Body & Soul
Traummann gesucht
- Text: Helene AecherliIllustrationen: Lisa HartungErstellt: 29. Januar 2010
Das unglaubliche Dating-Tagebuch einer ganz normalen Frau, die einen ganz normalen Mann sucht. Zudem finden Sie eine Pinwand mit den witzigsten, schrägsten und schönsten Dating-Erlebnissen sowie Tipps, Infos und Adressen zu Speed-Dating, Chemistry-Check & Co.
Dereinst im Mai wird er plötzlich vor ihr stehen, der Traummann unserer Redaktionskollegin Helene Aecherli. Das jedenfalls wünschen wir ihr von Herzen! Die Geschichte einer ganz normalen Frau, die einen ganz normalen Mann sucht.
Vor exakt zwei Jahren schleuderte ich einen Apfelschäler haarscharf an meinem Partner vorbei gegen die Küchentür, packte meinen Koffer und verliess nachts um halb elf Uhr die Wohnung, die wir sechs Monate zuvor bezogen hatten. Es war eiskalt und regnete in Strömen, aber ich spürte nur die abgrundtiefe Wut in mir. «Ich liebe dich zu wenig für das, was du dir wünschst», hatte er gesagt und mich angeschaut wie ein Schulbub, der eben beim Spicken erwischt worden ist. Wir waren zehn Jahre lang zusammen gewesen, und ich hatte mir gewünscht, dass unsere Beziehung verbindlicher würde. Und bis zuletzt gehofft, dass er begreift: Der Kinderwunsch einer mittlerweile 40-jährigen Frau lässt sich einfach nicht länger verdrängen.
In der Nacht des Apfelschälers verlor ich nicht nur eine grosse Liebe, sondern auch die Perspektive, Mutter zu werden. Ich hatte das Gefühl, auf der letzten Meile sitzen gelassen worden zu sein.
«Mit vierzig ist doch noch alles offen», versuchten mich meine Freundinnen zu trösten. «Männer sind wie Busse: Es kommt immer wieder ein neuer» – «Eine Frau wie du kann doch jeden haben!» Sie setzten alles daran, mein zerschmettertes Selbstbewusstsein zusammenzupflastern, doch ich empfand die gut gemeinten Ratschläge als blanken Hohn. Ich ahnte, dass das mit dem neuen Mann nicht so einfach werden würde, zumal sich eine gute Bekannte, als sie in meinem Alter war, von ihrem Partner getrennt hatte und danach dreissig Jahre lang unbemannt gewesen war. Ich sah meinen Körper schon vor sich hinwelken: ungesehen, unberührt, ungenutzt, nutzlos.
Ausserdem drückten mir die Ratschläge einen Stempel auf, den ich eigentlich nie mehr tragen wollte: «Single». Denn das bedeutete: alles wieder von vorn – kennen lernen, vorsichtiges Beschnuppern, leidenschaftliche SMS-Flirts, erste Dämpfer. «Du musst dich halt nicht davon beeindrucken lassen, was Männer sagen, sondern davon, was sie tun», ermahnte mich ein befreundeter Neurologieprofessor geduldig (und tut es noch heute), wenn sich ein Typ nach heissen Liebesbekundungen wieder mal tot gestellt hatte. Von vorn anzufangen, erschien mir wie nach dem Studium in die Primarschule zurückzukehren.
Ich lag so lange in Trauer darnieder, bis mich meine Schwester heftig rügte: Ich solle meine verbleibende Lebenszeit verdammt noch mal nicht damit verschwenden, mich in Selbstmitleid zu suhlen, sondern lieber endlich was unternehmen – womit sie unangenehmerweise Recht hatte. Denn mit vierzig hat eine Frau statistisch gesehen noch 45.2 Jahre zu leben. Und die drohen blitzschnell zu vergehen. Also rappelte ich mich mühsam auf und legte irgendwann den Schalter im Kopf auf «durchstarten» um. Ich würde mir meine Strapse anschnallen, die Corsage schnüren und mich aufmachen, einen Mann zu angeln. Die Frage war nur: wie genau?
