Body & Soul
Wie ist es eigentlich, einen schizophrenen Sohn zu haben?
- Aufgezeichnet von Regula RosenthalBild: Getty Images
Ein alleinerziehender Vater erzählt: vom Alltag, von der Krankheit und wie schwer es manchmal ist, diese Bürde zu tragen und sein eigenes Kind so leiden zu sehen.
Hugo Reber* (58), Unternehmensberater, Bern.
Ich bin ein alleinerziehender Vater von drei gesunden Kindern. Und von Christian *: Er ist schizophren. Als Baby war er fröhlich und humorvoll, schon früh fiel er durch seine Intelligenz auf. Meist sehr umgänglich, hatte er zwischendurch stark introvertierte Phasen. Ich habe mir nie etwas dabei gedacht.
Mit 14 ging es los. Zunächst dachte ich, es handle sich um extrem pubertäres Verhalten. Er begann, kompletten Unsinn zu reden, sprach über Wahrnehmungen, die gar nicht existierten. Er war verzweifelt und klagte mich an, ob ich denn nicht sehe, dass er ein Monster geworden sei. Er wurde immer sturer, sprach, als wäre er ferngesteuert, und befasste sich zunehmend mit Spiritismus. Er suchte das Dunkle. Und er fügte sich mit einem Messer wiederholt gravierende Verletzungen zu. Zuwendungen lehnte er komplett ab, nicht einmal Berührungen ertrug er. Mich hat das enorm belastet. Schliesslich suchte ich Hilfe beim psychiatrischen Dienst. Zunächst vergeblich. Christian wurde immer aggressiver und zerstörte die Wohnung mit einem Hammer. Ich interpretierte sein Handeln als Aufschrei: Merkt denn niemand, wie ich mich verändert habe? In der Schule nahmen seine Leistungen extrem ab, dabei war er doch ein so brillanter Schüler gewesen. Endlich, erst mit 16, haben ihm die Psychiater eine Diagnose gestellt: Schizophrenie.
Wir haben niemanden in der Familie, der an psychischen Leiden erkrankt ist. Auch weiss man nicht, was bei ihm die Krankheit ausgelöst hat. Ich wollte und konnte es nicht glauben, war zutiefst verzweifelt. Wie sollte es weitergehen? Seine Mutter war mit der Situation überfordert. Sie stellte mir ein Ultimatum: sie oder er.
Ich entschied mich für ihn. Ich konnte meinen Sohn doch nicht im Stich lassen. Bis heute verstehe ich nicht, wie seine Mutter so gefühlsarm reagieren konnte. Bis heute bereut sie nicht, dass sie ihn verlassen hat. So blieb mir nichts anderes übrig, als allein die schwere Last zu tragen. In der Folge wurde Christian mit Medikamenten vollgepumpt. Einmal war er lethargisch, dann wieder aggressiv. Ich war ständig auf der Suche nach seiner Persönlichkeit, nach seiner verlorenen Seele. Beruflich viel unterwegs, wusste ich nicht, wie weiter, und ich war immer wieder nahe daran, alles hinzuschmeissen. 17-jährig wurde er endlich in die psychiatrische Klinik eingeliefert. Inzwischen war Christian für sich und seine Umgebung zu einer Gefahr geworden. Ich wollte ihn in einem Heim unterbringen, doch er wehrte sich vehement dagegen. So kam es, dass man ihn zwangsmässig in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie internierte. Es war der blanke Horror. Er wäre lieber ins Gefängnis gegangen und fühlte sich als Opfer böser Menschen.
Nach Monaten des Grauens wurde er schliesslich entlassen. Die Krankheit ist nicht heilbar, und die Prognose ist schlecht. Die Medikamente wollte er unbedingt absetzen, sie machen ihn müde und blöd, wie er sagt. Doch das ist unmöglich, ein Rückfall wäre die Folge. Christian lebt in ständiger Angst, dass er wieder in die Klinik gehen muss. Er ist stark traumatisiert und geht einmal wöchentlich zum Psychiater zur Gesprächstherapie. Ich muss täglich für ihn ein Programm zusammenstellen, Leute organisieren, die auf ihn aufpassen. Stets bin ich in Sorge um ihn. Wenn man es ihm geradezu befiehlt, geht er joggen, ansonsten verhält er sich passiv, wie ein Roboter. Er hat keine Freunde und spricht nur, wenn man ihn dazu auffordert. Zum Glück arbeitet er wenigstens vier Stunden täglich auf einem Bauernhof. Ich empfinde die Lage als grosse Last. Ich fühle mich überfordert. Und unfrei, eingeengt in einem Korsett. Gehe ich einmal in die Sauna, leide ich unter einem schlechten Gewissen.
Mir fehlt eine gute Frau an meiner Seite, die mir etwas abnimmt und das schreckliche Schicksal mit mir teilt. Immerhin habe ich mittlerweile gelernt, es zu akzeptieren. Ich frage mich nicht mehr ständig: Warum er? Warum ich? Ich habe Frieden gefunden. Vielleicht finde ich irgendwann auch das Glück wieder.
*Name von der Redaktion geändert.
Mehr Infos und Hilfe für Betroffene:
VASK Schweiz ist der Dachverband der Angehörigen von Schizophrenie- /psychisch Kranken und bietet Betroffenen wertvolle Tipps und Unterstützung zur Selbsthilfe. www.vask.ch