Drei Monate durch Südamerika, nur Katrin und ihr einjähriger Sohn: Das war der Plan. Es wurden fünf Wochen daraus – knapp die Hälfte davon verbrachte sie in einem mexikanischen Gefängnis. Eine junge Mutter aus Bern erzählt.
Katrin Frei* (24) aus Bern
Drei Monate durch Südamerika, nur ich und mein einjähriger Sohn: Das war der Plan. Es wurden fünf Wochen daraus – knapp die Hälfte davon verbrachte ich in einem mexikanischen Gefängnis, mein Sohn im Heim. Aber weisst du was: Ich habe damals genau das gefunden, was ich mir von der Reise erhofft hatte – auch wenn ich mir den Selbstfindungstrip natürlich romantischer vorgestellt hätte.
Am verhängnisvollen Tag hatte sich per Zufall ein Fenster aufgetan in meinem sonst so durchgeplanten Reisekalender. Hinein platzte diese Indio-Frau. Eine Huichol, wie man mich glauben liess, eine echte Heilerin: ihre Kleider verziert mit diesen herrlichen Fadenbildern. Ich war sofort bezaubert und vertraute mich der Frau an. Nicht dass ich generell auf Peace-Love-Blüemli-zeug stehe. Aber ich habe als Teenager das Thema Naturreligionen und Schamanismus entdeckt. Das half mir damals aus einer Krise. Und so ging ich gleich am ersten Abend mit in die Wüste: Lagerfeuer, Sternenhimmel – und Peyote. Die Indios haben eine Sondergenehmigung, diesen psychedelisch wirkenden Kaktus für ihre religiösen Riten zu nutzen. Doch wie sich herausstellte, war die Frau gar kein Indio. Als die Sonne aufging, stand die Polizei da.
Im Kleinbus gings ins Bezirksgefängnis, wo ich dem Richter vorgeführt werden sollte. Bis dahin werde man sich um meinen Sohn kümmern, sagten sie – und nahmen ihn mir weg. Den Richter sah ich nicht. Dafür hielten mir Polizisten einen Haufen Peyotes unter die Nase, die sie angeblich bei uns in der Wüste gefunden hatten: 13 Kilogramm. Danach warfen sie mich in die Zelle: vier Quadratmeter gross, mit WC und Doppelbett aus Beton. Ich machte kein Auge zu. Dachte ständig an meinen Sohn, der nun irgendwo war, betreut von irgendwem. Wenn überhaupt.
Am anderen Tag hiess es: «Zahl 2000 Pesos, und du bist frei!» Dann: 3800. Passiert ist nichts. Ausser dass ich einem Arzt vorgeführt wurde, der mich nackt fotografierte. In der zweiten Nacht holten sie mich morgens um fünf aus der Zelle. Sie sagten, ich werde nach Mexicali überführt. Das ist eine dieser gefährlichen Grenzstädte zu den USA. Vorher könne ich noch meinen Sohn sehen. Ich bekam ihn für zehn Minuten in die Arme gedrückt.
Stunden später sass ich im Hochsicherheitsgefängnis. Meine Tage verbrachte ich mit 15 Frauen in einer 16-Quadratmeter-Zelle: von der Millionärstochter bis zur Bäuerin, manche unschuldig, andere echte Verbrecherinnen. Ich hörte viele Geschichten; von Frauen, die monatelang eingesperrt waren, ohne zu wissen warum. Von Müttern wie mir, die nicht wussten, wo ihre Kinder geblieben sind. Von Gewalt und Misshandlungen. Und ich hatte viel Zeit, über mein eigenes Leben nachzudenken. Ich war 23, alleinerziehend und hatte schwierige Jahre hinter mir. In der Zelle machte ich morgens Yoga. Abends wusch ich die Unterwäsche, die ich am Morgen danach wieder anzog. Frühstück gabs um sechs: Bohnenbrei mit Tortillas.
Das Essen war nicht schlimm. Auch nicht die Enge, die fehlende Privatsphäre oder das Duschen mit kaltem Wasser. Schlimm war die Unsicherheit, wie es weitergeht, mit mir, mit meinem Sohn. Ich bekam ständig widersprüchliche Dinge zu hören. Nach zehn Tagen sagte man mir endlich, was mir überhaupt vorgeworfen wurde: Drogenhandel. – Wie absurd! Erst später erfuhr ich, dass da im Hintergrund bereits die Anwälte rotierten, die Schweizer Botschaft und – mein Vater. Er war extra nach Mexiko geflogen, um meinen Sohn aus dem Heim zu holen, Nach 15 Tagen und sieben Stunden wurde ich gegen Kaution entlassen. Das heisst: mitten in der Nacht in den Knastkleidern vor die Tür gestellt. Mit der Hilfe von Freunden schaffte ich es nach Mexico City. Im Flieger in die Schweiz konnte ich endlich aufatmen – und meinen Sohn in die Arme schliessen. Anfangs wehrte er sich dagegen, als wäre er wütend auf mich.
Ein Jahr ist seither vergangen. Das Verhältnis zu meinem Sohn hat sich normalisiert. Er ist heute einfach noch anhänglicher als früher. Das letzte Lied, das ich in meinem Zimmer gehört hatte, bevor ich damals nach Mexiko reiste, war Göläs «I hät no viu blöder ta». Du kannst mir glauben, das hat sich für mich erledigt.
* Name von der Redaktion geändert