Ich beschloss, niederschwellig anzufangen und begann, die Männer in meinem erweiterten Arbeitsumfeld, im Tram und Zug und auf meinen Einkaufstouren genauer zu studieren. Ein guter Überblick ist schliesslich die Grundlage jeder erfolgreichen Handlung. Das Ergebnis war ernüchternd: Schnell stellte ich fest, dass die meisten wirklich sympathischen, intelligenten und attraktiven Männer in meinem Alter entweder schwul oder beringt sind. Von den übrigen, denen ich begegnete, erschienen mir viele als gratiszeitunglesende iPod- und Handy-Autisten (gilt ehrlicherweise auch für Frauen), die wie Lemminge in Büros oder Bars strömen und nicht merken, dass sie mit wichtiger Stimme unerträgliche Banalitäten von sich geben.
Folglich richtete ich meine Aufmerksamkeit auf Männer ohne Kopfhörer und sichtbare Elektronik-Toys. Lief mir einer über den Weg, lächelte ich ihm strahlend zu, worauf der Auserwählte zwar zurücklächelte, seine Schritte aber beschleunigte oder in den Bus eilte, aus dem ich gerade gestiegen war. Erblickte ich einen im Restaurant, schaute er nur rasch von seiem Teller auf oder blieb stoisch in sein Buch vertieft. Als ich mich einmal sogar dazu hinreissen liess, einem echt kernig wirkenden Kerl nach einem kurzen Flirt meine Visitenkarte in die Hand zu drücken, starrte der mich bloss verblüfft an, steckte die Karte in seine Jackentasche und sagte: «Tut mir Leid, Schätzchen. Aber ich schlafe nur mit verheirateten Frauen.» Es war, als hätte die Männerwelt beschlossen, einen grossen Bogen um mich zu machen.
Ich war konsterniert. In meiner früheren Existenz als liierte Frau hatte ich stets eine kleine, feine Schar von Verehrern gehabt, die mein damaliger Partner, von sportlicher Eifersucht getrieben, als «Warteliste» bezeichnete. Jetzt aber herrschte die totale Flaute. Die einstigen Bewunderer waren von mir abgefallen wie voll gesogene Egel, und neue waren weit und breit keine zu orten. Vielleicht, dachte ich düster, witterten die Männer meine Verletztheit. Vielleicht sonderte ich ja einen Geruch ab, der sie abschreckte, was wohl sogar biologisch zu erklären gewesen wäre. In der freien Wildbahn nähert sich kein Hirsch einer waidwunden Hirschkuh. Wieso sollte es unter Menschen anders sein? Die Welt gehört den Siegerinnen, und Bridget Jones ist eine Filmfigur. Mein einziger Vorteil gegenüber der angeschossenen Hirschkuh war, dass ich trotz allem noch andere Möglichkeiten hatte, als mich ins Unterholz zurückzuziehen und auf die Hunde zu warten. Eine dieser Optionen gehörte zur Kategorie «Vermittlungsversuche des näheren Bekanntenkreises».
Eines Tages rief mich eine Freundin an und offenbarte mir zwitschernd, dass sie den Traummann für mich gefunden hätte: 1.85 Meter gross, schlank, blond, musisch begabt, Hochschuldozent, soeben von einem Auslandsaufenthalt zurückgekehrt, knapp über vierzig, Single, paarungswillig. Ob sie ihn an eine Vernissage einladen und mir präsentieren sollte? Ich war Feuer und Flamme, mein Herz klopfte seit Monaten erstmals wieder spürbar.
«Die Suche hat vielleicht jetzt schon ein Ende», froh lockte ich, sah mich mit meiner neuen Liebe bereits glücklich gurrend am Strand von Bali, zückte meinen knallroten Lippenstift und die scharfen schwarzen Stiefel, schritt beschwingt zum Ort der Vorführung und betrat die Szene wie vereinbart in dem Moment, als das Gläserklirren bereits voll im Gang war.
