Filmregisseurin Güzin Kar beklagt den Untergang der Epa, des uncoolsten und besten Warenhauses der Schweiz.
Bei den Dreharbeiten zu meinem ersten Spielfilm wurden wir von heftigen Platzregen überrascht. Mein Produzent, der ahnte, dass ich Filmneuling für diesen Fall nicht gerüstet sein würde, brachte mir ein winziges Zellophanpäckchen mit, das sich wie durch Zauberei in eine gigantische Pelerine verwandelte und mich mitsamt meinen Gerätschaften umschloss. Ich sah seltsam aus, aber ich war die wasserdichteste Regisseurin Europas. Solche Pelerinen hatte ich seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen. Auf der Hülle standen der Preis und der Name der Detailhandelskette: Fr. 3.90, Epa.
Dies ist mein ganz persönlicher Abgesang, ein Hohe- und Klagelied in einem, auf das uncoolste und beste Warenhaus, das die Schweiz je hatte, undifferenziert, sentimental und verklärend bis zur Peinlichkeit, schliesslich ist das ein Nachruf, denn die Epa ist nicht mehr.
Die Einheitspreis AG, später Neue Warenhaus AG, starb, weil das Wort Shopping in Mode kam. In der Epa konnte man nicht shoppen, man ging hin, um etwas zu kaufen. Es gab weder eine Biosaftbar noch eine Make-up-Beratung. Es gab Regale und Kassen. Dazwischen irrten Rentner, Hausfrauen, Selbstgesprächler und Migrantinnen mit Grosspackungen WC-Papier unterm Arm umher.
Die Verkäuferinnen hiessen nicht Kundenberaterinnen und schüchterten einen nicht durch ihre Modelmasse ein. Es gab ältere, barsche Kolchoseleiterinnen oder junge, schlecht blondierte Kaugummidamen aus dem Balkan, die hinter dem Rücken von Kundinnen kicherten, wenn diese attraktiver waren als sie selbst. Und alle waren sie unfreundlich. Ein anbiederndes «Kann ich Ihnen helfen?» oder ein überhebliches «Sie kommen zurecht?» wäre undenkbar gewesen. Es hiess «Nicht anfassen!» oder «Zur Seite!». So soll es auch sein. Ich will als Kundin nicht bemitleidet, sondern ernst genommen werden. Als Störenfried. Als Frau und Konkurrentin. Als potenzielle Ladendiebin. Ich will, dass man mir mehr zutraut als den Besitz diverser Kreditkarten.
Die Epa war ständige Begleiterin meines Lebens gewesen. Als auswärtige Schüler eines Basler Gymnasiums konnten wir über Mittag nicht nach Hause und assen stattdessen im Epa-Selbstbedienungsrestaurant. Es gab Pastetli mit Erbsli, dazu Menüsalat für 6.90 Franken. Hier sassen wir Tisch an Tisch mit Alkoholikern und Teilinvaliden. Ich erinnere mich an eine ältere Frau mit lila Sturmfrisur und einem elefantös angeschwollenen Bein, Thrombose oder Wassereinlagerungen. Wir assen stumm und hastig, im Wissen darum, wie dünn die Trennlinie war, die darüber entschied, ob man am Ende bei den noch sozialkompatiblen oder den bereits verlorenen Gestalten landete.
Doch das Faszinierendste an der Epa war das Sortiment. Es bestand aus einer eigentümlichen Mischung aus Praktischem, Vertrautem sowie anderswo längst Ausgestorbenem, wie die erwähnte Regenpelerine. In den Regalen standen auch Pomaden und grüne Haarwasser in Grossflaschen, noch jahrelang nachdem die Zielgruppe vermutlich keine Haarprobleme mehr hatte, sondern verstorben war. Die Rollkragenpulliaktion war wohl das Einzige an der Epa, was je Kultstatus erlangte. Einmal im Jahr gab es schlichte Rollkragenpullover in guter Qualität zu kaufen, und es kauften alle, von der Studentin bis zur Geschäftsfrau. Denn die Pullis waren günstig, wie alles in der Epa. Nicht nur behauptet günstig, sondern tatsächlich.
Genau wie ihre eigentliche Zielgruppe, die nicht aus Schönen und Reichen bestand, hatte die Epa keine lange Lebenserwartung. Ihr Tod kam nicht überraschend, sie war krank und gebrechlich. Nach und nach wurden ihre Filialen geschlossen oder von Coop übernommen, bis sie 75-jährig im Jahr 2005 für immer einschlief. Seither ist der Kampf gegen Lifestyle, die Eventkaufkultur und das Turboshopping verloren. Die Epa ist tot, doch ihre Produkte werden hoffentlich noch lange durch unseren Alltag geistern. Amen.
Güzin Kar ist Regisseurin und Autorin. «Fliegende Fische», ihr neuester Spielfilm, kommt im Herbst in die Kinos.