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Das Schwiegermonster: Die böse Schwiegermutter ist nicht nur ein Klischee

Das Schwiegermonster: Die böse Schwiegermutter ist nicht nur ein Klischee

  • Text: Stefanie Rigutto; Illustration: Marcos Chin

Wir dachten, sie wäre ausgestorben: die böse Schwiegermutter. Tatsächlich ist sie quietschfidel und macht das Leben so mancher Ehefrau zur Hölle. Vier Opfer erzählen.

Wenn die Schwiegermutter zu Besuch kommt, kippt Laura vorher zwei Glas Rotwein. «Sonst halte ich die Hexe nicht aus», sagt sie und zitiert ein Bonmot, über das sie schon lange nicht mehr lachen kann: «Auf in den Kampf, die Schwiegermutter naht. Siegesgewiss klappert ihr Gebiss.» Das letzte Mal sei die Schwiegermutter ins Wohnzimmer getreten, habe den Blick schweifen lassen und dann ausgerufen: «Jesses, Laura, die Vorhänge müssen dringend gewaschen werden!» Dann habe sie ihren Sohn umarmt und gesäuselt: «Schatz, ich habe dir deinen Lieblingskuchen gebacken.» Zu Laura gewandt: «Hast du das Rezept? Ich schreibs dir gleich auf!»


Wie ein penetranter Chef

Laura rollt mit den Augen. Sie sagt: «Es gibt Momente, da wünsche ich mir, dass sie unter der Erde liegt. Ich schäme mich, aber mein Leben wäre so unendlich viel einfacher ohne sie.» Es gab nie den grossen Skandal. Es waren immer Kleinigkeiten. Maliziöse Bemerkungen, Sticheleien. Einzeln wirken sie banal, in der Summe jedoch haben sie Laura schon an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gebracht. «Meine Schwiegermutter ist wie ein penetranter Chef, der einen konstant überwacht und kritisiert.»

Laura ist ein harmoniebedürftiger Mensch. Sie will es ihrer Schwiegermutter recht machen, ihr gefallen. «Aber ich bin ihr nicht gut genug. Die Ablehnung tut weh.» Die Mutter ihres Mannes machte nie einen Hehl daraus, dass sie Laura nicht mag. Als diese bereits schwanger war, verwendete sie noch immer ein Foto ihres Sohnes und seiner Ex als Bildschirmschoner. «Du hast immer so nette Freundinnen nachhause gebracht», soll sie mal zu ihm gesagt haben.

Trotzdem war sie die Erste, die ihren Enkel in die Arme nehmen wollte: Vier Stunden nach der Geburt stand sie im Spitalzimmer – unangekündigt. Und alles, was sie ihrer erschöpften Schwiegertochter zu sagen hatte, war: «Du siehst ja grauenhaft aus.»


Die Schwiegermutter als Scheidungsgrund

Die böse Schwiegermutter – ein Mythos? Weit gefehlt. Tatsächlich ist sie putzmunter und macht das Leben vieler Ehefrauen zur Hölle. Zweifellos gibt es tolle Schwiegermütter. Doch die seien in der Minderheit, behauptet die britische Soziologin Terri Apter: Sie fand heraus, dass fast zwei Drittel aller Frauen unter ihrer Schwiegermutter leiden. Bei sieben Prozent der Scheidungen wird sie als Grund angegeben. Und sie hat es sogar auf die internationale Stressskala geschafft: «Stress mit der angeheirateten Verwandtschaft» rangiert auf Platz 24 von 43 Gründen.

Es gibt Selbsthilfeforen im Internet, wo geplagte Schwiegertöchter ihr Leid klagen. Die Anekdoten reichen vom Öffnen der Post bis zum Durchwühlen des Abfalls. Da werden Szenen beschrieben, wie man sie nur aus dem Film «Monster-in-Law» mit Jane Fonda kannte. Auch die Wissenschaft nimmt sich der Problematik an: Die deutsche Psychologin Felicitas Heyne hat für ihr Buch «Hassgeliebte Schwiegermütter» die Spezies in fünf Kategorien eingeteilt: die Tyrannosaura, die Auster, die Meckerziege, die Intrigenspinne und das Klammeräffchen.