Ich erstarrte, noch bevor mir meine Freundin verschwörerisch zublinzeln konnte: Vor mir stand ein beamtenblauer Anzug mit leichtem Buckel und Bürstenschnitt. Er hatte nette Augen, aber einen rücksichtslosen Zug um den Mund, und wirkte so spröde, als hätte er nie in ein saftiges Stück Fleisch gebissen, geschweige denn die Hand einer Frau gewärmt. Wir räusperten uns, nippten am Wein und schwiegen. Irgendwann erzählte er mir von seiner Arbeit, von seinen Excel-Tabellen und davon, dass er bald nach Hause müsse, weil er um neun Uhr eine Telefonkonferenz mit seinen Eltern vereinbart hätte. Ich liess einen Salzstängel fallen, den ich stellvertretend für meine rosaroten Barbiewünsche unter den Absätzen zerdrückte.
Später erfuhr ich, dass Bürstenschnitt sehr von mir angetan gewesen sei und mich gern näher kennen lernen wollte. Ich war verunsichert: Hatte ich nicht richtig hingeschaut? Ihm vielleicht Unrecht getan? Verbarg sich hinter seinem trockenen Äusseren ein charmanter Mann? Ein grossartiger Liebhaber gar? Verbundenheit mit den Eltern ist ja nicht per se etwas Negatives, und immerhin hatte er sich als erster Mann seit langem für mich interessiert … «Hast du Lust, ihn nackt zu sehen?», fragte mich meine Schwester trocken. «Nein!» – «Kannst du dir vorstellen, morgens neben ihm aufzuwachen und seinen Mundgeruch zu riechen?» – «Nein!» – «Dann vergiss ihn.» Inzwischen ist er glücklich verheiratet.
Diese Episode hob zwar mein Selbstwertgefühl, machte mich aber misstrauisch gegenüber Verkupplungsversuchen. Trotzdem blieb ich höflich interessiert, als meine Mutter ankündigte, einen Mann für mich zu suchen (nach dem Motto «Habe eine Tochter zu vergeben»). Auch lächelte ich freundlich, als mich eine Kollegin zur Seite nahm und mir zuraunte: «Duuu, ein alter Freund von mir hat ein Bild von dir gesehen und möchte dich kennen lernen.» – «Hm.» «Er hat zwar keine besonders glückliche Hand mit Frauen, und, na ja, sieht auch nicht besonders gut aus.» – «Hm.» – «Ich finde solche Aktionen im Prinzip auch total daneben. Aber man weiss ja nie, wo, äh, die Liebe hinfällt …»
Als ich mich bei meinem Lieblingsarbeitskollegen in einer Kaffeepause indigniert darüber ausliess, neigte er den Kopf zur Seite und schaute mich nachdenklich an: «Sag mal, wonach suchst du eigentlich?», fragte er und legte vorsorglich seinen empathischsten Radiobass ein. Ich schluckte. Ich hasse diese Frage. Ich hasse sie, weil ich keine Antwort darauf weiss. Während andere Frauen ganze Einkaufslisten zusammenstellen können, zucke ich bloss hilflos mit den Schultern. Okay, ich mag einen wachen, selbstironischen Geist und kraftvolle Unterarme, aber ansonsten sind Äusserlichkeiten wie Grösse, Alter und Haarfarbe zweitrangig. Ich schere mich weder um Geld noch um einen akademischen Grad (den habe ich selber) und schon gar nicht um schicke Autos (obwohl ich es äusserst attraktiv finde, wenn ein Mann souverän am Berg anfahren kann). Es ist mir egal, ob er einen Armani-Anzug trägt oder einen von H&M. Hauptsache, der Mann hat Stil. Es ist mir egal, ob er ins Fitnesscenter geht oder aufs Fussballfeld. Hauptsache, der Mann hat Rückgrat. Und es ist mir egal, wie oft und wohin er gereist ist. Hauptsache, der Mann interessiert sich für meine Landkarte.
