Familie
«Seit ich Mutter bin, genügt mir das Mittelmass»
- Text: Marie Hettich, Jacqueline Krause-Blouin
- Bild: zvg; Collage: annabelle
In unserer Rubrik «The Mamas and the Papas» kommen Eltern aus der Schweiz zu Wort: Ein ehrlicher Fragebogen über Liebe, Erschöpfung, politische Missstände und Parenting-Hacks. Diesmal mit Michelle, Mutter von zwei Kindern.
Vorname: Michelle
Alter: 34
Beruf: Theaterleiterin
Kinder: Zwei Kids (1.5 und 4 Jahre alt)
Familienstruktur: Beide Eltern arbeiten 80 % an vier fixen Tagen pro Woche mit je einem Betreuungstag unter der Woche. Die Kinder gehen zwei Tage gemeinsam in die Kita und an einem Tag schauen die beiden Grossmütter abwechselnd.
Ein Gerücht über Eltern, das stimmt: Alle Eltern finden ihre eigenen Kinder die besten (bei uns stimmt es!).
Ein Gerücht über Eltern, das nicht stimmt: Dass wir im Kopf ständig bei unseren Kinder sind, wenn sie nicht bei uns sind
Das Schönste daran, Kinder haben: Bedingungslose Liebe, selbst wieder wie ein Kind sein können, jeden Tag mit Kindern verbringen zu können
Das hat mich regelrecht schockiert: Schlaf wird in den ersten Kinderjahren zum Dauerthema: Schlafzyklen, Schlafrhythmen, REM-Schlaf, Einschlafrituale, Schlafdruck, Durchschlafen, Schlafprotokolle, Schlafdefizit, ohje!
Am alleranstrengendsten im Alltag mit Kindern finde ich: Aus dem Haus gehen mit Kindern (next Level: im Winter) empfinde ich täglich aufs Neue als Herausforderung, die bei uns fast nie stressfrei abläuft.
Ein Teil von mir, den ich vermisse: Ich vermisse mein leichtes, spontanes Ich, das sich durch glückliche Zufälle und überraschende Begegnungen durch den Tag und das Leben gleiten lässt.
Die grösste Veränderung an mir selbst, seit ich Mutter bin: Ich bin voll zufrieden mit Mittelmass. Das Leben mit Kindern ist schon Hochleistungssport genug, deshalb bin ich nicht mehr so überambitioniert wie früher. Ich kann mich selbst lieben, ohne ständig an meinen Schwächen zu arbeiten oder meine Stärken zu stärken.
Das Witzigste an meinen Kindern: Wenn sie uns Eltern imitieren
«Ich hätte mir nicht vorstellen können, wie verletzlich und emotional ich durch das Kinderhaben werde»
Das hat mich am Elternsein am meisten überrascht: Ich hätte mir nicht vorstellen können, wie verletzlich und emotional ich durch das Kinderhaben werde. Noch während der Schwangerschaft dachte ich, dass ich mein Baby nach einem halben Jahr easy in die Kita abgeben kann und unbedingt wieder arbeiten möchte. Als es dann so weit war, fiel es mir sehr schwer und hatte ich Zweifel, ob ich den richtigen Weg gehe.
Eine Sache, die mir in der Erziehung ganz besonders wichtig ist: Ich versuche die Selbstständigkeit unserer Kinder zu fördern. Und ich arbeite daran, ihnen vorzuleben, Bedürfnisse und Grenzen klar zu artikulieren.
Das gönne ich mir, seit ich Mutter bin: Regelmässige Pausen-Wochenenden mit meinem Partner und ohne Kinder – und ein flexibles digitales Personalcoaching für Sport und Ernährung.
So erschöpft bin ich gerade von 0 bis 10: 8
Das letzte Mal ausgeschlafen habe ich: Vor zwei Wochen, als unsere Kinder für das Wochenende bei der Grossmutter waren
Mein Ventil: Theater, Sport und Gespräche mit anderen Eltern
Unser Lieblingsresti mit Kindern: Im Moment keins. Uns ist es zurzeit zu anstrengend, mit den beiden Kleinkindern in ein Resti zu gehen. Ich bin froh, wenn ich zu Hause mein Essen in Ruhe geniessen kann.
Ein schnelles Gericht, das alle lieben: Pasta al Salmone oder Griessbrei mit Früchten
Etwas, worüber wir Eltern ehrlicher reden sollten: Redet über Mental Load im Haushalt und zwar VOR dem ersten Kind!
