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Wieso sind Brüste so gefürchtet?

Body & Soul

Wieso sind Brüste so gefürchtet?

Was nackte Körper angeht, herrscht zwischen den Geschlechtern immer noch eine erschreckende Doppelmoral. Und das wirft die Frage auf, woher die Angst vor weiblich gelesenen Körpern – insbesondere unseren Brüsten – kommt. Eine Spurensuche.

Tommy Lees Penis war vor einigen Tagen auf Instagram zu sehen. Stundenlang, unbedeckt, unzensiert. Irgendwann wurde der Post gelöscht, unklar bleibt, ob von Lee (seines Zeichens Pamela Andersons Ex-Mann und Musiker) – oder von Instagram. Der Plattform also, die Bilder mit nur dem Hauch einer weiblichen Brustwarze sofort entfernt. Boobs verletzten die Gemeinschaftsrichtlinien, heisst es bei Instagram. Wir kennen die Geschichte: #freethenipple, Bilder von stillenden Frauen, Andeutungen von Brüsten, schon nur von sich unter Kleidern abzeichnenden Brustwarzen, die sofort entfernt werden. Und teils sogar Accounts, die infolgedessen gelöscht werden. Sprich: Weiblich gelesene Körper werden auf der Plattform zensiert.

Die britische Aktivistin Gina Martin bringt es auf den Punkt: «Das Problem ist nicht, dass Tommy Lee ein Nacktfoto posten will, sondern die eklatante Doppelmoral der Geschlechter.» Diese führe dazu, dass der Algorithmus und die Menschen, die sogenannte Richtlinienverletzungen prüfen, weibliche Körper als unangemessen ansehen würden. Insbesondere Schwarze, mehrgewichtige und behinderte weiblich gelesene Körper – egal ob diese sexuell dargestellt werden oder nicht, so Martin. Die Nacktheit eines weissen Mannes jedoch? Scheinbar absolut kein Problem.

Doch woher rührt sie, die Angst vor unseren Brüsten? Liegt es an den uns aufgezwungenen Schönheitsstandards, die unsere Körper hauptsächlich dann akzeptieren, wenn sie ins Schema passen? Am Fehlen von vielfältigen Brüsten im öffentlichen Raum? An der omnipräsenten Sexualisierung des weiblichen Körpers in unserer Gesellschaft? Diese Fragen beschäftigen mich und ich mache mich auf die Spurensuche.

Rund, symmetrisch, straff – so sollen Boobs aussehen

Wir können noch so sehr von Brüsten in allen Formen und Grössen umgeben sein, doch was generell als schöne Brüste akzeptiert wird, ist durch Werbung, Film und (in zensierter Form zwar, aber doch sichtbar) Social Media allen klar. Rund, symmetrisch, straff – so sollen Boobs aussehen. Ein ziemlich enger Rahmen, wortwörtlich. Das zeigt sich schon nur auf der Suche nach einer Bebilderung für diesen Artikel: Entweder sind bei den Bildagenturen die Brüste unter Händen oder Kleidern versteckt. Oder wenn nackt, dann normschön, rund, weiss. Daneben gibt es eigentlich nur noch nackte Brüste mit saugenden Babys dran. Dazwischen ist die Auswahl wahnsinnig klein.

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«Frauen, die ihre Brüste nicht mögen, tasten diese auch weniger nach Veränderungen im Gewebe ab»

Ausserhalb der Norm scheint also wenig Platz für Zufriedenheit. Zu klein, zu ungleich, zu hängend, zu grosse Nippel, zu schwer, zu schlaff. Dehnungsstreifen, zu grosser Warzenhof, asymmetrische Brustwarzen. Und diese Unzufriedenheit mit unseren Brüsten – laut einer weltweiten Studie ist nur jede dritte Frau mit ihrem Busen zufrieden – ist nicht nur erschreckend, sondern auch gefährlich, wie die Studie offenbart: Frauen, die ihre Brüste nicht mögen, würden diese auch weniger nach Veränderungen im Gewebe abtasten. Obschon Brustkrebs weltweit die Krebsart ist, an der Frauen am häufigsten sterben. Und bei der die geringe Überlebensrate mit einer niedrigen Wahrnehmung der eigenen Brüste zusammenhänge, so einer der leitenden Wissenschaftler der Studie.

