Haare sind für viele eine Selbstverständlichkeit. Nicht mehr für die 25-jährige Amanda Jordi – denn sie hat die Diagnose Krebs erhalten. Als sie beschliesst, ihre Haare abzurasieren, greift auch ihre beste Freundin zum Rasierer. Ein Gespräch über Krankheit, Freundschaft und Schönheit.
Im Oktober 2020 bekommt Amanda Jordi die Diagnose Krebs. Sie ist 24 Jahre alt. Seither teilt sie ihre Geschichte auf Instagram – um anderen jungen Frauen Mut zu machen. Auch den Moment, in dem sie ihre Haare verlor, dokumentierte sie. Begleitet und unterstützt wurde sie dabei von ihrer besten Freundin Sara, die selber zum Rasierer griff und sich ihre Haare abrasierte. Das berührende Video hat uns veranlasst, die beiden Frauen zu treffen.
Amanda, bei dir wurde ein Hodgkin-Lymphom diagnostiziert. Was bedeutet das?
Amanda: Hodgkin ist eine bestimmte Art von Lymphknotenkrebs. Insgesamt zählt er zu den seltenen Krebserkrankungen. Ich habe ihn im vierten Stadium, dem höchsten Stadium. Ich habe den Krebs auf der Leber, auf der Lunge, auf der Milz und entlang von der Luftröhre. Gezeigt hat er sich durch starke Rückenschmerzen, was bedeutete, dass etwas mit der Lunge nicht in Ordnung ist. So haben es die Ärzte schlussendlich rausgefunden. Wie lang der Krebs schon in meinem Körper ist, kann aber keiner genau sagen.
Du versuchst seit 2016 herauszufinden, was mit dir los ist.
Amanda: Ja. Ich ging 2016 nach Afrika für ein Hilfsprojekt und als ich nachhause kam, war etwas nicht gut mit meiner Verdauung. Danach haben meine Beine angefangen zu jucken. Ich hatte viele Nebenwirkungen, welche man nicht zuordnen konnte.
Sara: Ich kann mich erinnern: Sie hatte damals immer Halsschmerzen. Aber sie hat gedacht, es sei eine Art Angina.
Amanda: Hier bin ich bei einem Tropenarzt gewesen, weil wir dachten, dass ich mir irgendwas auf meiner Reise eingefangen habe. Der Arzt untersuchte alles, jedoch machte er kein CT-Scan. Wäre der dort schon gemacht worden, hätten wir den Krebs vielleicht früher gesehen. Vor einem Jahr begannen die Rückenschmerzen. Zuerst wurde vermutet, es sei der Blinddarm, die Ärzte haben mich in den Notfall geschickt, aber es wurde nichts gefunden. Danach bin ich zu meinem Hausarzt gegangen, ich wurde geröntgt – und schon an diesem Tag hat man gesehen, dass da etwas ist. Etwas, das nicht da sein sollte. Die definitive Diagnose hatte ich dann zehn Tage später bekommen, aber eigentlich war es dort schon klar, dass ich einen Tumor habe.
Wie habt ihr beide auf die Diagnose reagiert?
Amanda: Ich glaube, für mein Umfeld ist es fast schlimmer gewesen als für mich.
Sara: Sie wollte es am Anfang gar nicht einsehen. Wie sie vorhin gesagt hat, eigentlich war die Diagnose schon klar, als sie das CT gemacht hat. Das war an einem Freitag. Ich traf ihre Mutter, die weinte, da wusste ich es irgendwie. Als wir am Montag zusammen ein Picknick machten, sagte Amanda, es sei nichts Schlimmes. Ich weiss nicht, ob sie es einfach nicht selber einsehen konnte.
Amanda: Das Problem war, dass man bei der ersten Biopsie dachte, dass der Tumor höchstwahrscheinlich gutartig sei. Dann wurde die zweite Biopsie gemacht und erst da haben die Ärzte gesehen, dass der Krebs bösartig ist. Es war ein Hin und Her.
Amanda, bei Instagram teilst du deine Geschichte und sprichst offen über deine Krankheit. Warum?
Amanda: Als ich die Diagnose hatte, habe ich auf Instagram Hodgkin eingegeben und bin dann auf eine 22-Jährige gestossen, die auch Hodgkin im Stadium vier hat. Ich habe mit ihr Kontakt aufgenommen und sie hat mich in eine Art Chat eingeladen, in welchem alles Frauen in meinem Alter sind, fast alle aus Amerika. Dort konnte ich mich ein wenig austauschen, aber ich wollte auch Personen aus der Schweiz treffen. Das war der eigentliche Grund, wieso ich das alles öffentlich gemacht habe.
