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So bekam diese Medizinprofessorin ihre Multiple Sklerose in den Griff

Gesundheit

So bekam diese Medizinprofessorin ihre Multiple Sklerose in den Griff

Wenige Jahre nach der Diagnose Multiple Sklerose sass Medizinprofessorin Terry Wahls bereits im Rollstuhl. Geheilt ist die Amerikanerin heute nicht, aber sie hat die Erkrankung im Griff – weil sie verstand, wie wichtig die Faktoren Stress und Ernährung in ihrem Fall sind.

Früher nahm Terry Wahls an Marathons und Skilanglaufrennen teil; in einem siegte sie hochschwanger. Die grossgewachsene Ärztin bestieg Gipfel im Himalaya, hat einen schwarzen Gürtel in Taekwondo und gewann eine Bronzemedaille im Freikampf der Frauen für die Pan American Games. «Ich fühlte mich unbesiegbar», sagt die heute 68 Jahre alte Medizinprofessorin an der Universität von Iowa via Zoom. «Ich dachte, ich werde die nächsten Jahrzehnte weiter so aktiv bleiben und mich um meine beiden Kinder Zach und Zebby kümmern.»

Jahrelang ignorierte sie die scharfen Schmerzblitze, die wie Elektroschocks aus dem Nichts durch ihren Kopf zuckten. Die «Hämmer», wie sie die abrupten Schmerzen nannte, traten oft auf, wenn eine 24-Stunden-Schicht im Spital am stressigsten war. Erst als sie das rechte Bein so auffällig nachzog, dass es nicht mehr zu kaschieren war, bestand ihre Frau Jackie Reger darauf, dass die Ärztin in eigener Sache zum Arzt ging.

«Mit mir ging es stetig bergab»

Die Diagnose im Jahr 2000: Multiple Sklerose, und die Nervenentzündungen schritten schnell voran. Vier Jahre später schaffte sie die Visite-Runden in ihrem Spital in Iowa nicht mehr und brauchte einen Rollstuhl, ab 2007 einen speziellen Stuhl, in dem sie liegen konnte, weil ihre schwache Bauchmuskulatur sie nicht mehr aufrecht sitzen liess. Da war sie 52 Jahre alt. Terry Wahls wirkt taff; sie bemüht sich, die niederschmetternden Entwicklungen betont sachlich zu kommentieren: «Trotz der besten Ärztlichen Versorgung ging es mit mir stetig bergab.»

Als Ärztin machte sie sich keine Illusionen: Ihre Form der MS ist progressiv und unheilbar. Obwohl ihr die Ärzte die neuesten MS-Medikamente wie Copaxone verschrieben, musste sie sich auf ein Leben in der Horizontalen und drastische kognitive Veränderungen einstellen: «Ich sah mich schon mit Demenz im Bett dahinvegetieren.»

Fokus auf die Zellgesundheit

Wahls begann, alles zu studieren, was sie an Literatur zu neurologischen Störungen, Autoimmunerkrankungen und möglichen Therapien finden konnte. Sie beschloss, die konventionellen MS-Therapien mit einem speziellen Ernährungs- und Muskelstimulationsprogramm zu ergänzen. «Ich dachte, ich bin es mir schuldig, alles zu versuchen. Ich fand einen gemeinsamen Nenner: Fast alle Experten stellten fest, dass die Mitochondrien den Zellen das Signal geben, zu früh zu sterben. Also beschloss ich, mich auf die Zellgesundheit zu fokussieren.»

Sie zitiert Thomas Edison: «Der Arzt der Zukunft wird keine Medikamente mehr verabreichen, aber er wird seine Patienten für ihren Körper interessieren, für eine angemessene Ernährung sowie für die Ursachen von Krankheiten und wie man sie verhindert.» Diese Maxime wurde zu ihrem Lebenszweck.

Neun Tassen Gemüse und Obst am Tag

Die langjährige Vegetarierin (viel Getreide, viele Milchprodukte) schwenkte auf Paleo um, recherchierte umfassend zu Mikronährstoffen für Nervenzellen und experimentierte mit elektronischer Muskelstimulation. «Meine strukturierte Diät zielt auf Zellgesundheit», sagt Wahls. Kein Gluten, keine Milchprodukte, kein industriell hergestelltes Essen, stattdessen neun Tassen frisches, buntes Gemüse, Obst und Salat am Tag, dazu ausreichend Protein, inklusive Innereien. «Es ist aber auch wichtig, das Stressniveau zu reduzieren, etwa durch Meditation, denn Zellen können sich nicht reparieren, solange das Kortisol chronisch erhöht ist.»

