stattdessen der Begriff Subfertilität vorgezogen. Dadurch wird erkennbar, dass eine vollständige Zeugungsunmöglichkeit eher die Ausnahme darstellt.

Gute epidemiologische Daten zeigen, dass bei der Mehrheit der Paare ein erfolgreicher Abschluss der Kinderwunschtherapie erzielt werden kann. Dies bedeutet, dass bei > 70 % aller Paare eine Schwangerschaft mit Geburt eines gesunden Kindes möglich ist.

9. «Ich hab ja noch genug Zeit für die Familienplanung, ich bin ja erst 35»

Der wichtigste und aussagekräftigste «Test» vor einer IVF-Behandlung ist der Blick auf das Alter einer Frau. Tatsächlich nimmt die Schwangerschaftsrate bereits ab dem 35. Lebensjahr kontinuierlich ab und reduziert sich ab zirka dem 40. Lebensjahr dramatisch mit jedem weiteren Jahr.

Die Fachgesellschaften raten daher beim Ausbleiben einer Schwangerschaft ab dem 35. Lebensjahr bereits nach 6 Monaten ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ab dem 40. Lebensjahr sollte dies bereits unmittelbar ab neuem Kinderwunsch erfolgen, um keinerlei Zeit zu verlieren.

10. «Eine künstliche Befruchtung (IVF) löst alle möglichen Probleme in kürzester Zeit und effizient»

Bei Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch kann die In-Vitro-Fertilisation (IVF) im besten Fall Schwangerschaftsraten bis über 40 % pro Monat erzielen und stellt somit in den meisten Fällen die erfolgreichste Therapieoption in allen Alterskategorien dar. Der Vorteil der IVF gegenüber anderen, konservativen Behandlungsmethoden wird mit zunehmendem Alter jedoch immer geringer.

Im Prinzip ist die spontane Schwangerschaftsrate bei gesunden und jungen Frauen diejenige, an der sich alle Behandlungen messen lassen müssen: 25–35 % kann diese im Idealfall betragen. (fivnat Jahresstatistik CH, SART Jahresstatistik USA)

11. «Einer von beiden Partnern ist immer schuld an der Kinderlosigkeit»

Unterschiedliche Statistiken zeigen, dass bei rund einem Drittel der Fälle beide Partner gleichzeitig Anteil an der Kinderlosigkeit haben. Andere Studien konnten zeigen, dass scheinbar unterschwellige und unbedeutende Einschränkungen auf Seiten eines Partners plötzlich doch relevant werden, wenn vordergründig leichte Sterilitätseinschränkungen auf Seiten des anderen Partners hinzukommen.

Das Fazit lautet daher: Es geht wie so häufig um ein gutes Teamwork, um zum Erfolg zu kommen.

12. «Folsäuretabletten reichen aus, wenn ich sie ab positivem Schwangerschaftstest einnehme»

Folsäure spielt bei allen Zellneubildungs- bzw. Zellteilungsprozessen im menschlichen Körper eine wichtige Rolle. Während der Schwangerschaft kann ein Mangel an Folsäure unter anderem zu sogenannten Neuralrohr-Defekten beim Kind führen. Diese Struktur verschliesst sich bereits in der vierten Woche der Schwangerschaft und damit zu dem Zeitpunkt, an dem viele Frauen erst feststellen, dass sie schwanger sind.

Daher wird die prophylaktische Einnahme von Folsäure blind vor Eintreten der Schwangerschaft empfohlen. Daneben werden auch Herzfehler, Harnwegsdefekte sowie die Lippen-Kiefer-Gaumenspalten mit einem Folsäure-Mangel während der Embryonalentwicklung in Verbindung gebracht. Eine Folsäure-Prophylaxe kann das Risiko für Neuralrohr-Defekte daher um etwa 70 % senken. Überprüfen Sie Ihre Zufuhr und achten Sie auf die empfohlene Dosierung: mind. 400 μg Folsäure oder 0,4 mg.

13. «Der „Mittelschmerz“ definiert exakt den Zeitpunkt der Ovulation»

Stimmt nicht. Der Mittelschmerz beginnt gemäss Untersuchungen sehr häufig bereits einige Tage vor dem eigentlichen Eisprung und kann unter Umständen einige Tage andauern.

14. «Der Transfer von einem Embryo ergibt immer eine Einlings-Schwangerschaft»

Das ist falsch. Es gibt noch die monozygote Teilung, also eineiige Zwillinge und die sind tatsächlich sogar statistisch etwas häufiger nach IVF als nach normaler Befruchtung. Ursache hierfür ist wahrscheinlich die Manipulation der Embryonen im Labor, die in der Folge häufiger zu einer Teilung führt.

15. «Der Transfer von einem Embryo im Auftauzyklus ergibt immer eineiige Zwillinge»

Das ist falsch. Es kann dabei auch noch parallel zu einem Eisprung mit Entstehen einer zweiten, spontanen Schwangerschaft kommen. Eine kürzlich vorgestellte Studie zeigte, dass nicht wenige Gemini- Schwangerschaften nach Auftauzyklus tatsächlich zweieiig sind.

