Body & Soul
Wie ist es eigentlich, in einem Hotel aufzuwachsen?
- Aufgezeichnet: Flurina Decasper; Foto: SXC
Die Studentin Katharina Habersatter (20) aus Radtstadt erzählt, wie es ist, wenn man seine Kindheit in einem Hotel verbringt.
Als ich klein war, hat mir das ständige Tschüss-Sagen ziemlich zu schaffen gemacht. Du hast Hunderte von Freunden, aber immer nur auf Zeit. Die meisten kamen ein- oder zweimal pro Jahr. Und niemand blieb länger als ein paar Wochen. Das fand ich unfair. Ein Hotelkind zu sein, hat halt seine Tücken. Ich habe früh realisiert: Ich wohne und lebe anders als die meisten. Nicht nur weil mein Zuhause vier Sterne Superior und über siebzig Zimmer hat.
Besuchte ich zum Beispiel eine Mitschülerin, kochte meist ihre Mutter, sie sass mit am Tisch und hatte danach sogar Zeit zum Spielen. Aber ich registrierte auch: Das ist nicht immer so. An manchen Tagen sind die anderen Mamas von morgens bis abends weg – weil sie zur Arbeit müssen! Meine Mutter hingegen war immer daheim, was aber nicht bedeutete, dass sie permanent Zeit für mich hatte. So was kann ein kleines Kind schon ganz schön verwirren.
Aber jetzt, mit zwanzig, erlebe ich das als grosses Plus: Ja, als Hotelbesitzerin hat meine Mutter zwar von morgens bis abends zu tun. Aber sie ist immer in meiner Nähe. Das ist viel wert. Allein fühle ich mich nie. Wie auch? Zwischen unserer Wohnung und der Hotellobby liegt nur eine Tür. Da brauche ich nicht einmal Schuhe anzuziehen, um unter die Leute zu kommen. Ich kenne alle Gäste – die meisten, seit ich denken kann. Und alle kennen mich. Die Hotelgäste und ich, wir sind wie alte Freunde, auch wenn sie 180 Franken und mehr pro Nacht bezahlen, um bei uns sein zu dürfen.
Ich denke nie an ihr Bankkonto, verspüre keinen Neid, wenn jemand mit dem neusten Porsche oder einem signalroten Ferrari vorfährt. Darum habe ich auch nie verstanden, warum meine Mitschüler hier im Dorf manchmal neidisch auf mich waren. Direkt sagte das natürlich nie jemand. Aber ich war halt immer die mit dem Hotel. Das änderte sich erst, als ich auf die Tourismusschule kam.
Schwimmbad, Golfplatz oder Mehrgangmenü
Etwas vom Besten am Leben als Hotelkind ist die riesige Auswahl, die man hat. Wenn ich wollte, könnte ich an einem einzigen Tag zum Baden ins Schwimmbad, zum Reiten, auf den Golfplatz und in die Tennishalle. Und habe ich danach Lust auf meine Lieblingsspaghetti, brauche ich sie mir einfach zu bestellen. Aber eben: Wird einem alles auf dem Silbertablett serviert, verliert es schnell seinen Reiz. Ins Schwimmbad gehe ich kaum noch. Tennis mag ich nicht. Geritten bin ich auch jahrelang nicht mehr, erst seit kurzem nehme ich wieder Stunden. Und essen kann ich natürlich auch nicht wie die Gäste jeden Abend ein Mehrgangmenü. Sonst würde ich aufgehen wie ein Weggli. Aber es ist schon ein Luxus, dass ich nicht essen muss, was auf den Tisch kommt, sondern auch mal etwas nur für mich allein bestellen kann. Schupfnudeln mit brauner Sauce zum Beispiel.
Eigentlich gibt es nur etwas, das ich manchmal bedaure: Als Familie können wir nie mehr als ein paar Tage am Stück gemeinsam verreisen. In den Schulferien herrscht im Hotel Hochbetrieb, alle Betten sind besetzt. Und in der Zeit, in der wir dann endlich mal für ein paar Wochen geschlossen haben, bin ich 300 Kilometer entfernt an der Uni. Eine Reise quer durch die USA oder ausgiebige Badeferien in der Karibik liegen da nicht drin. Selbst an Heiligabend erwarten die Gäste, dass wir für sie da sind.
Ein Highlight ist jedes Jahr mein Geburtstag! Nicht nur, dass ich so viele Freundinnen einladen kann, wie ich möchte. Sie dürfen dann auch alle bei mir übernachten – in einem der grossen Hotelzimmer. Zum Glück hat sich noch nie ein Gast beschwert, manchmal herrscht da nämlich bis in die Nacht hinein Rambazamba! Und mal ehrlich: Wer sonst kann schon von sich behaupten, dass ihm zum Geburtstag immer über hundert Leute gratulieren?