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Wenn die Ehe in die Brüche geht: Interview mit einer Scheidungsanwältin

Liebe & Sex 

Wenn die Ehe in die Brüche geht: Interview mit einer Scheidungsanwältin

  • Interview: Sven Broder; Fotos: Roderick Aichinger

Selbst wer sich glücklich verheiratet wähnt, fängt am besten schon heute an, Belege und Bankauszüge zu sammeln. Sagt Maya Stutzer, Scheidungsanwältin der Schönen und Reichen.

ANNABELLE: Maya Stutzer, gehen Sie gern zur Arbeit?
MAYA STUTZER: Ja. Warum fragen Sie das?

Weil man es im Beruf mit glücklicheren Menschen zu tun haben kann als mit Eheleuten in Scheidung.
Das ist, als fragten Sie einen Arzt, ob er nicht lieber nur mit gesunden Menschen arbeiten würde.

Ihre Kanzlei liegt an bester Zürcher Adresse. Wird bei Ihnen besonders unerbittlich gestritten, weil es neben all dem Trennungsschmerz auch noch um sehr viel Geld geht?
Bei einer Scheidung geht es immer ums Geld – selbst bei Paaren, bei denen gar keines da ist. Dass bei meinen Mandanten das Geld nicht die grösste Sorge ist, wirkt eher entschärfend.

In welchem Sinn?
Ist das Geld knapp, geht eine Scheidung ans Lebendige. Entsprechend verbissen wird darum gekämpft. Meine Klienten hingegen haben das Bedürfnis, dass das Ganze schnell und diskret abläuft. Was man unbedingt verhindern will, ist ein strittiges Verfahren vor Gericht.

Warum?
Dort gibt es viele Augen und Ohren.

Bekommen die Medien Wind davon, droht eine öffentliche Schlammschlacht …
Einerseits das. Andererseits wird vor Gericht nicht nur tief in die intimen Winkel der Beziehung hineingeleuchtet, sondern auch in die privaten, allenfalls heiklen Vermögens- und Geschäftsverhältnisse. Aus Sorge um die eigene Reputation haben schon viele klein beigegeben.

Und tiefer in die eigene Tasche gegriffen, als vielleicht nötig gewesen wäre?
Das kommt vor. Geld kann aber auch als Drohkulisse dienen: Wenn du nicht einlenkst, werde ich prozessieren, bis dir das Geld ausgeht!

Sie sind Anwältin, bieten aber auch Scheidungsmediation an. Warum?
Weil sich damit strittige Verfahren oft vermeiden lassen. Zudem wird die Lösung nicht von einem Gericht aufgezwungen, sondern gemeinsam erarbeitet. Grundsätzlich geht es ja darum, für ein zerstrittenes Paar eine neue Basis zu finden. Da ist ein Gerichtsprozess Gift.

Warum?
Vor Gericht müssen Sie als Anwältin eine Extremposition vertreten und zugleich die Position der Gegenpartei schwächen. Gerade wenn Kinder mit im Spiel sind, ist das extrem heikel.

Seit über 30 Jahren sind Trennungen Ihr Metier. Glauben Sie noch an die Ehe?
Natürlich! Ich bin seit 34 Jahren verheiratet!

Wie lange dauerte das längste Scheidungsverfahren Ihrer Karriere?
Acht Jahre.

Ihr grösster Fall?
Kann ich nicht sagen. Aber ich hatte schon Fälle, wo es um Unterhaltsbeiträge von monatlich 80 000 Franken und mehr ging.

Klingt nach: Reicher alter Herr lässt sich auf ein junges Ding ein – und wird ausgenommen wie eine Weihnachtsgans. Sind diese Männer dumm oder nur naiv?
Dumm nicht. Männer, die sich auf so ein Spiel einlassen, wissen in der Regel sehr genau, was sie das kostet – und was sie dafür bekommen.

Aber man könnte sich ja schützen, mit einem Ehevertrag zum Beispiel?
Ja, aber ein Ehevertrag verhindert längst nicht, dass man am Ende doch zur Kasse gebeten wird.

Wieso?
Mit Eheverträgen kann man Vermögensfragen regeln. Sprich: Wie wird das Geld, das die Ehepartner in die Ehe einbringen beziehungsweise während der Ehe erwirtschaften, im Scheidungsfall verteilt. Einen Schutz vor hohen Unterhaltsbeiträgen bietet ein Ehevertrag jedoch nicht. Und der Unterhalt ist das, was ganz schön einschenken kann.

