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Wie ist es eigentlich, für tot erklärt zu werden?

Wie ist es eigentlich, für tot erklärt zu werden?

Bei einem Flugzeugunglück sprang Ulrich Frey dem Tod von der Schippe. Mit 74 wurde er von der Ausgleichskasse fälschlicherweise für tot erklärt. Uns erzählte der Rentner seine Geschichte.

Als die AHV den zweiten Monat hintereinander nicht auf meinem Postkonto eintraf, griff ich zum Telefon. Der Mann von der Ausgleichskasse war so lang still, dass ich nachfragte: «Sind Sie noch da»? Er sagte: «Herr Frey, Sie sind bei uns als Abgang verzeichnet.» Abgang, das bedeutet verstorben. «Aber ich telefoniere doch mit Ihnen!», insistierte ich.

Doch als ich aufhängte, war ich verstört. Dieses Wort, Abgang! Ich bin 74 Jahre alt, habe eine chronische Lungenkrankheit und bin auf Sauerstoff angewiesen. Aber tot bin ich deswegen noch lang nicht. Ich fühle mich fit, gehe täglich mehrmals mit meiner Hündin Kira spazieren.

Einmal bin ich dem Tod tatsächlich von der Schippe gesprungen. 1979 sass ich an Bord der Swissair-Maschine Uri, die in Athen über die Landebahn hinausrollte und in Brand geriet. 14 Menschen starben dort. Ich selbst wurde schwer verletzt und sass einige Zeit im Rollstuhl.

Nun sollte ich also wirklich tot sein. Und fühlte mich gar nicht so. Ich rief die Einwohnerkontrolle der Stadt Winterthur an, ob die mich als tot gemeldet hätten. Dort wusste man von nichts. Nach einer guten Woche erhielt ich ein Entschuldigungsschreiben der Ausgleichskasse. Die Rente werde wieder überwiesen, es sei ein «Systemfehler» passiert. Das half mir nicht, mich besser zu fühlen. Computer machen keine Fehler, das weiss ich! Sie machen nur das, was man ihnen sagt. Ich rief bei der Lokalzeitung an. Vielleicht konnte ein Reporter herausfinden, was wirklich passiert war.

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«Nun sollte ich also wirklich tot sein. Und fühlte mich gar nicht so»

Lang hörte ich nichts. Als der Journalist sich dann meldete, klang er aufgeregt, aber auch angespannt. «Es ist tatsächlich jemand gestorben», sagte er. «Aber nicht Sie.» Die Kasse hatte die falsche Rente gestoppt. Gestorben war jemand, von dem ich viele Jahre nichts gehört hatte: meine Ex-Frau.

Die Ehe war kurz nach dem Flugzeugunglück zerbrochen, als es mir körperlich schlechtging. Ich erinnere mich, dass sie sagte, sie wolle nicht mit einem Krüppel zusammen sein. Auch der Kontakt mit den zwei gemeinsamen Söhnen war zuletzt eingeschlafen.

Trotzdem konnte ich kaum fassen, dass mich niemand über ihren Tod informiert hatte. Wenn die Ausgleichskasse nicht diesen Fehler gemacht hätte, ich wüsste es womöglich bis heute nicht. Offenbar bleiben im System die Dossiers von Eheleuten auch dann verknüpft, wenn die Ehe längst geschieden ist.

Ich bekam einen zweiten Entschuldigungsbrief, unterschrieben von der Abteilungsleiterin. Diesmal war von einem menschlichen Fehler die Rede. Damit war für mich die Sache in Ordnung. Dem Journalisten hatten sie versichert, dass ich ein «absoluter Einzelfall» sei.

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«Manchmal schien es mir, ich hätte als Toter mehr Kontakte als lebendig»

Noch bevor der Artikel erschien, las ich in der Lokalzeitung den Namen meiner Ex-Frau. Privatkonkurs. Die Söhne hatten das Erbe ausgeschlagen; es waren Schulden. Interessanter war, dass im Inserat ihr letzter Wohnort stand. Eine Pflegewohnung direkt visà-vis meiner Bushaltestelle. Von meinem Küchenfenster aus sehe ich das Gebäude. Sie hatte jahrelang so nah bei mir gewohnt, ohne dass ich es wusste!

Als der Artikel dann erschien, habe ich ihn an den Kühlschrank gehängt. Am gleichen Tag kam auch der «Blick» vorbei und wollte die Geschichte hören. Viele Bekannte haben mich seither angerufen. Manchmal schien es mir, ich hätte als Toter mehr Kontakte als lebendig. Nicht gemeldet haben sich bisher meine Söhne.

Ulrich Frey (74), Rentner aus Winterthur

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