16. «Ein intrauteriner Embryotransfer bei IVF kann nicht zu einer Eileiter-Schwangerschaft führen, da die Embryonen ja am korrekten Ort platziert wurden»

Das ist falsch. Es ist in der Tat nach IVF, im Vergleich zu spontan konzipierten Schwangerschaften, sogar statistisch etwas häufiger der Fall, dass eine Eileiter-Schwangerschaft entsteht. Ursache ist vermutlich die Manipulation im Rahmen des Embryotransfers

17. «Eine Bettruhe nach dem Embryotransfer erhöht die Schwangerschaftwahrscheinlichkeit»

Das ist falsch. In den Anfangsjahren der IVF wurde Patienten noch über Wochen hospitalisiert. Dies ist glücklicherweise nicht mehr der Fall. Aktuelle Studien zeigen: Nach IUI und IVF ist die Erfolgsrate identisch – unabhängig, ob mit oder ohne Bettruhe.

18. «Stress reduziert die Fruchtbarkeit der Frau»

Das stimmt nur bedingt. Im natürlichen Zyklus ist es tatsächlich so, dass Stress die Fruchtbarkeit reduziert. Es ergeben sich fliessende Übergänge von qualitativ schlechten Eisprüngen bis hin zum gänzlichen Ausbleiben der Eisprünge. Das Gegenteil ist aber der Fall, wenn eine IVF oder Stimulationen +/- IUI unternommen wird. Studien haben gezeigt, dass vor dem Transfer extrem gestresste Patienten eine identische Erfolgsquote hatten wie relaxte Frauen. Fazit: Stress ohne ärztliche Fertilitätsbegleitung ist kontraproduktiv, unter einer Behandlung ist er unangenehm und belastend aber nicht unbedingt negativ, was das Schwangerschaftspotential angeht.

19. «Es reicht, wenn man das Rauchen erst bei einem positiven Schwangerschaftstest einstellt»

Das ist falsch. Es ist klar erwiesen, dass das Nikotin die Fertilität beeinträchtigt.

20. Funny fact: Eine Pariser Studie hat gezeigt, dass ein Glas Champagner vor dem Transfer Kontraktionen in der Gebärmutter reduziert und diese somit ein Stück weit beruhigt.

Nicht zur Nachahmung empfohlen…

21. «Nach dem Embryotransfer sollte man zuhause bleiben und Ferien nehmen für eine Woche»

Das ist falsch. Gängige Empfehlungen, auch der psychosomatischen Kollegen lauten, dass man möglichst normal weiterleben sollte. Zu lange zuhause bleiben heisst das Risiko zu erhöhen, dass einem die Decke auf den Kopf fällt und man sich gedanklich zu sehr auf den vergangenen Transfer etc. fixiert. Besser ist es, sich durch den normalen Alltag abzulenken.

22. «Einmal IVF, immer IVF»

Das ist falsch. Nicht selten benötigten Paare eine IVF für Kind und für das nächste Baby klappt es dann spontan. Wer kennt sie nicht, diese Geschichten.

23. «Ich sehe nicht aus wie 38, sagen die Leute. Auch treibe ich viel Sport und esse gesund und fühle mich noch genauso leistungsfähig wie damals mit 30. Daher habe ich bestimmt auch noch gute Chancen auf eine Schwangerschaft und kann warten mit Kinderkriegen»

Das ist klar falsch. Zwischen 35 und 40 Jahren halbiert sich die Fruchtbarkeit und nach 40 nimmt sie dramatisch weiter ab. Gesunde Ernährung, Sport und ein «gutes Gefühl» ändern daran (üblicherweise) leider nichts.

24. «Wenn man einen Termin in einem Kinderwunschzentrum vereinbart, ist eine IVF bereits vorprogrammiert»

Das ist falsch. Grundsätzlich erfolgt eine Standortbestimmung, bei welcher die objektiven Fakten (Untersuchungen wie Ultraschall, Blutwerte, Spermien), das Alter und die individuellen Wünsche des Paars in Betracht gezogen werden. Manchmal kann man bereits durch das Einstellen z.B. eines Hormonwertes das Problem lösen. In anderen Fällen reicht es, das Timing zu optimieren und manchmal kann ein operativer Eingriff anatomische Probleme beheben und massgeblich zum Erfolg beitragen. Ein gutes Kinderwunschzentrum wird zudem pro Jahr eine ähnlich hohe Anzahl an Inseminationen durchführen, wie künstliche Befruchtungen. Und damit den Patienten auf Wunsch und sofern medizinisch vertretbar, die Chance geben, mit verhältnismässig einfachen (und günstigen) Methoden schwanger werden zu können.

25. «Man muss immer ein Jahr warten, bevor man einen Arzt wegen dem Kinderwunsch konsultieren sollte»

Das ist falsch. Das gilt nur, wenn keine augenscheinlichen Probleme vorliegen wie unregelmässige Zyklen, frühere Erkrankungen oder OP, Schmerzen im Unterleib, Hormonstörungen, ausbleibender Eisprung (gemäss Eisprungtest). Und das Alter ist mitentscheidend. Wir empfehlen ab 35 Jahren die Abklärungen bereits nach 6 Monaten zu machen. Kinderwünschenden ab 40 Jahren raten wir die Untersuchungen umgehend durchzuführen, um keine kostbare Zeit zu verlieren.