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«Vor zwanzig Jahren sah ich älter aus»

Sie erhoffte sich nur, den Verlauf der Krankheit zu verlangsamen, denn eine Heilung gibt es für ihre Form von MS nicht, tatsächlich aber verbesserte sich ihr Zustand so weit, dass sie heute wieder joggt, Velo fährt und im Vollzeitpensum arbeitet. Im Dokumentarfilm «Defying All Odds» sieht man sie im Garten vor ihrem Einfamilienhaus Yoga üben, Gewichte stemmen und mit ihren Kindern Fussball spielen.

«Meine Kinder machen Scherze, dass ich wie Benjamin Button immer jünger werde. Wenn man sich Fotos von vor zwanzig Jahren anschaut, sah ich damals tatsächlich älter aus.» Wahls beteuert, sie sei heute schmerzfrei. «Mein Neurologe sagt, dass ich mehr Liegestützen machen und längere Velotouren unternehmen kann als die meisten Frauen in meinem Alter.»

Neue Zellen um die alten Narben

Die Geschichte einer wundersamen Heilung ist dies nicht. Die bereits entstandenen Nervenschäden liessen sich nicht vollständig reparieren. «Mein Neurologe und ich waren beide enttäuscht, dass die Läsionen in meinem Gehirn und meinem Rückgrat immer noch da sind», gesteht Wahls. «Das sind alte Läsionen, die gehen nicht mehr weg. Es bilden sich aber keine neuen, das ist das Wichtigste.»

Auf den MRTs sieht sie auch, dass sich um die alten Narben neue Zellen bilden. «Im Medizinstudium haben wir damals noch gelernt, dass sich Nervenschäden nicht reparieren lassen. Inzwischen weiss man, dass Gehirn und Nervenzellen sehr plastisch sind und sich reparieren können, wenn man ihnen die richtigen Anreize und Nahrung gibt.»

Keine MS-Medikamente seit 2008

Auch wegen ihres eigenen überzeugenden Lebenslaufes wurde ihr Gesundheitsplan, das «Wahls-Protokoll», zum internationalen Bestseller, denn sie sagt, es helfe nicht nur Menschen mit MS, sondern auch allgemein bei Autoimmunerkrankungen wie Lupus, Allergien, Asthma und Rheuma. Es erschien 2015 auf Deutsch und wurde gerade in den USA aktualisiert neu aufgelegt.

Seit März 2008 nimmt Wahls keine MS-Medikamente mehr. «Als ich 2000 mit MS diagnostiziert wurde, verschrieben mir die Ärzte immer aggressivere Medikamente, aber nichts hielt den Verfall auf», erinnert sich Wahls. «Nachdem ich 2007 meine Ernährung und meine Lebensweise umstellte, besserten sich meine Symptome so weit, dass mein behandelnder Neurologe 2008 meine Medikamente erst reduzierte und dann ganz wegliess. Ich sage aber all meinen Patienten mit chronischen Krankheiten, dass sie das nicht ohne ihren Arzt tun sollten.»

Oft sind Entzündungen das Problem

Sie empfiehlt, erst einmal die Ernährung und die Lebensweise umzustellen und im Gespräch mit dem Arzt über die richtige Medikamentierung zu beraten. «70 bis 95 Prozent des Risikos für Autoimmunerkrankungen können durch Ernährung und Lebensweise gesenkt werden», davon ist Wahls überzeugt. «Bei den meisten chronischen Krankheiten, auch bei Depressionen oder Diabetes, sind Entzündungen ein Problem. Das geht oft mit hohem Blutzucker einher. Wenn man die motorischen Funktionen verbessern will, muss man sich bewegen. Und wenn man Zellen reparieren will, muss man auch das Kortisol-Niveau angehen, sonst können sich Zellen nicht gut reparieren. Man muss also alle drei Dinge angehen: Stress, Bewegung und Ernährung. Man kann eine schlechte Ernährung nicht allein mit Bewegung wettmachen.»

Bis heute, sagt sie, kehrten einige Symptome wie die heftigen Gesichtsschmerzen zurück, wenn sie versehentlich Gluten oder Milchprodukte erwische. Das in vielen Getreidearten enthaltene Gluten ist natürlich nicht für jeden schädlich. «Was ich meinen Patienten vorschlage ist: Lasst es mal drei Monate weg und schaut dann vorsichtig, wie ihr reagiert, wenn ihr es in kleinen Dosen wieder zu euch nehmt», stellt Wahls klar. «Wir sehen das auch in unseren Studien an der Uni: Solange die Leute sich zu hundert Prozent an den Ernährungsplan halten, machen sie Fortschritte, aber wenn sie wieder ‹normal› essen, kommen die Symptome zurück.»