«Das wird schwierig», brummte mein Arbeitskollege und starrte in seinen schwarzen Kaffee. «Sehr schwierig.» Diese Aussicht war mir nun aber doch zu düster, und ein Blick in die Statistiken stimmte mich sachte optimistisch: Gemäss neusten Erhebungen leben in der Schweiz etwa 450 000 männliche Singles, zudem liegen die Scheidungsraten konstant bei 48 Prozent. All diese Männer mussten irgendwo sein, selbst jene zwischen 35 und 50, die ich zu meiner potenziellen Beute erkoren hatte. «Die gibt es tatsächlich», bestätigte mir eine Kollegin, die sich an einem Elternabend eben in einen allein erziehenden Vater verliebt hatte. «Aber die wirklich guten sind vielleicht zwei Stunden auf dem Markt. Dann sind sie wieder weg. Da musst du unglaublich auf Draht sein.» Das bin ich doch, sagte ich mir und raffte mich auf, um dem Zufall erneut ein wenig nachzuhelfen.
Ich ging gezielt an Salsa-Abende für über 30-Jährige, zog auf dem Parkett jedoch vor allem Männer an, deren Pullover nach Kampfer rochen. Ich begab mich auf Anraten eines sportaffinen Kollegen in Fussballstadien (wo sonst bitte versammeln sich so viele Männer auf so übersichtlichen Quadratmetern?), was sich aber als strategischer Fehlschritt entpuppte. Der Ball vereinnahmt den Mann so sehr, dass er vor, während und noch lange nach dem Spiel schlicht und einfach nicht am anderen Geschlecht interessiert ist. (Dies bestätigt sogar eine Studie, die das Sexualverhalten von Männern während der letzten EM untersuchte. Sogar Prostituierte sollen sich über mangelnde Arbeit beklagt haben.)
Schliesslich versuchte ich es in Museen und Galerien: Diese haben seit je eine erotisierende Wirkung auf mich gehabt, und wenn es Männer gibt, folgerte ich, die mit ebenso offenen Sinnen wie ich an Gemälden, Fotografien oder buddhistischen Statuen vorbeischlendern, könnten möglicherweise einige Funken springen. Auch das erwies sich als Misserfolg. Zwar begegnete ich vielen faszinierenden Frauen, die Männer hingegen, die allein durch die Ausstellungen mäandrierten, wirkten entweder wie eremitierte Professoren oder Künstler, auf deren Stirn klar erkennbar geschrieben stand: «Ich interessiere mich nur für den nächsten Pinselstrich.» Und um diese Spezies mache ich seit José * einen grossen Bogen.
José, geschieden und ehrlicher Single, war einst mein Ballettlehrer. Er arbeitete seit Jahren an seiner ersten abendfüllenden Choreografie. Wir hatten nach den Trainings unzählige Stunden damit verbracht, sein Werk zu analysieren, etwas, das mir Spass machte und meinen Horizont erweiterte. Im Jahre eins nach dem Flug des Apfelschälers gestand mir José seine Liebe. Ich war erschüttert: «Wie kannst du mich lieben, José?», fragte ich. «Du hast mir in all diesen Jahren keine einzige Frage gestellt. Du hast ja gar keine Ahnung, wer ich bin.» – «Querida», flehte er, «du bist meine Göttin, meine Muse. Ich muss dich gar nicht kennen, denn du bist wie Sonne und Mond zugleich. Ich weiss nichts von diesen Gestirnen, kann aber ohne sie nicht leben, nicht arbeiten, nicht atmen.» Ich war irritiert, aber von so viel Romantik trotz allem erwärmt.Doch als er in unserer ersten Nacht wie ein ertrinkender Hund auf mir herumruderte und mir auf meine sanften Orientierungshilfen keuchend antwortete: «Sag nichts, ich will es selber versuchen», nahm ich Reissaus. «Bin ich denn ein Experimentierkasten?», dachte ich grimmig. Mit bald 42 verspürte ich nicht die geringste Lust mehr, mittelalterlichen Egozentrikern sexuelle Entwicklungshilfe zu geben.
