Autorin Laura Ewert plädiert dafür, dass Frauen nicht länger Orgasmen vortäuschen – und vor allem, dass sie schlechten Sex nicht einfach hinnehmen, denn das Verhalten führt in eine negative Bringschuld-Spirale.
Keinen Sex mit ihrem Partner zu haben, stört die meisten meiner Freundinnen nicht grossartig. Wenn nur das schlechte Gewissen nicht wäre. Sie suchen die Schuld nämlich bei sich, auch weil er immer fragt, warum sie sich denn nichts aus Sex mache. Die US-Star-Scheidungsanwältin Laura Wasser sagte mal: «Wenn Sie nicht mit Ihrem Mann schlafen, wird es eine andere tun.» Und so halten sie schlechten Sex aus, damit er zufrieden ist. Tun so, als fänden sie es geil, dass er schon wieder unmotiviert seine Hand unters T-Shirt schiebt. Können wir bitte damit aufhören?
Eine Umfrage des Online-Dating-Portals C-Date.ch 2018 ergab, dass 82 Prozent der befragten Schweizerinnen schon einmal einen Orgasmus vorgetäuscht haben. Viele wollen so vermeiden, ihr Gegenüber zu beleidigen, heisst es da. Und: Zwei Drittel der Frauen stellen den Orgasmus des Sexpartners über ihren eigenen. Entschuldigung, aber: Gehts noch?
Wir Frauen müssen aus dieser Bringschuld-Spirale herauskommen, die unsere Bedürfnisse in den Hintergrund stellt. Auch wenn die sexuelle Revolution noch anhält, wir uns mit Yoni-Mapping, Wise-Womb-Workshops und dem Einsatz des Womanizer endlich unsere Sexualität eingestehen, ist es immer noch ein langer Weg weg von der Schuld, denn die Geschichte der weiblichen Sexualität ist voller Missverständnisse.
Sie galt lange Zeit als etwas, das man zügeln sollte. Die Frau sollte nicht durch die Gegend vögeln, sie durfte aber auch nicht «frigid» sein. Selbst ihr Körper wurde sträflich ignoriert, erst seit 1998 wird die Klitoris umfänglich studiert, und frühere «Bravo»-Leser, die heute um die 35 Jahre alt sind, wuchsen mit der Vorstellung auf, es gebe tatsächlich ein Jungfernhäutchen, das es zu durchstossen gilt.
Und noch immer gibt es die merkwürdige Meinung, dass Männer die Aggressoren der sexuellen Beziehung sind. Doch wenn sie stets will, was er will, wie soll sich dann das Begehren über zehn Jahre Beziehung erhalten? Also, Frauen, macht euch nicht verrückt, fragt nicht, was bei euch kaputt ist, wenn ihr nur noch selten Lust empfindet. Es ist normal, dass Sicherheit und Nähe das Verlangen ablösen. Das Bedürfnis nach Geborgenheit und die Lust auf Abenteuer sind zwei Grundbedürfnisse, die schwer zu verbinden sind. Bei diesem Problem beisst nicht die Frau in seinen Schwanz, sondern die Katze sich in ihren eigenen: Sexuelles Verlangen nimmt ab, Männer verlieren darüber das Selbstbewusstsein, Frauen suchen die Schuld bei sich, und das macht es fast unmöglich, diese Dynamik zu unterbrechen. Denn Selbstzweifel und Schuld sind keine sexy Paarung.
Die einzige Verantwortung, die bei uns liegt, ist, auf unserem Spass zu bestehen. Auf ein gleichberechtigtes und gemeinsames Suchen nach Befriedigung. Eine bestimmte Stellung so lang durchzuhalten, bis wir kommen. Ja, natürlich ist der Orgasmus nicht alles. Und das Nachspiel ist das Vorspiel. Aber für ein erfülltes Sexleben in der Langzeitbeziehung braucht es ein aufgeklärtes Sprechen der Partner über Sex. Wann haben wir das zuletzt gemacht?
Laura Ewert (37) ist freie Autorin, lebt in Berlin und besitzt noch keinen Womanizer. Sie ist Co-Autorin des Buchs «Schluss jetzt. Von der Freiheit, sich zu trennen», Hanserblau-Verlag, 2019