Wie wird dieser denn berechnet?
Nehmen wir an, ein Banker finanziert über Jahre das schicke Leben seiner Frau. Sie fliegen auf die Bahamas, er kauft ihr Schmuck und teure Designertäschchen. 30 000 Franken lässt er sich das monatlich kosten. Eines Tages verlässt er sie. Als Coiffeuse kann sie nun aber bestenfalls noch 4000 Franken verdienen. Für die Differenz, also die 26 000 Franken, muss dann er aufkommen, weil sie Anspruch hat auf die Weiterführung ihres bisherigen Lebensstandards.

Für wie lange?
Das ist die grosse Frage – und meistens auch der grosse Streitpunkt vor Gericht.

Die Designerkleider im Schrank: Gehören die nach der Scheidung der Frau, auch wenn sie ihr der Mann gekauft hat?
Natürlich. Und sie wird auch künftig ihre Gucci-Tasche kaufen können, wenn das zu ihrem bisherigen Lebensstandard gehört hat.

Aber diesen Lebensstandard nachzuweisen, dürfte nicht einfach sein?
Nein. Ich erlebe oft, dass Frauen nicht mehr an die wichtigen Belege und Bankunterlagen herankommen, wenn die Trennung einmal ausgesprochen ist. Will sich der Mann vor seinen Verpflichtungen drücken, hat einen guten Anwalt und ist bestenfalls noch selbstständig, ist die Frau vor Gericht oft in einer sehr schlechten Position.

Wie bereitet Frau sich am besten vor?
Ist sie gut beraten, dann beginnt sie ein bis zwei Jahre vor der eigentlichen Trennung mit dem Sammeln von Belegen, macht Kopien von Bankauszügen und so weiter. Will sie für die Scheidung eine optimale Ausgangsposition schaffen, muss bereits die Trennung bestens vorbereitet sein.

Wer also unüberlegt in eine Trennung geht oder gleich klein beigibt, weil er sich schuldig fühlt …
… der hat im Grunde bereits verloren.

Als Anwältin müssen Sie gerissen sein, zuweilen auch richtig gemein. Sind Sie noch ein guter Mensch?
Ja! Aber ein wenig abgebrüht vielleicht.

Aber Sie lernen in Ihrem Beruf doch viele kleine Teufelchen kennen?
Diese kleinen Teufelchen sitzen bei einem Scheidungsverfahren auf beiden Seiten.

Ist die Höhe der Unterhaltszahlungen eigentlich unabhängig vom Verschulden?
Ja. Ob sie eine Affäre hatte mit dem Golflehrer oder er mit der Sekretärin, ist völlig egal. Das will der Richter nicht einmal wissen.

Raten Sie Leuten noch zum Heiraten?
Heiraten soll man aus Liebe.

Aber ist Heiraten nicht längst eine Vernunftfrage geworden?
Heiraten soll eine Herzensangelegenheit sein. Punkt. Zudem hat das Pendel wieder zurückgeschlagen. Die jungen Leute verloben sich wieder, das war zu meiner Zeit total uncool.

Aber wenn schon heiraten, dann raten Sie zumindest zur Gütertrennung, oder?
Will jemand seine Firma schützen, die während der Ehe expandiert, oder sein künftiges Einkommen, dann ja. Berate ich die Frau, die sich um die Kinder kümmert, dann natürlich nicht. Denn sie würde nichts vom Vermögen erhalten, obwohl ihr Mann dieses nur aufbauen konnte, weil sie ihm den Rücken freihielt.

Kann man während der Ehe mit seinem Geld anstellen, was man will?
Ja. Man kann es auf die Seite legen oder es verprassen. Jeder wie er gern möchte. Solange die Ehe Bestand hat, ist es fast, wie wenn man gar nicht verheiratet wäre. Das wissen viele nicht.

Der grosse Aufschrei kommt dann vor dem Scheidungsrichter.
Genau. Denn der Part, der sparsam gelebt hat, muss dann die Hälfte seiner Errungenschaft abgeben. Der Part jedoch, der alles verprasst hat, muss nichts abgeben – ist ja nichts mehr da!

Genauso wird bestraft, wer seine Frau jahrelang verwöhnt hat, weil er nach der Scheidung dick Unterhalt zahlen muss.
So wie die Frau, die sparsam gelebt und viel gearbeitet hat, nach der Scheidung schlecht wegkommt. Im Grunde ist ein Scheidungsurteil die Perpetuierung der ehelichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Trennung – so einfach.

Und so ungerecht.
Zuweilen, ja.

Ist Scheiden teurer geworden?
Nicht teurer, aber komplizierter.

Warum?
Weil die Rollen nicht mehr so klar verteilt sind. Das Kind zum Beispiel bekommt in der Regel zugesprochen, wer sich mehr darum gekümmert hat. Haben nun beide 80 Prozent gearbeitet, wer bekommt dann das Kind? Ich will nicht der Richter sein, der das entscheiden muss.