Vielleicht lag es eben doch an mir, grübelte ich, als ich meine Nieten Revue passieren liess. Vielleicht wirkte ich zu forsch, zu gestresst, zu schnell, zu vorlaut, zu anspruchsvoll, zu – weiss der Teufel was. Es war ja nicht so, dass ich gar keine Männer kennen lernte. Im Gegenteil: Gerade über meine Arbeit traf ich auf viele, die mich angezogen hätten, wären sie nicht bereits liiert und vasektomiert gewesen und somit beziehungstechnisch für mich leider eine Zeitverschwendung.
Um mir über meine Mängel klar zu werden, fing ich an, mich mit den Frauen zu vergleichen, die sich Partners und Kindes erfreuten, dieser gigantischen Portion gutbürgerlichen Glücks, die mir einfach nicht beschieden schien. Aber das half mir nicht weiter. Ich sah nämlich nur ganz normale Frauen mit ganz normalen Gesichtern und ganz normalen Körpern. Frauen, so durchschnittlich wie ich selbst. Wie ich sie beneidete! Es ging sogar so weit, dass ich eine regelrechte Wut entwickelte auf Paarkolumnen, Heiratsannoncen und die Palette der unsäglichen Hochzeitsmagazine, weil sie mir vor Augen führten, dass es auf diesem Planeten eine erhebliche Zahl von Menschen gibt, die einander gefunden haben. Ich begriff, dass es Zeit war, bei meiner Männersuche neue Wege einzuschlagen. Ich würde mich endlich ins Internet wagen.
Lange Zeit hatte ich mich gegen die Idee gesträubt, im Netz nach einem Mann zu fischen. Das Internet als Drehscheibe für Partnervermittlung erschien mir als etwas für Verlierer, für jene verzweifelten Fälle, die auf dem realen Markt keine Chance mehr haben. Ausserdem träumte ich von der Magie der zufälligen Begegnung am Kopierer oder an einer Strassenecke, vom leichten Schwindel, der einem zu verstehen gibt, dass am anderen etwas ganz Besonderes dran sein muss. Nicht einmal die regelmässigen Jubelmeldungen der Online-Partneragenturen («700 000 Schweizer loggen sich monatlich in Singlebörsen ein», «Jeder Fünfte findet seinen Partner online») hatten meine Unlust mindern können.
Ich wurde erst hellhörig, als mir Susanne (46), eine meiner besten Freundinnen, strahlend erzählte, sie hätte nach nur zwei Monaten Netzsuche einen Prachtkerl kennen gelernt. Einen, der nicht nur die Frauen in seinem neuen Bekanntenkreis um Vibrieren bringt, sondern an Partys auch unaufgefordert Champagnergläser abwäscht. Fast gleichzeitig vernahm ich, dass sich sogar meine Bekannte Sabine einen Traumtyp im Internet geangelt hatte. Einen, der sogar kurz vor Mitternacht spontan mit der Vespa von Wil nach Zürich fährt, um ihr Kaffee zu kochen. So einen wollte ich auch.
Nun gibt es in der Schweiz Hunderte von Singlebörsen-Anbietern, was die Auswahl für Netz-Novizinnen erheblich erschwert. Auf Anraten meiner Freundinnen verschaffte ich mir auf www.singleboersenvergleich.ch, einer Art Comparis für Paarungswillige, einen gründlichen Überblick. Ich entschied mich für Elitepartner.ch und Swissfriends.ch, nannte mich «Drama Queen» und warf meine Angeln aus. Ich musste nicht lange warten. Nur wenige Stunden nach meinem Netzgang wurde ich von Anfragen überflutet. Die Reaktionen überwältigten mich: Auf Swissfriends.ch deponierten Männer ihr Interesse unter der Rubrik «Herzklopfen» und schickten mir erste Mails: «Guguuseli …», «Wow, was för e schöni Frou», «Häsch Ziit zom chatte?»
Und auch Elitepartner.ch vermeldete aufgeregt erste Erfolge: «Er, Landschaftsarchitekt (47), wartet darauf, Sie kennen zu lernen», «Betriebsökonom (41) könnte gut zu Ihnen passen», «Er, sehr attraktiv, hat sich für Sie interessiert».
