Body & Soul
Wollen wir Freundinnen sein?
- Text: Julia Heim; Foto: Mondadori Portfolio via Getty Images
Best Friend Forever, kurz BFF, so heisst die beste Freundin heute. Aber wie findet man so eine BFF – wenn man zum Beispiel in ein anderes Land zieht? Man muss die Sache pragmatisch angehen, schreibt unsere Autorin. Gar nicht so leicht …
Wir sassen noch nicht mal zehn Minuten am festlich gedeckten Tisch, da kannte ich bereits ihr halbes Leben. Ihre tiefsten Wünsche. Alles über den Umzug in die Schweiz und die Schwierigkeit, in Zürich enge Freunde zu finden. Sie war redselig und offensichtlich frustriert. Da ging es ihr wie mir. Ich war vor zwei Jahren aus Österreich und sie vor drei Jahren aus England in die Schweiz gekommen, um hier eine neue Heimat zu finden. Dass es so schwierig werden würde, wirklich anzukommen und neue Freundschaften aufzubauen, hatten wir beide zu Beginn nicht geglaubt.
Es war ein lauer Sommerabend in Italien, als wir uns das erste Mal begegneten, die Hochzeit eines befreundeten Paares – eines jener Paare, die man zwar ab und zu zum Abendessen trifft, die man aber nie anrufen würde, wenn man einen Platz zum Schlafen bräuchte. Die Feier war ausgelassen, die Nacht lang. Und wir kamen einfach nicht los von diesem Tisch, zu vieles gab es zu besprechen. Das ist bis heute so. Und das nicht, weil wir damals zwischen dem üppigen Essen und den Hochzeitsreden eine Seelenverwandtschaft entdeckten, sondern weil wir zu später Stunde beschlossen hatten, Freundinnen zu werden. «Wir sollten uns einmal pro Woche treffen!», schlug sie an diesem Abend enthusiastisch vor. Darauf stiessen wir an. Es war eine pragmatische Entscheidung, ein Versuch.
Eine arrangierte Freundschaft klingt nicht besonders sexy. Und doch ist es die effektivste Form des Knüpfens von Beziehungen, die ich bisher ausprobiert habe. Und ich habe vieles ausprobiert. Klassisches Networking auf Events, das Besuchen eines Kurses in der Freizeit, regelmässige Kaffee-Dates im Büro. Ich rede gern, bin interessiert an guten Geschichten und kann mich für vieles begeistern. Ich war auf der Suche. Manchmal vielleicht ein wenig übermotiviert und für den Schweizer Geschmack etwas zu wenig distanziert, immer aber mit dem ehrlichen Interesse am Gegenüber. Ich kam ins Gespräch, ich fand Gemeinsamkeiten, doch dabei blieb es meist. Eine Freundschaft braucht Zeit und vor allem Pflege. Jemandem zu begegnen, der bereit ist, ein fixes Pensum pro Woche einer solchen Beziehung zu widmen und damit ein Fundament neu aufzubauen, ist rar – nicht nur in der Schweiz. Meine Tischnachbarin war es.
In den vergangenen Jahren haben wir uns an beinahe jedem Mittwochabend gesehen. Manchmal bloss auf einen Drink, an anderen Tagen zu einem ausgedehnten Abendessen. Wir beschlossen, andere Expats, die auf der Suche nach Anschluss sind, zu integrieren. Einige dieser bewusst arrangierten Konstellationen hielten mehrere Monate, andere hielten Jahre. Mittlerweile sind wir zu dritt. Drei Frauen, die aus unterschiedlichen Ländern, Altersklassen und Jobs kommen. Drei Frauen, deren Bindung inzwischen weit enger ist als so manche familiäre Beziehung. Vielleicht ist es das – der Wunsch, eine Familie zu finden weit weg von der eigenen. Ein solcher Wunsch kann die Initialzündung sein, um das Projekt Freundschaft voranzutreiben, es anzupacken wie einen neuen Job, wie ein Haus, das gebaut werden soll, ein Zuhause, das man finden will. Am Ende muss es bei allem Pragmatismus selbstverständlich menschlich passen. Da hatten wir grosses Glück. Das wussten wir insgeheim vielleicht doch schon an jenem Abend in Italien.