Eine Sache, die sich familienpolitisch in der Schweiz ganz dringend ändern muss: Dass Kinder immer noch so stark als Privatsache gelten, ist unerhört! Viele Teile der Care-Arbeit bleiben unsichtbar und werden somit weder einkalkuliert noch wertgeschätzt.
Eine Anschaffung, die für die Katz war: Eine Designer-Babywippe. Unsere Kinder haben sie gehasst. Ich habe mich schlecht gefühlt, als ich sie via Tutti einer schwangeren Frau weiterverkauft habe.
Eine Anschaffung, die uns das Leben gerettet hat: Eine Dondolo-Hängematte!
Das beste Buch für Eltern: Wir besitzen nur eins: «Babyjahre», der Klassiker von Remo Largo.
Der beste Podcast für Eltern: «Where Should We Begin?» von Esther Perel. Für Beziehungsarbeit.
Unser Lifesaver Nummer eins, immer wieder: All unsere Familienmitglieder, die einspringen, wenn wir kurzfristig Betreuung brauchen
«Lasst das Kind früh genug neue Bezugspersonen kennenlernen!»
Eine Sache, die ich über mich selbst gelernt habe, seit ich Mutter bin: Ich bin gar nicht so gut in Multitasking, wie ich immer dachte 🙂
Der beste Tipp an alle frischgebackenen Eltern: Seid lieb und grosszügig zueinander und lasst das Kind früh genug neue Bezugspersonen kennenlernen. Gönnt euch Pausen.
Eine Sache, die sich in der Arbeitswelt aus Elternsicht dringend ändern muss: Die 42-Stundenwoche
Drei Hacks für gelungene Familienferien: Apartment statt Hotel, wenig planen und mindestens ein Tag «Ferien nach den Ferien» (sprich: die Kinder in Betreuung geben und zu Hause alleine erholen)
Ein guter Spartipp für Familien: Möglichst viel secondhand kaufen und den Grosseinkauf online bestellen. Spart Zeit und du hast alle Aktionen auf einen Blick.
Etwas, das ich als Mutter rückblickend anders machen würde: Ich hätte mich in der Schwangerschaft besser übers Stillen informieren sollen.
Das hat sich am Verhältnis zu meinem eigenen Körper geändert, seit ich Mutter bin: Ich bis extrem dankbar für meine körperliche und mentale Gesundheit.
Das mussten wir, seit wir Eltern sind, als Paar erst lernen: Wir haben gelernt, in Konflikten ehrlicher miteinander zu sprechen und können einander schneller verzeihen. Als Eltern musst du als Team funktionieren können, auch wenn es mal kriselt.
Die grösste Challenge als Paar, seit wir Eltern sind: Die «Wer-macht-mehr-Frage», die wir eigentlich gar nicht stellen wollen
Eine Sache, die uns als Paar extrem hilft: Ein gemeinsamer Kalender, ein gemeinsames Konto, ähnlich hohe Löhne und gleich viele Betreuungs- und Arbeitstage. Das erspart uns viele Diskussionen.
Das bringt mich sofort zum Weinen: Fast jedes Theaterstück mit Kindern auf der Bühne
Wovor ich meine Kinder sehr gern bewahren würde: Leistungsdruck, Diskriminierung und toxische Beziehungen
Das beste Reiseziel für Familys: Italien – die bambini sind immer willkommen
Ein Vorsatz, den ich wieder aufgeben musste: Dass ich mich wegen der Kinder nicht verändern werde …
Komplett ans Limit komme ich … wenn ich überarbeitet bin und ein schlechtes Gewissen habe, Zeit für mich zu nehmen.
Bei Regenwetter … gehen wir in die Bibliothek oder ins Museum.
Eltern in der Schweiz … könnten etwas lockerer werden.
Gleichgestellte Elternschaft … braucht sehr viel Arbeit.
Ferien mit Kindern … sind extrem verbindend und gleichzeitig anstrengend.
Wenn Geld keine Rolle spielen würde, würde ich … nichts wirklich anders machen, bloss mit weniger Stress.
Work-Life-Balance … zu haben ist ein Privileg.
Vereinbarkeit … ist das falsche Buzzword. Wir wollten lieber über die Unvereinbarkeiten sprechen.
Hier findet ihr alle Folgen «The Mamas and the Papas»