Kann ich im Ehevertrag festschreiben, wie viel Sex ich pro Woche möchte?
Natürlich nicht. So etwas hat rechtlich keinen Bestand. Auch dann nicht, wenn der Vertrag von beiden Seiten unterschrieben wurde.

Steht da gar nichts Spannendes drin in diesen Eheverträgen?
Tut mir leid – nein!

Als sich Katie Holmes von Tom Cruise trennte, rechnete man mit einer grossen Schlammschlacht. Aber nichts ist passiert.
In solchen Fällen gibt es Eheverträge, die grosse finanzielle Streitigkeiten unterbinden. Und es werden Anreize geschaffen im Stil von: Ich zahle dir so und so viel, wenn wir uns gütlich trennen und nichts an die Presse gelangt. Hältst du dich nicht daran, wirst du dafür bezahlen.

Hollywoodstar Mel Gibson musste seiner Ex-Frau angeblich die Hälfte seines 800-Millionen-Vermögens abgeben.
Das ist Pech.

Klatschhefte interessieren Sie nicht so?
Nein, die lese ich nicht … Das heisst: Doch – alle fünf Wochen beim Coiffeur.

Aber Walter Roderer kennen Sie. Hätten Sie ihm zur Heirat mit seiner 60 Jahre jüngeren Grossnichte Anina geraten?
Wie gesagt: Ich rate niemandem zur Ehe.

Als Alleinerbin hätte Anina das Erbe ihres Grossonkels zu rund 35 Prozent versteuern müssen. Als Ehefrau nicht. Das war doch ein geschickter Zug.
Vielleicht. Vielleicht aber hatte Walter Roderer auch einfach noch ein paar Sternstunden mit seiner Anina. Und sie wurde dafür fürstlich entlöhnt. Solange keine Kinder aus vorhergehenden Ehen geprellt werden, ist das doch okay.

Warum diese Einschränkung?
Männer, die sich im Alter noch auf eine jüngere Frau einlassen und nochmals Kinder zeugen mit ihr, sollten sich bewusst sein, dass ihre ersten Kinder oft extrem Mühe damit haben.

Weil sie Angst haben um ihr Erbe?
Vor allem fühlen sie sich von ihrem Vater verraten; jetzt holt er mit seinen neuen Kindern all das nach, wofür ihm früher die Zeit gefehlt hat.

Um was kämpfen Männer am härtesten?
Kinder und Geld.

Und Frauen?
Kinder und Geld.

Wer sind die schwierigeren Klienten, die Männer oder die Frauen?
Für Männer ist es frustrierend, weil man für sie oft gar nicht so viel erreichen kann. Vor allem, wenn sie viel verdienen und der Lebensstandard hoch war. Frauen sind schwierig, wenn sie emotional stark leiden. Dann sind sie mit sachlichen Argumenten oft kaum mehr zu erreichen.

Mussten Sie schon mal die Polizei rufen, weils gefährlich wurde für Sie?
Nein.

Welche Faktoren sorgen für Streit?
Grosse kulturelle Unterschiede oder ein grosses wirtschaftliches Ungleichgewicht. Und noch immer können es Männer kaum ertragen, wenn ihre Frau mehr Geld nachhause bringt.

Eine Frau, die sich auf das Geld ihres Mannes verlässt, braucht eine Scheidung nicht zu fürchten: Gilt das heute noch?
Frauen von Männern, die viel verdienen, fahren definitiv gut. Frauen von schlecht verdienenden Männern hingegen leben nach einer Scheidung oft sogar unter dem Existenzminimum.

Weil man einem Mann das Existenzminimum nicht antastet.
Genau. Ihr bleibt im Ernstfall nur der Gang zum Sozialamt. Und sobald es ihr finanziell besser geht, muss sie das Geld wieder zurückzahlen.

Scheinehen sind verboten. Zweckehen nicht. Ist das fair?
Sicher. Früher waren Ehen fast immer Zweckehen. Die Heirat aus Liebe ist eine relativ neue Errungenschaft.

Kommt es vor, dass Sie vor einer Ehe präventiv als Beraterin aufgesucht werden?
Heiraten Kinder aus guten Familien, kann das vorkommen, wenn es um das Aushandeln von Eheverträgen geht. Aus Sorge um das Familiensilber oder aus Sorge um das Wohl der Kinder werden heiratswillige Söhne und Töchter zuweilen ganz schön unter Druck gesetzt.

Klingt unromantisch.
Das ist unromantisch.

Aber ein gutes Geschäft für Anwälte.
Uns geht die Arbeit nie aus. Zumal die Menschen in Liebesdingen ja auch ein wenig beratungsresistent sind.

