Body & Soul
Wie ist es eigentlich, eine riesige Hochzeit abzusagen?
- Aufgezeichnet von Stefanie Rigutto; Foto: SXC
Andrea Winter* (36), Journalistin aus Davos, erzählt, wie es ist, die eigene Hochzeit wieder abzusagen und damit die Beziehung zu retten.
Das mit dem Heiraten war meine Idee. Wir waren fünf Jahre zusammen, unsere Tochter war gerade sechs Monate alt geworden. Plötzlich fand ich: Wir müssen heiraten. Jetzt sofort. Dabei waren wir uns eigentlich einig gewesen, dass uns eine Vaterschaftsanerkennung vorerst reichte. Rückblickend habe ich keine Ahnung mehr, was mich damals ritt. Ich war im Babyrausch. Jedenfalls fand ich, wir sollten denselben Nachnamen haben.
Es musste alles superschnell gehen. Im Mai sagte ich meinem Freund, dass ich heiraten wolle, und bereits im Oktober sollte das Fest sein. Mein Freund, der beruflich extrem absorbiert war, fand: «Wozu die Eile? Lass uns heiraten, wenn ichs im Job lockerer habe und das Kind grösser ist.» Nein, ich wollte die Hochzeit sofort. Schliesslich, so argumentierte ich, ist es wie mit dem Kinderkriegen: Den richtigen Zeitpunkt gibt es nie.
Wir machten den Termin beim Standesamt ab, reservierten ein Lokal, verschickten Einladungen an über hundert Gäste. Die ersten Probleme tauchten bei der Gästeliste auf. Mein Mann wollte auch noch den entferntesten Verwandten einladen, mir hätten die Familie und die engsten Freunde gereicht. Es gab hitzige Diskussionen. Bislang hatten wir alles locker genommen, wollten alles eher freestyle machen. Jetzt merkten wir: Entspannt sind Hochzeitsvorbereitungen nie. Schon gar nicht, wenn man über hundert Gäste einlädt. Es wurde harzig.
Im Juni kaufte ich mir ein Hochzeitskleid. Weiss. Von Max Mara. Danach ging es nur noch bergab. Wir stritten uns dauernd, waren uns in nichts mehr einig. Mein Freund hatte nie Zeit, bei den Vorbereitungen zu helfen. Ich fühlte mich allein gelassen. Der Babyrausch war vorbei, und mir wuchs alles über den Kopf.
So hatte ich mir das Ganze nicht vorgestellt! Und plötzlich kamen die Zweifel: Ist er überhaupt der Richtige? Ich zog die Notbremse. «Ich kann nicht mehr», sagte ich zu meinem Freund. «Only fools rush in», zitierten wir Elvis auf unserer Ausladungskarte, nur zwei Monate vor dem grossen Tag. Die Hochzeit verschoben wir auf unbestimmte Zeit. Ich hatte nicht vor, ein Fest zu feiern, von dem ich mir nicht sicher war, dass ich es noch wollte.
Eine Hochzeits-Farce wäre für mich der grössere Albtraum gewesen als die Schmach, die Hochzeit abzusagen. Ich wollte zuerst herausfinden: Geht es nur ums Heiraten, oder geht es auch um die Beziehung? Kaum war das Fest abgesagt, wich der Druck von meinem Herzen. Es war wie ein Befreiungsschlag. Einzig das schlechte Gewissen plagte mich. Ich meine, erst wollte ich unbedingt heiraten und dann unbedingt absagen! Mal hü, mal hott – unmöglich!
An jenem Samstag im Oktober, an dem die Hochzeit stattgefunden hätte, gingen wir wandern. Es war ein wunderschöner warmer Herbsttag. Da dachte ich: Shit, der Tag wäre perfekt gewesen. Trotzdem bereute ich den Entscheid nicht, auch wenn er im Moment – gerade für meinen Freund – sehr hart war.
Unsere Eltern und die engsten Freunde zeigten Verständnis, vom Rest der ausgeladenen Gäste gab es kaum Reaktionen. Erst Jahre später sagten uns einige: «Wir haben uns Sorgen gemacht. Wir dachten, ihr würdet euch trennen.» Nein, wir haben die Krise gemeistert. Die Absage der Hochzeit markierte den Tiefpunkt unserer Beziehung, danach ging es nur noch aufwärts.
Als wir merkten, dass es uns wieder besser ging, konnten wir relativ bald darüber lachen. Ein halbes Jahr haben wir noch daran gekaut, danach wars vergessen. Das Kleid habe ich immer noch. Jedes Jahr schaue ich es mal an und überlege mir, ob ichs verkaufen soll. Übrigens, letztes Jahr haben wir uns doch noch getraut – fast fünf Jahre nach unserer abgesagten Hochzeit. Wir haben ganz allein geheiratet. In New York. Nur mit den Trauzeugen. Es war perfekt.
* Name geändert