Um der weitverbreiteten Unzufriedenheit und ihren Folgen zu begegnen, müssten die patriarchalen Strukturen infrage gestellt werden, die den Wert von Frauen an ihre physische Erscheinung knüpfen, heisst es in der Studie weiter.

Kaum eine Frau ist stolz auf ihre Brüste

Das ist auch mir schon aufgefallen: Nur wenige Frauen in meinem Umfeld sind stolz auf ihre Brüste. Sie finden sie maximal «okay». Doch auch hier herrscht eine Doppelmoral: Von Frauen wird gar nicht erwartet, dass sie ihre Brüste toll finden oder sie sogar auch nur ein bisschen zur Schau stellen. Sofort schlampig. Währenddessen werden von Männern ungefragt und unbehelligt Dick Pics en masse verschickt und sie tragen ihre Körper grösstenteils stolz zur Schau. Überall.

Und wo Social Media helfen kann, unsere Sehgewohnheiten zu verändern und Unsicherheiten aus dem Weg zu räumen, wo auch immer mehr diverse Körperformen sichtbar sind, fehlt genau diese Plattform für Boobs. Oder anders formuliert: Indem Instagram uns suggeriert, dass wir unsere Körper zwar in all ihrer Vielfalt zeigen dürfen (zu bestimmten Bedingungen, again: Auch das gilt oft nur innerhalb bestimmter Normen), aber bitte ja keine ganzen Brüste, kommt von einer weiteren Seite die klare Message, dass Brüste gefälligst versteckt gehören.

Zu viel Bewegung, zu viel Sichtbarkeit, zu viel Nippel

Das fängt schon subtil bei kleinen Mädchen an, die Bikinis tragen, um noch nicht vorhandene Brüste zu verstecken. Jungs rennen dabei weiterhin oben ohne rum. Auch ich kann mich noch daran erinnern, dass es mir plötzlich unangenehm war, als Kind «oben ohne» zu baden, lange bevor ich auch nur annähernd sichtbare Brüste hatte. Weil es mir von aussen suggeriert wurde. Weil sich das nicht gehört.

Das geht weiter damit, dass wir unsere Brüste, kaum wachsen sie, in formende, normierende BHs sperren. Deren Notwendigkeit übrigens null medizinisch gegeben ist, sondern die schlicht ein Diktat der Modeindustrie sind, wie die französische Philosophin Camille Froidevaux-Metterie in ihrem Essay «Brüste. Auf der Suche nach einer Befreiung» aufzeigte. Absurderweise bringen uns aber diese BHs dazu, uns von Anfang an mit unseren natürlichen Brüsten unwohl zu fühlen. Zu viel Bewegung, zu viel Sichtbarkeit, zu viel Nippel.

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«Wehe, wir zeigen Brüste im echten Leben. Und dann auch noch unperfekte»

Also rein in den BH – aber nicht nur der Bändigung, sondern auch der Schummelei wegen. Es mussten Jahre vergehen, bis ich aufhörte, Push-ups zu tragen, und endlich die Form meiner natürlichen Brüste überhaupt kennenlernte. Massiv mitschuldig daran war (wohl nicht nur bei mir) die US-Wäschemarke Victoria’s Secret. Der kontroverse Brand (über den gerade die aufschlussreiche Dokuserie «Victoria’s Secret: Angels and Demons» erschien), der Massen von Frauen über Jahre mitdiktierte, wie Unterwäsche, unsere Körper darin und vor allem unsere Brüste auszusehen hatten. Der mitverantwortlich dafür war, Brüste normiert und verpackt allerorts zu zeigen. Aber wehe, wir zeigen Brüste im echten Leben. Und dann auch noch unperfekte.

Ohne lästiges Oberteil sonnen, baden, existieren

Diesen Sommer entsprang hierzulande eine Diskussion über sichtbare Frauenbrüste in Badis. An jenen Orten also, an denen sich Männer ganz selbstverständlich oben ohne aufhalten. In Zürich ist Baden oben ohne einzig in der Frauenbadi erlaubt oder in wenigen klar gekennzeichneten Frauenbereichen. Alles andere würde das «sittliche Empfinden» anderer Badegäste verletzen, heisst es von offizieller Seite. In der Frauenbadi sind Frauen mit Oberteil fast in der Unterzahl. Ohne lästiges Oberteil kann hier gesonnt, gebadet, existiert werden. Dass es dafür aber quasi diese Safe Spaces braucht, ist bezeichnend.