Sind die Leute, die ständig aufs Neue heiraten und sich wieder scheiden lassen, dumm oder schlicht zu romantisch?
Die Sehnsucht nach der grossen Liebe verebbt eben nie. Aber dumm, nein. Höchstens ein bisschen zu emotional in ihren Entscheidungen.

… vor allem die Männer?
Ja, aber sie können sich das auch eher erlauben. Eine Frau, die Kinder möchte und dafür beruflich zurückstecken muss, macht sich eher Gedanken, auf wen sie sich einlässt. Mann ist da leichter um den Finger zu wickeln.

Quick Wedding in Las Vegas: Ist so eine Ehe in der Schweiz überhaupt gültig?
Ja.

Wenn ich beim Ja-Wort betrunken war?
Das interessiert niemanden. Ausser Sie können belegen, dass Sie nicht zurechnungsfähig waren.

Wer bekommt im Scheidungsfall den Familienhund?
Wenn er in die Ehe mit hineingebracht wurde, ist er Eigengut und gehört dem Ehegatten, der ihn gekauft hat. Kam er später dazu, ist er Errungenschaft und geht an den, der nachweisen kann, dass er ihn gekauft hat. Im Zweifelsfall wird der Richter den Hund dem Ehegatten zuteilen, der sich mehr um ihn gekümmert hat.

Wohl des Hundes, Wohl des Kindes – bekommt die unterlegene Partei also auch ein Hundebesuchsrecht?
Sie werden lachen: Ja! Und kommts hart auf hart, wird ein Hundepsychologe aufgeboten, der prüft, ob der Familienhund unter der Trennung oder der aktuellen Regelung zu leiden hat.

Meine Ex hat einen neuen Partner. Muss ich für sie weiterhin Unterhalt zahlen?
Heute regelt man diese Frage normalerweise in der Scheidungskonvention mit einer sogenannten Konkubinatsklausel. Wenn nicht, müssen Sie vor Gericht nachweisen, dass Ihre Ex-Frau wieder in einem gefestigten Konkubinat lebt – ein solches wird vermutet nach fünfjährigem Zusammenleben. Aber ist sie gut beraten …

… oder gerissen …
… dann wird ihr neuer Partner die eigene Wohnung behalten. Ein gefestigtes Konkubinat lässt sich dann fast nicht belegen.

Und ich bezahle weiter?
Ja.

Was, wenn der Mann nicht zahlt?
Dann müssen Sie ihn betreiben. Hat er Geld, Rang und Namen, wird das etwas nützen. Andernfalls ist die Frau aufgeschmissen: Es gibt tausend Spielchen, die diese Männer dann spielen können. Ganz schlimm …

2014, falls kein Referendum ergriffen wird, dürfte die gemeinsame elterliche Sorge zum Regelfall werden. Finden Sie das gut?
Grundsätzlich ja. Nur wird sich damit nicht viel ändern. Wenn Eltern nicht gewillt oder nicht fähig sind zu kooperieren, löst die gemeinsame Sorge keine Probleme, im Gegenteil. Statt wie bisher ums Sorgerecht wird dann ums Besuchsrecht und um die Obhut gestritten. Wer die Obhut hat, hat das Sagen – dies gilt auch künftig.

Aber in Zukunft kann ein Elternteil nicht mehr einfach mit den Kindern wegziehen ohne die Zustimmung des anderen.
Stimmt. Doch diese Regelung schafft auch neue Probleme, insbesondere bei binationalen Ehen – und die sind in der Schweiz immer häufiger.

Was für Probleme meinen Sie?
Ein Fall, den ich relativ häufig antreffe: Ein Mann ist geschäftlich in Amerika. Er verliebt sich, bringt seine Frau mit in die Schweiz. Nach drei Jahren geht die Ehe auseinander. In der Schweiz hat sie noch kein Umfeld, keine Freunde, keine Familienangehörigen, sie ist verletzt und traurig. Muss sie jetzt hierbleiben mit den Kindern, damit der Vater die Kinder sehen kann, oder darf sie zurück in die Heimat …

… und dann ist der Vater der arme Kerl!
So ist es. Sie sehen: Das sind Fragen von so enormer Tragweite, dass sie mit dem Recht allein nicht zu lösen sind. Es ist ja auch empörend, dass Frauen immer wieder das Besuchsrecht des Vaters torpedieren können, so lange, wie es ihnen beliebt. Auch wenn den Vätern das Besuchsrecht gerichtlich zugesprochen ist, setzen Behörden dieses Recht nicht durch.

Zum Schluss die Frage: Wir haben jetzt 90 Minuten miteinander geredet. Was hätte mich dieses Gespräch mit Ihnen gekostet?
Die Stundenansätze von Scheidungsanwälten bewegen sich zwischen 280 und 400 Franken.