Wie fit bin ich wirklich?
- Text: Helene AecherliFoto: Getty Images
Schneller fit dank sportmedizinischer Leistungsdiagnose? Wir habens getestet. Ausserdem: neue Trainingsmethoden, Fitnesstipps fürs perfekte Workout und die aktuelle Sportmode in frischen Farben.
Eine Leistungsdiagnostik zeigt auf, welches Training das individuell Richtige ist. Drei Frauen haben sich auf Herz und Ausdauer testen lassen.
Fitness ist grundsätzlich keine einfache Sache, und wenn es darum geht, den eigenen Fitnesszustand einzuschätzen, kann es manchmal sogar ziemlich knifflig werden: Da geht man zwar fleissig joggen, walken, Velo fahren oder ins Yoga, rennt mühelos aufs Tram und schleppt mit gestähltem Bizeps Babys oder schwere Taschen, und dennoch: «Seit einigen Wochen bin ich erschöpft. Ich fühle mich, als hätte ich gerade eine schwere Grippe überlebt und sei noch nicht wieder in die Gänge gekommen», sagt Julia Hofer. Der Grund: Ihre zweijährige Tochter schläft noch nicht durch. «Ich fühle mich unfit, wenn ich nicht regelmässig trainieren kann», so Sabine Trieloff. «Ich erlebe immer wieder Kate-Beckinsale- und Kate-Moss-Tage», sagt Christina Duss. «An manchen könnte ich es mit einer Armee von Werwölfen aufnehmen. An anderen hechle ich wie nach einer langen Partynacht durch den Tag. Ich komme damit eigentlich gut klar, wundere mich manchmal aber schon, was diese Schwankungen zu bedeuten haben.»
annabelle-Redaktorin Christina Duss (30) macht Yoga, fährt ab und zu mit dem Velo zur Arbeit und raucht zehn Zigaretten pro Tag. Ihre Kollegin Julia Hofer (40) hat zwei kleine Kinder und hat vor zwei Monaten mit Walken angefangen. Sabine Trieloff (49), Kommunikationsberaterin und Profisprecherin, trainiert im Hinblick auf ihren nächsten Triathlon dreimal pro Woche Kraft und Ausdauer und geht zudem ins Ballett. Die drei Frauen haben sich für annabelle auf das Abenteuer eingelassen, der Wie-fit-bin-ich-wirklich-Frage auf den Grund zu gehen – und sich dafür an der Schulthess-Klinik in Zürich einer ausführlichen Leistungsdiagnose unterzogen.
Hinter dem Begriff Leistungsdiagnostik steckt ein Fächer von ausgeklügelten Testverfahren, anhand derer der individuelle Leistungsstand ermittelt wird. Die Methode wird vor allem bei Hochleistungssportlern eingesetzt, bei Ruderern, Handballern oder Läufern, um Trainingsgewohnheiten zu analysieren und die Vorbereitungen für die Wettkampfsaison zu optimieren. Zudem spielt die Leistungsdiagnostik eine wichtige Rolle in der Rehabilitation und dient immer öfter auch als Orientierungshilfe für gesundheitsbewusste Frauen und Männer «aus dem Breitensport», wie es im Expertenjargon so schön heisst. «Die Leute wollen herausfinden, wie es um ihre Kondition steht», erklärt Kerstin Warnke, Chefärztin der Sportmedizin an der Schulthess-Klinik. «Sie fragen sich: Was schaffe ich? Wo will ich hin? Wie erreiche ich mein Fitnessziel? Trainiere ich effizient? Oder: Ist es für mich überhaupt ungefährlich, nach jahrelangem Nichtstun wieder mit Sport anzufangen?»
Patienten, die sich zur Evaluation der eigenen Fitness einer Leistungsdiagnose unterziehen, würden deshalb erst mal auf Herz, Lunge und Nieren geprüft, um medizinische Risiken bei einem sportlichen Neu- oder Wiederbeginn auszuschliessen. Zu diesem Basis-Check gehören ein Bluttest, bei Frauen wird auch der Eisenspeicher bestimmt, zudem ein EKG, die Aufnahme der Krankengeschichte sowie eine gründliche körperliche Untersuchung mit Kontrolle der inneren Organe, der Wirbelsäule, der Symmetrie der Beine, der Beweglichkeit der Schultergelenke, der Knie, Menisken und Kreuzbänder. «So sehen wir, ob gewisse Sportarten vermieden werden sollten, und versuchen je nachdem, Alternativen aufzuzeigen», sagt Kerstin Warnke. «Kann jemand etwa das Knie nicht mehr gut bewegen oder hat einmal einen Bandscheibenvorfall erlitten, ist Joggen nicht die beste aller möglichen Sportarten. Bei Hüftproblemen raten wir von starken Stop-and-go-Belastungen ab, wie etwa Tennis auf Hartboden. Eine leidenschaftliche Tennisspielerin ermuntern wir, stattdessen auf Sandboden zu spielen. Der verursacht meist keine Probleme.»