«Ist es dieser geschützte Ort, der uns Freiheit verschafft, oder brauchen wir für diese Freiheit einen geschützten Ort?»

Denn die Frage bleibt bestehen: Würden die Frauen, die sich in der Frauenbadi ganz selbstverständlich oben ohne bewegen, auch ausserhalb oben ohne wohlfühlen? Ist es nicht genau das Fehlen des Male Gaze (des männlichen Blicks), was die Frauenbadi so besonders macht – und nicht nur die Möglichkeit, sein Oberteil ausziehen zu können? Ist es dieser geschützte Ort, der uns Freiheit verschafft, oder brauchen wir für diese Freiheit einen geschützten Ort?

Befreiung aus dem Korsett – für unsere Brüste, für uns

Ein weiterer Punkt, der die Gemüter erhitzt: Die Ernährerinnenrolle unserer Brüste. Denn sobald wir Kinder kriegen, ist es vorbei mit der Erotik, dann wird gestillt. Ungefragt werden uns Neugeborene von Hebammen an die Brust gelegt – auch mir. Ich wurde nicht einmal gefragt, ob ich stillen wolle. Auch da sind sie wieder an gesellschaftliche Erwartungen gebunden, unsere Brüste. Es sind also genau zwei Rollen unter klaren Vorgaben gewünscht für sie: Erotik (wenn normschön) und Kinderernährung (aber bitte nicht zu sehr zeigen). Und dass dieser Spagat spätestens für stillende Frauen dann kaum mehr gelingt, erstaunt wenig angesichts der nicht vorhandenen Existenz unserer Brüste im Raum dazwischen.

Wie sich das ändern könnte, weiss man eigentlich schon. Indem wir uns mit unseren Brüsten beschäftigen, sie aus dem Korsett befreien, befreien wir auch uns ein Stück weit daraus, emanzipieren uns. Denn wer bestimmt eigentlich, wie ein weiblich gelesener Körper sich zu kleiden hat oder sich zeigen darf? Dazu sagte Geschlechterforscherin Fabienne Amlinger zu Tsüri: «Wenn es um die Frage geht, welcher Norm der weibliche Körper entsprechen muss und welche Regeln dieser in der Öffentlichkeit zu befolgen hat, dann ist das eng mit patriarchalen Strukturen verwoben.» Da wären wir wieder: beim Patriarchat. Das wir bekämpfen können, indem wir seine Vorgaben nicht mehr einfach so hinnehmen, sondern uns widersetzen.

Ich frage mich also, wann wir endlich mit dem Shaming unserer Körper aufhören, mit dieser Doppelmoral. Wann Brüste einfach Brüste sein dürfen. Egal wie, egal wo. Unkommentiert. Unbedeckt. Unzensiert.

 

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Patricia

Sehr gut!
Bereits als 2 Jährige musste ich ein Bikini Oberteil tragen. Meine Mutter fand es “nicht schön” ein Mädchen mit freien Oberkörper. Sehr wahrscheinlich wollte sie mich von allen indiskreten Blicken schützen.
Das Oberteil war immer dabei! Bis ich vom Brasilien nach Europa gekommen bin und endlich das erste Mal oben ohne baden dürfte. Ein wunderbares Gefühl, welches ich mir aber immer noch nur in den Ferien erlaube. Warum das?
Auch im Alltag ohne BH zu leben schaffe ich es noch nicht. Es sind zu viele Blicke, welche mich nicht umbedingt in die Augen schauen… Warum das?
Und warum kann ich dies nicht einfach ignorieren und weiterhin das (nicht) anziehen wie ich will!?!
Jedes Jahr probiere ich es wieder… bis jetzt ohne Erfolg.
Dieser Artikel hat mich (wieder) motiviert erneut zu probieren! Dafür werde ich die vorstehenden Ferien nutzen und diesmal, diese Freiheit zusammen mit andere neue Gewohnheiten mit nach Hause nehmen!

Marc

Ende 70er waren im Freibad die meisten Frauen (samt meiner Muttet) oben ohne auf dem Badetuch anzutreffen. Verboten wurde es meines Wissens nie, trotzdem entschieden die Frauen, diese Freiheit aufzugeben.

Reto

Völlig nachvollziehbar, ausser der Punkt mit dem Stillen. Da nehme gewichte ich das Recht des Kindes auf die Muttermilch sehr hoch, falls das Stillen auch möglich ist.