Ich sass wie erstarrt vor dem Bildschirm und fühlte mich überfordert. Es kam mir vor, als hätte ich mir eine Taucherbrille übergezogen, den Kopf unter Wasser gesteckt und blickte nun auf unzählige Fische, die mir herausfordernd Wasserblasen ins Gesicht blubberten. Eine totale Reizüberflutung. Rasch zog ich den Kopf aus dem Wasser und wagte mich erst Tage später wieder in das neue Element zurück. Inzwischen hatten niselregen, sofasurfer, junghecht, brumbrum56 und klebstoff ihre Bewunderung bekundet. hirsch_09 fragte: «Woher kommt dein gut erhaltener Körper?» (obwohl ich nur ein Porträt von mir aufgeschaltet hatte). «Brauch du neue news ich gerne dich», bot mir niceman74 kryptisch an, «ich verwende immer noch eine Bürste für meine Haare und rasiere mich jeden Tag im Gesicht», verriet muskelprotz010, und Ingenieur knuddelflocke erkundigte sich, ob ich mir vorstellen könnte, sonntags mit ihm auf dem Sofa zu kuscheln.
Da ich nicht wusste, wie ich auf diese Mails reagieren sollte, tat ich erst mal gar nichts. Hingegen liess ich mich über Elitepartner.ch mit Tom, einem wortgewandten Grafiker, ein, mit dem mich immerhin so viele Gemeinsamkeiten verbanden, dass uns der Computer 67 Prozent Matchingpunkte attestierte. Er schrieb mir vierzig Zeilen lange Mails, ich schrieb erfreut zurück und war fürchterlich brüskiert, als er sich abrupt von mir verabschiedete, weil er mein Bild plötzlich zu wenig aussagekräftig fand. Glücklicherweise sprang Patrick in die Bresche, 80 Prozent Matchingpunkte und Sozialarbeiter. «Wenn ich Dein Geist aus der Flasche wäre, welche drei Wünsche hättest Du an mich?», fragte er keck.
Ich war entzückt. Er schien witzig und einfühlsam und war erst noch Walzertänzer, also zögerte ich nicht lange und verabredete mich mit ihm zu einem Drink. Das Date dauerte genau eine Stunde. So betörend Patrick online auf mich gewirkt hatte, so unsicher und schusselig erschien er mir in Wirklichkeit. Er trug weisse Cordhosen, ein aufgekrempeltes rosa Hemd und einen Pickel auf dem Arm, knibbelte ständig in seinem Gesicht herum und erzählte mir in den ersten fünf Minuten, dass der Augenarzt bei seiner Mutter einen Hirntumor diagnostiziert hatte.
Je länger ich mich im Netz aufhielt, desto deprimierender kam mir mein Unterfangen vor, oft fühlte ich mich gar auf eigentümliche Art gedemütigt. Was sagen Matchingpunkte tatsächlich über die Chemie zwischen zwei Menschen aus? War es vertretbar, in meinem Alter einem gleichaltrigen Mann zu schreiben, der sich «sehr gern» Kinder wünschte? Verlernte ich in der Zeit, die ich am Bildschirm verbrachte, den Umgang mit Männern in der realen Welt? Lässt sich die Sehnsucht nach Liebe in Rubriken wie «meine Favoriten» verwalten? Oder gar statistisch erfassen? Als ich mich nach einigen netzlosen Tagen wieder in meinen Swissfriends.ch-Account wagte, sprang mir folgende Mahnung entgegen: «Die letzten erhaltenen Kontakte, die du noch nicht abgerufen hast»:
11 ungelesene Nachrichten gesamt
7 ungelesene Nachrichten in den letzten 3 Tagen
386 Besuche auf deinem Profil gesamt
66 Besuche auf deinem Profil in den letzten 3 Tagen
17 gesandte Herzklopfen
3 gesandte Herzklopfen in den letzten 3 Tagen
6 offene Freundschaftsgesuche
Was mich hätte erfreuen sollen, erfüllte mich mit schleichendem Grauen. Zudem hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich die meisten Mails nicht beantwortete und mir enttäuschte User gehässige Nachrichten schickten («Ha dech ächt anders iigschätzt»). Um mein Versäumnis zumindest annähernd wieder gutzumachen, traf ich mich auf Anraten von Elitepartner.ch mit einem 47-jährigen Geschäftsmann, 90 Matchingpunkte, der an einem Sonntag extra von München nach Zürich angefahren kam.
