Wenn man in Indien als weiblicher Mönch lebt
- Aufgezeichnet von Gina Sergi; Foto: unsplash
Fünf Uhr morgens – ich hole Feuerholz, um damit den Tee zu brauen und das Duschwasser aufzuwärmen. Anschliessend bereite ich die Messe vor. Ist sie fertig, befreie ich Reis von Steinen, bereite Linsen und Gemüse vor und knete Brotteig; wenn alles bereit ist, wird mit dem Kochen begonnen. Nach dem gemeinsamen Essen wasche ich die Teller mit Erde und Kokosrinde ab. Pause, wir halten Mittagsschlaf. Um vier Uhr nachmittags wechsle ich die Kleidung. Wir trinken Tee und singen. Oft lauschen wir den Upanishaden, philosophischen Schriften des Hinduismus. Nach der Abendmesse koche ich für Bedürftige und Dorfbewohner. Um elf Uhr falle ich todmüde in mein Bett.
So sah mein Tagesablauf etwa sieben Jahre lang aus, als ich in Indien in einem Orden als Mönch gelebt habe. Es war kein bewusster Entscheid, mich in ein Kloster zu begeben. Meine innere Resonanz wurde vom Ort und seinen Umständen angezogen. Obwohl ich niemals einer Gemeinschaft, Orden oder sonstigen Vereinigungen beitreten wollte, fand ich im hinduistischen Kloster nicht nur Seelenverwandte, sondern auch die Liebe meines Lebens. Es fühlte sich so an, als sei ich lange weg gewesen und nun wieder zurückgekommen.
Abgesehen von meinem Omi fehlte mir nichts und niemand vom europäischen Leben. Ich war frei und hatte keine eigenen materiellen Güter mehr. Es gab auch schwierige Situationen, wie der Umgang mit meinen körperlichen Gegebenheiten während der Regel, Unfällen oder Krankheit. Ob es nun glühend heiss, bitterkalt oder triefend nass war, fürs Klo musste man den Tempel verlassen, um nach Hunderten von Metern Entfernung sein Vorhaben zu verrichten. Das war für mich immer eine echte Herausforderung, wenn ich körperlich geschwächt war. Ich lebte unter vielen Männern. Es machte aber keinen Unterschied, dass ich eine Frau war. Ich hatte die gleichen Pflichten und Rechte wie jeder andere im Orden. Jedoch erfuhr ich von meinen Brüdern und Lehrern immer den Respekt, den sie ihren weiblichen Götterbildern zugestanden. Man passte auf, dass es mir an nichts fehlte; war ich starker Sonne ausgesetzt, hielt garantiert jemand einen Sonnenschirm über meinen Kopf. War ich krank, wurde ich gefüttert, gewaschen und angezogen. Wir praktizierten Bhakti und Karma-Yoga – eine Form der Gottesliebe und selbstloser Dienst. In dieser Zeit wuchs mein eigenes Bewusstsein über die Welt, das Leben und die eigene Rolle darin. Ich fühlte mich beschützt, umsorgt, respektiert und um meiner selbst willen geliebt. Erst da wurde mir bewusst, welch tiefe Liebe und gegenseitiger Respekt zwischen Mann und Frau möglich wäre. Ich verliebte mich in einen spirituellen Meister, und er verliebte sich in mich. Diese Liebe war verboten – aber wir konnten uns nicht dagegen wehren. Unsere Liebe fand aber auf einer ganz anderen Ebene statt als die Liebe, die ich aus Europa kannte. Am Anfang fand ich das schwierig. Unsere Zuneigung lebten wir auf einer seelisch-emotionalen Ebene aus, ganz ohne Berührungen. Das machte unsere Verbindung aber umso intensiver.
Dann kam der überraschende Wendepunkt: Wir gaben uns in einer einzigen Liebesnacht dem körperlichen Kontakt hin. Aus dieser verbotenen Nacht entstand meine Tochter. Was danach passierte, fühlte sich wie ein schlecht verfasstes Drehbuch an. Eine Aneinanderreihung von unglücklichen Umständen führte dazu, dass ich unschuldig und schwanger in einem indischen Gefängnis landete und so brutal von meiner Seelenliebe getrennt wurde. Diese Zeit war schwierig, aber ich konnte mit meiner Tochter fliehen. Auch nach meiner Flucht aus Indien hat sich meine innere Haltung gegenüber dem Mönchsein nicht verändert. Ich gehe noch immer mit einer bewussten Einstellung und der gleichen Sichtweise durchs Leben, allerdings an die äussern Umstände angepasst.
Sabrina De Stefani (55), Personalberaterin, St. Gallen