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«Ernährung und Lebensweise sind der erste Ansatzpunkt»

Für eine Ärztin spricht Wahls ungewöhnlich deutlich aus, dass Mediziner Autoimmunerkrankungen nicht heilen können: «Infektionskrankheiten oder eine Blasenentzündung kann man kurieren. Aber bei Autoimmunerkrankungen kann man nur die Symptome unterdrücken oder das Fortschreiten verlangsamen.» Medikamente könnten helfen, die Zeit bis zur Arbeitsunfähigkeit, Bettlägerigkeit oder Demenz hinauszuzögern, meint sie im Interview, «aber die Entzündung schreitet voran. Deshalb sagen inzwischen sogar führende Wissenschafter: Wir müssen die Ernährungsweise, Stress und körperliche Aktivitäten miteinbeziehen. Das gehört eigentlich zum Standard, den wir schon im Medizinstudium lernen: Ernährung und Lebensweise sind der erste Ansatzpunkt.»

Tatsächlich habe sie aber all die Jahre nie ein Arzt eingehend zu ihrer Ernährung befragt. Da hiess es: «Aha, Sie ernähren sich vegetarisch, okay, abgehakt. Hier ist das neue Rezept für Copaxone.» Es sind nun zum ersten Mal doppelt kontrollierte Studien in Arbeit, die den Einfluss von Ernährung, Sport und Stressreduktion auf diverse Autoimmunerkrankungen erforschen.

Keine belastbaren Studien, die die Wirkung beweisen

Fehlende Studien sind der wunde Punkt, denn dass Wahls selbst von der Methode überzeugt ist, nachdem sie ihr geholfen hat, ist verständlich. Gleichzeitig gibt es aber bisher keine belastbaren Studien, die die Wirksamkeit nachweisen. Die bisherigen Studien, die zeigen, dass mit Wahls Methode Erschöpfungszustände nachlassen oder sich Entzündungswerte verbessern, haben entweder zu wenig Probanden, um aussagekräftig zu sein, oder wurden von Wahls selbst geleitet.

Es wäre unseriös, schwerkranken Menschen unrealistische Hoffnungen zu machen, aber Wahls behauptet, sie sehe die Wirksamkeit in ihrer Praxis: «Das Ernährungsprotokoll führt etwa bei der Hälfte meiner Patienten mit Autoimmunerkrankungen zu Verbesserungen, weniger Entzündung, weniger Erschöpfung, mehr Mobilität.» An der Universität von Iowa, wo sie lehrt, wurde gerade eine neue Studie begonnen, die von jemand anderem geleitet und mit einer Kontrollgruppe abgeglichen wird.

Sie habe keinen Zugang zu den Daten, verspricht Wahls. «Aber ich will klarstellen, dass auch alle Medikamentenstudien von Interessenskonflikten geplagt werden. Der Goldstandard ist die doppelt blinde, randomisierte kontrollierte Studie, das ist aber sehr schwer, wenn es um Ernährung und Lebensweise geht, denn die Leute wissen ja, was sie essen.»

 

«Wir haben immer eine Wahl»

Tatsächlich lehnten die traditionellen MS-Verbände wie die amerikanische Nationale Gesellschaft für Multiple Sklerose Wahls Ideen erst ab und verbannten sie sogar aus ihren Konferenzen, laden sie aber inzwischen wieder ein. «Sie haben mich als Vortragsrednerin auf die schwarze Liste gesetzt, weil sie Angst hatten, ich würde den Leuten erzählen, sie sollten ihre Medikamente wegwerfen und sich nur auf die Umstellung von Ernährung und Lebensweise verlassen. Was ich tatsächlich sage, ist: Achtet auf eure Ernährung und Lebensweise und besprecht die Medikamente mit eurem Neurologen.»

Was ihr am meisten geholfen habe, sei aber nicht nur die Ernährung gewesen, sondern der Entschluss, ihre Gesundheit selbst in die Hand zu nehmen. Das Buch, das sie am meisten inspirierte, ist Viktor Frankls «Trotzdem Ja zum Leben sagen». «Er beschreibt darin seine Zeit im Holocaust, vor allem aber seine Erkenntnis, dass wir immer eine Wahl haben. Es gibt Dinge, die wir nicht kontrollieren können. Aber zwischen jedem Ereignis im Leben und unserer Antwort darauf gibt es einen Raum, in dem wir eine Wahl treffen», sagt Wahls und macht eine Pause. In ihrem Gesicht spiegelt sich die schmerzhafte Erinnerung an die Jahre, die sie überwiegend im Liegen verbrachte. «Meine Kinder waren acht und fünf Jahre alt, als ich mit MS diagnostiziert wurde. Das Einzige, was ich tun konnte, war, ihnen jeden Tag zu zeigen, dass ich nicht aufgebe.»

Der Film

Die Dokumentation «Defying all Odds» über Terry Wahls Kampf gegen MS wurde am Iowa Independent Film Festival mit dem Critics Choice Award ausgezeichnet und kann auf defyingalloddsmovie.com gestreamt werden

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