Er hatte sich am Telefon sehr nett angehört, und ich schöpfte Hoffnung. Doch schon in den ersten Sekunden stellte ich fest, dass er mit dem Kopf zuckte und unvermittelt loslachte. Als wir im Restaurant vor dem Salatbuffet standen und er mir anzüglich in den Nacken flüsterte «Bei Linsen muss ich grinsen», hatte ich genug. Ich streifte mir meine Taucherbrille ab, zog mich ans Land zurück und liess mich an einem ganz gewöhnlichen Mittwochnachmittag von einem verheirateten Kollegen aus Rotterdam verführen: «Soll ich dir helfen, deinen Laptop nach Hause zu tragen?» – «Ja bitte!»
Danach fühlte ich mich so erquickt wie lange nicht mehr. Sogar meine Haare liessen sich wieder anständig frisieren. Ich habe meinem Rotterdamer Kollegen im Geist einen Orden verliehen.Von da an ging ich mit den Irrungen und Wirrungen im Netz gelassener um und begegnete auch vielversprechenderen Männern. Hannes etwa, einem wohltrainierten 52-jährigen Fabrikanten aus dem Prättigau, mit dem ich sehr gern wieder mal ein Bier trinken würde. Oder Peter, dem üppig gelierten 27-jährigen Polizisten aus Tirol, der zwar ausser meiner Mutterinstinkte nichts weckte, den ich aber jederzeit meiner jüngsten Schwester vorstellen würde. Ich liess mich sogar dazu hinreissen, zwecks Verfeinerung meiner Suchkriterien den Swissfriends.ch-Chemistry-Check zu machen, der mir dabei helfen sollte, Männer zu treffen, die mir nicht nur optisch gefielen, sondern die ich auch gut riechen konnte.
Ich spuckte nach Vorschrift in ein schwarzes Plastikdöschen, das mit dem Testset geliefert worden war, spritzte den Saliva Screen Extraction Buffer hinzu und hielt zwei diagnostische Stäbchen 15 Minuten lang in meinen Speichel, bis ich blau, rosa und fuchsiarot verfärbte Streifen als Buchstabencodes ins System eingeben konnte. Dummerweise macht dieser Chemistry-Check aber erst dann Sinn, wenn tatsächlich auch männliche User ihre Speichelprobe abgeben. Ich fand innerhalb meines Suchprofils bloss einen (wir hätten uns laut Computeranalyse sogar ganz gut riechen können), und der ist bis April auf Weltreise.
Mittlerweile nahm ich meine misslungenen Datingversuche mit Humor. Ich klebte eine Postkarte mit der Aufschrift «Jung, dynamisch, erfolglos» an meinen Kühlschrank und platzierte sie direkt neben dem Spruch «Lächle, es könnte schlimmer kommen, und ich lächelte, und es kam schlimmer». – «Endlich nimmst du das Ganze spielerisch. Jetzt wirst du deinen Traummann sicher bald finden!», jubelten meine Freunde, und irgendwie glaubte ich das auch. Ich musste nur noch einen Gang zulegen, vielleicht noch ein bisschen mehr Fantasie walten lassen. Und so meldete ich mich unter dem erwartungsvollen Gekreische meines Umfelds («Das würde ich ja sooo gern auch mal probieren, aber leider bin ich verheiratet») für ein Speed-Dating an.