Dreh- und Angelpunkt jeder Leistungsdiagnose ist der Laktatstufentest. Laktat, auch Milchsäure genannt, ist ein Restprodukt des Stoffwechsels. Dieses entsteht, wenn während einer intensiven Ausdauerbelastung der über die Atmung aufgenommene Sauerstoff nicht ausreicht, um den Energiebedarf zu decken, den der Muskel zum Arbeiten benötigt. Für den Laktatstufentest steigen die Probandinnen aufs Laufband, das Velo- oder Ruderergometer, alle drei Minuten wird die Intensität der Belastung erhöht und am Ende jeder Einheit Blut aus dem Ohrläppchen entnommen. So ist genau messbar, ab welchem Belastungsgrad die Übersäuerung der Muskulatur beginnt, was Rückschlüsse auf den Fitnesszustand erlaubt. Generell gilt: Je schneller und steiler die Laktatkonzentration im Blut steigt, desto schwächer die Kondition. Der Test dauert übrigens so lange, bis die Kräfte der Probandin versiegt sind.
Sabine Trieloff schneidet für ihr Alter überdurchschnittlich gut ab. Christina Duss hat schon nach geringer Anstrengung Laktat im Blut, Julia Hofer ebenso. Ralf Seidel, Sportwissenschafter an der Schulthess-Klinik, legt beiden Ausdauersport nahe, also so zu trainieren, dass beim Sport zwar der Puls hinaufgeht, sie dabei aber immer noch locker atmen können, und das lieber viermal wöchentlich dreissig Minuten als einmal zwei Stunden lang.
Mit dieser eher moderaten Trainingsform wird die Grundkondition effizient aufgebaut und das Herz-Kreislauf-System gezielt gefördert. Trainiert man hingegen zu intensiv, fehlt dem Körper die Zeit, genug Sauerstoff aufzunehmen. Man kommt ausser Atem und ermüdet schnell, weil die Energieträger nicht ausreichen, und wird wegen des erhöhten Anfalls von Milchsäure buchstäblich «sauer». Zudem belastet ein zu schnelles Training den Körper, es führt oft zum Trainingsabbruch und ist als Herz-Kreislauf-Prophylaxe wenig wirksam. Das ist, sagt Fitnesstrainer Fritz Bebie, als würde ein Automotor bei hohem Tempo überdrehen.
Regelmässiges Ausdauertraining senkt Blutdruck und Cholesterin, vermindert das Herzinfarktrisiko, beugt Krebserkrankungen vor, erhöht die kognitive Leistungsfähigkeit und hält die Haut länger jung. Ein ergänzendes Krafttraining verbessert Kraft und Koordination und verringert die Sturzgefahr im Alter. «Je früher wir beginnen, Ausdauer und Kraft zu trainieren, desto mehr Lebensqualität gewinnen wir», sagt Kerstin Warnke. «Denn je mobiler wir sind, desto unabhängiger bleiben wir.»
Altbekannte Weisheiten, mag man denken. Doch trotz aller Präventions- und Informationskampagnen, so eine Studie der Universität Zürich, bewegen sich gut sechzig Prozent der Schweizerinnen und Schweizer zu wenig oder gar nicht. Die meisten hören zwischen vierzig und fünfzig auf, sportlich aktiv zu sein. Ab fünfzig steigt die Zahl der Inaktiven sogar drastisch. Dabei sollte es gerade umgekehrt sein: Sobald die 30-Jahr-Schwelle überschritten ist, müssen wir immer mehr tun, um die Kondition und die Muskelmasse, die wir haben, überhaupt zu erhalten. Wollen wir gar Muskelmasse und Kondition aufbauen, bleibt uns nichts anderes übrig, als einen Extragang einzulegen. «Die Ärzte haben mir empfohlen, jeden Tag mit dem Velo zur Arbeit zu fahren», sagt Christina Duss nach überstandenen Tests. «Dass meine Grundkondition so schlecht ist, hätte ich nicht gedacht. Dass sie so einfach zu verbessern ist, noch weniger. Einige Minuten strampeln pro Tag? Das mach ich gern.»
- Ein Laktat-Stufentest auf dem Velo-Ergometer, Laufband oder Ruder-Ergometer kostet 250 Fr., ein Basic-Check zum Ausschluss medizinischer Risiken bei Neu- oder Wiederbeginn 570 Fr., ein Sport-Check zum Ausschluss medizinischer Risiken bei Neu- oder Wiederbeginn, kombiniert mit einer Trainingsberatung, 820 Fr. Die Kosten werden nicht von den Krankenkassen übernommen.
- Weitere Infos: Schulthess-Klinik, Zürich, Tel. 044 385 75 62, www.schulthess-klinik.ch, [email protected]