Wenn man als Enkelin von Franz Carl Weber aufwächst
- Text: Freelancer
- Viviane Stadelmann; Foto: iStock
Ruth Holzer (80) leitet das Spielzeugmuseum Zürich. Sie erzählt, wie es als Kind war, wenn dem Grossvater das bekannteste Spielwaren-Fachgeschäft der Schweiz gehört.
Natürlich habe ich viel gespielt als Kind. Wer liebte das nicht? Aber das Spielen hatte in unserer Familie keinen höheren Stellenwert als in anderen. Das Spielwarengeschäft gehörte meinem Grossvater Franz, mit vollem Namen hiess er Franz Philipp Karl Friedrich Weber. Als Kinder hatten wir mit dem Unternehmen nicht viel zu tun.
Besonders mochte ich es, draussen zu spielen. Ich wuchs im Engequartier in der Stadt Zürich auf. Wir wohnten im vierten Stock, ohne Garten. Aber damals konnten wir noch auf der Strasse spielen. Wir fuhren mit Dreirädern oder hüpften über Himmel und Hölle. Ich wuchs als Einzelkind auf und freute mich, wenn alle Nachbarskinder zusammenkamen. Ich glaube schon, dass einige Kinder mich damals um meinen Grossvater beneidet haben. Welches Kind träumt nicht davon, sich im Franz Carl Weber auszutoben? Doch Fantasie und Realität unterschieden sich da sehr. Wir lebten nicht pompös und mein Zimmer platzte auch nicht vor Spielzeug aus allen Nähten. Wir mussten unsere Fantasie benutzen. Wir bauten Hütten unter dem Tisch und verhängten diese mit Tüchern. Mein liebstes Spielzeug war ein Kochherd von Märklin, dem Eisenbahnhersteller. Darauf konnte man elektrisch Wasser und Suppe kochen. Schon lustig: Als Kind habe ich mich gefreut, als Erwachsene endlich kochen zu können. Und heute? Ich koche nicht mehr wirklich gern.
Unsere Familie war eng miteinander verbunden. Jeden Samstag um Punkt fünf Uhr schloss mein Grossvater seinen Laden an der Bahnhofstrasse und lud meine Mutter und mich zu Kaffee und Tee in seiner darüber gelegenen Wohnung ein. Dann durfte ich mit meinen Cousinen und Cousins jeweils im Untergeschoss spielen gehen. Da gab es einige Fahrzeuge, kleine Velos, mit denen wir fahren durften – im Laden selber leider nicht. Als Grossvater damals an die Bahnhofstrasse zog, war das noch keine gute Nachbarschaft, so wie sie es heute ist. Das kam erst, als die Bahnhofstrasse ausgebaut wurde. Meine Grossmutter kannte ich leider nicht mehr, sie ist gestorben, bevor ich zur Welt kam. Mein Grossvater hatte eine Haushälterin, die sich um ihn kümmerte. Ich erinnere mich daran, wie er mit ihr jeweils die Bahnhofstrasse rauf und runter spazierte und dann auf einem Bänkli beim Rennweg sass und schaute, was so los ist in der Stadt. Das waren früher andere Zeiten, damals machte man das noch so. Er starb mit 94 Jahren und lebte bis zum Schluss über seinem Laden. Erst übernahmen meine beiden Cousins das Geschäft, danach wurde es verkauft. Damit endete ein Lebensabschnitt.
Meine Mutter hat Dekorateurin gelernt und war auch teilweise im Franz Carl Weber tätig. Schon früh hatte sie Kupferstiche und Bilder gesammelt. Dann beauftragte man sie zum 75-Jahr-Jubiläum damit, Spielzeug zu sammeln, weil man nie etwas aufbewahrt hatte. Mein Grossvater tat nichts zur Seite. So kam die Sammlung zustande. 1956 eröffnete das kleine Spielzeugmuseum im sechsten Stock an der Bahnhofstrasse. Ich übernahm die Leitung nach meiner Mutter. 1981 zog das Museum an den Rennweg. Wir sind eine Stiftung, die Finanzierung ist schwierig und es ist unsicher, ob es weitergeführt werden kann. Aber wir haben immerhin 10 000 Besucher jedes Jahr – für so ein kleines Museum ist das viel.
Vielleicht habe ich mir meine kindliche Seite durch die Beschäftigung im Spielzeugmuseum schon etwas stärker bewahrt als andere. Wir machen gern Führungen für Kinder. Die Begeisterung in ihren Augen hält einen jung. Und für die Kinder hat es auch einen pädagogischen Wert, wenn sie sehen, wie man früher gelebt oder mit welchen Spielsachen man gespielt hat. In der Miniaturküche sieht man zum Beispiel, wie man Kaffee kochte: Man bekam ihn roh als grüne Bohnen. Dann röstete man ihn zu Hause, malte ihn in der Kaffeemühle und erst dann konnte man ihn trinken. Den meisten Kindern ist nicht klar, dass man dafür nicht schon immer nur eine Kapsel einwerfen und einen Knopf drücken konnte. Spielzeug ist ein echtes Zeitzeugnis. Nicht nur für mich selber, sondern hoffentlich auch noch lang für viele Besucherinnen und Besucher in der Zukunft.