Was gibt dir diese offene Kommunikation über deine Krankheit?
Es hilft mir, dass Ganze leichter zu verarbeiten. Ausserdem finde ich es schön, dass mich schon vier Frauen in meinem Alter angeschrieben haben, welche das Gleiche durchmachen. Sie sind durch meine Hashtags auf mich gestossen. Seither haben wir regelmässigen Kontakt – eine davon ist aus Kanada, eine aus Südamerika und zwei aus Zentralamerika. Aus der Schweiz habe ich leider noch niemanden kennengelernt.
Wie und wo habt ihr euch beide kennengelernt?
Sara: Vor elfJahren, Amanda hat damals zu mir in die Klasse gewechselt. Seither sind wir eng befreundet.
Was macht eure Freundschaft aus?
Sara: Wir haben kürzlich darüber gesprochen, dass wir beide eigentlich komplett unterschiedliche Menschen sind. Wir haben aber beide den gleichen seltsamen Humor und wir sind beide sehr unkomplizierte Menschen. Wir kennen uns langsam auswendig, wir können der anderen nichts verheimlichen, auch wenn wir es versuchen würden.
Was haben Haare für euch beide für eine Bedeutung?
Amanda: Als ich die Diagnose Krebs bekommen habe, habe ich nicht geweint. Als ich dann erfahren habe, dass meine Haare ausfallen werden, konnte ich nicht mehr aufhören zu weinen. Für mich als Frau sind meine Haare wichtig, Haare zeichnen einen doch auch ein wenig aus, oder? Jetzt ist für mich das Wichtigste, gesund zu werden, die Haare spielen nicht mehr eine so wichtige Rolle. Aber am Anfang war es ein riesiger Schock. Als Sara mir sagte, sie werde sich die Haare mit mir zusammen abschneiden, damit es mir nicht so schwerfällt, war das etwas vom Besten, was mir je passiert ist.
Sara, wann hast du dich zu diesem Schritt entschieden?
Sara: Es war für mich schnell klar. Ich habe ihr am Anfang noch nichts davon gesagt, eigentlich wollte ich sie mit meinem neuen Haarschnitt überraschen. Aber dann merkte ich, dass es vielleicht wichtig ist, dass wir das zusammen durchstehen.
Amanda, du wolltest selber entscheiden, wann du deine Haare abrasierst. Wann war für dich der richtige Zeitpunkt?
Amanda: Ich wollte das relativ schnell machen. Normalerweise ist es so, dass nach der zweiten oder dritten Chemo alle Haare ausfallen. Das war bei mir aber überhaupt nicht der Fall. Sie fielen immer mehr aus, das schon, aber es ging nicht so schnell. Mit anzusehen, wie die Haare immer weniger wurden, war für mich psychisch noch schwieriger. Ich wusste, ich muss jetzt diesen Schritt gehen.
Wie habt ihr diesen Tag erlebt?
Amanda: Es war sehr traurig, aber irgendwie auch eine Erleichterung, als die Haare ab waren. Ich habe geweint, während wir sie abgeschnitten haben, Sara nicht.
Sara: Ich habe gelacht. Ich war froh, es war eine grosse Erleichterung da. Und es war trotz allem ein schöner Abend. Wir waren bei Amandas Mutter, sie hat gekocht, später sind meine Mutter und Amandas Brüder dazu gekommen.
Wie hat dann euer Umfeld darauf reagiert, dass ihr diesen Schritt gemeinsam gegangen seid?
Sara: Die meisten haben gut reagiert, vor allem die Leute, die mir wichtig sind. Es gab ein paar Kommentare, dass kurze Haare nicht weiblich sind oder so was. Aber mir ist die Meinung von diesen Menschen nicht wichtig, ich habe es für Amanda gemacht und der Rest kann mir eigentlich egal sein.
Wie tragt ihr jetzt eure Haare und wie geht es euch damit?
Amanda: Meine Haare sind noch weiter ausgefallen, da ich immer noch in der Chemo bin. Anfang April habe ich – hoffentlich – meine letzte Chemo, danach brauchen die Haare einen Moment, bis sie wieder gesund nachwachsen. Dann möchte ich sie wieder lang tragen.
Sara: Ich trage meine Haare noch immer kurz – der Haarschnitt gefällt mir. Ich werde sie aber wieder mit Amanda nachwachsen lassen.