Meine Gruppe traf sich abends um halb acht in einem Zürcher Lokal. Wir waren sieben Männer und sieben Frauen, alle um die vierzig, gut, aber nicht zu gut angezogen, alle nervös und ein bisschen peinlich berührt. Wir bekamen Prosecco, Salzstängel, ein Namensschildchen in Herzform und eine Karte, auf der wir «Ja» oder «Nein» würden ankreuzen können, ob wir unsere Partner nach sieben Flirtminuten wiedersehen wollten oder nicht. Dann wurde uns Frauen je ein Tisch mit Nummer zugewiesen, ich hatte die 5. Kaum sassen wir da wie Handleserinnen im Suk von Marrakesch, durften die Männer ausschwärmen und sich ihre erste Dame aussuchen.
Ich erhob mich und begrüsste meinen Flirtpartner wie einen Patienten, worauf dieser, als der Gong ertönte, mir tatsächlich ohne Umschweife erzählte, dass seine grosse Liebe an Krebs gestorben sei und er es einfach nicht ertragen könne, allein zu sein. Er war eben daran, dramatisch Atem zu holen, als ein Handywecker piepste: «Die sieben Minuten sind um. Männer bitte zur nächsthöheren Nummer rotieren», rief die Organisatorin freundlich. Brav standen die Kandidaten auf und schauten sich nach den Ziffern auf den Tischen um. Als Nächstes hörte ich die Geschichte eines Mannes, der Vollblüter züchtete und dessen Stuten in Europa herumgeschickt wurden, um befruchtet zu werden («Ich kreuz dann mal ‹Ja› an», raunte er mir subversiv zu, bevor er davongaloppierte).
Der Dritte offenbarte, dass seine Frau ihn und die beiden Kinder verlassen habe, weil sie mehr vom Leben wollte, als Ehefrau und Mutter zu sein. Der Vierte beklagte sich darüber, beim Tanzen nie einer Frau über 35 zu begegnen, und der Fünfte gestand lakonisch, dass er dieses Theater nun schon zum vierten Male durchmache und heute Abend nur hier sei, weil nichts Vernünftiges im Fernsehen laufe.
Nach sieben Männern und 49 Minuten war ich nudelfertig. Ich wollte keinen einzigen meiner Gesprächspartner wiedersehen. Ich war schon fast zur Tür hinaus, als eine Stimme hinter mir rief: «Warte!» Ich drehte mich um und erkannte eine der Speed-Dating-Teilnehmerinnen. Sie trat verlegen von einem Fuss auf den anderen. «Helene», stiess sie leise hervor. «Bitte verzeih mir. Aber ich muss es dir einfach sagen: Du, du bist so eine wundervolle Frau. Ich … ich bedauere es zutiefst, dass ich nicht Martin, sondern Martina heisse.»
An jenem Abend gab ich meine Suche auf. Ich löschte meine Online-Profile, schrieb den Singlebörsenanbietern eine Kündigung, legte Ini Kamozes alten Discostampfer «Here Comes the Hotstepper» ein und schmiss mich aufs Sofa. Ich fühlte mich unglaublich befreit. Plötzlich schien mir alles so klar, so simpel, so stimmig: Die Zeit für einen neuen Mann war einfach noch nicht gekommen. Nicht, weil ich grundsätzlich etwas falsch gemacht hätte oder mit mir etwas nicht stimmte, sondern weil mich Männer (im Hinblick auf eine Beziehung) im Moment gar nicht so sehr interessierten. Sehr viel stärker beschäftigte mich die Frage, in welche Richtung ich mich in Zukunft bewegen wollte.
Und wenn ich mich aufgemacht habe, meinen Weg weiter zu gehen, werde ich vielleicht irgendwo dem Mann begegnen, der mich dabei begleitet. Ein entspannter Typ mit sehnigen Unterarmen, klug, humorvoll, anpackend. Vielleicht werde ich in einer Seitengasse von Damaskus in ihn hineinrennen, beim Einkaufen im Coop zwischen 18 und 20 Uhr oder beim Kaffeeautomaten in der Kantine. Vielleicht wird das morgen sein, vielleicht in zwanzig Jahren, vielleicht aber auch im Mai, weil er bis April auf Weltreise ist.