Kann es denn wirklich so schlimm sein? «Früher habe ich mich gewundert, warum alle Frauen über ihre Schwiegermutter lästern», sagt Esther. Heute wisse sie: Die Beziehung ist wirklich kompliziert. Für diese Reportage wurden vier Frauen befragt, die wegen ihrer Schwiegermutter fast verzweifeln. Alle sind verheiratet, zwischen 30 und 45 Jahre alt. Alle wollen anonym bleiben.


Sie kauft ihm Unterhosen

Ihre Schwiegermutter sei kei Bösi, sagt Esther. Aber eine Nervensäge, die dauernd in ihr Leben eingreife. Beispiele? Kann Esther stundenlang erzählen. Die Schwiegermutter ist Dauergast in ihrer Wohnung. Sie verstellt die Möbel («So siehts doch schöner aus!») und ordnet die Bibliothek neu («Das war ein totales Chrüsimüsi!»). Gerne belehrt sie die Schwiegertochter, was sie ihrem Mann zu kochen habe und dass sie das Gemüse immer ganz klein schneiden und unter die Sauce mischen müsse, damit der Filius – ein Gemüseverächter – ja genug Vitamine bekomme. Und natürlich kauft sie ihm bis heute neue Unterhosen.

Esthers Lieblingsanekdote: An einem Sonntagmorgen stand Frau Schwiegermutter im Schlafzimmer ihres Sohnes. Dieser wohnte noch zuhause, und Esther hatte bei ihm übernachtet. Die Schwiegermutter stand in der Tür und krähte: «Guten Morgen, ihr Schlafmützen!» Esther und ihr Freund hatten nicht nur einen Kater, sondern auch eine heisse Nacht hinter sich. Die Schwiegermutter setzte sich aufs Bett und begann, die Füsse ihres Sohnes zu massieren. Esther lag daneben unter der Bettdecke, splitternackt. Die Schwiegermutter schaute sie an: «Hast du gut geschlafen?»

Irgendwann habe die Schwiegermutter angefangen, sie zu kopieren, erzählt Esther. Sie kaufte denselben Schmuck, einfach grösser und teurer. «Und als ich mir Leggins mit Nieten gekauft habe, ging es keine Woche, da trug sie auch welche.»


Der Wunsch nach Enkelkindern

Trotzdem wünscht sie sich nichts sehnlicher als ein Enkelkind. «Sie geht mit völliger Selbstverständlichkeit davon aus, dass wir Kinder wollen», sagt Esther. Jedes Mal, wenn man miteinander telefoniere, frage sie: «Ist es schon so weit?» Einmal, nachdem die Schwiegermutter bei ihnen zuhause auf der Toilette war, sagte sie vorwurfsvoll: «Du nimmst ja noch immer die Pille!» Die Packung lag im Spiegelschrank.

Die böse Schwiegermutter gibt es in jedem Kulturkreis, auf jedem Kontinent, in jeder Epoche. Die Churer Psychologin und Autorin Christina Casanova sagt: «Ob es Konflikte gibt zwischen Schwiegertochter und Schwiegermutter, hängt vor allem davon ab, welche Rolle der Sohn im Leben seiner Mutter einnimmt.» Ist er der einzige Sohn? Lastet auf ihm die Hypothek des Erstgeborenen? Oder war er eine Art Partnerersatz, weil der Ehemann immer unterwegs war?

Christina Casanova erklärt: «Wenn der Sohn der Kronprinz im Leben der Mutter ist, sieht sie die neue Frau als Konkurrenz.» Das Problem entschärfen könne nur der Sohn selber. «Setzt er seiner Mutter Grenzen? Oder hält er sich aus allem raus?» Der Frust der Schwiegertöchter sei ja, dass sich der Ehemann meist nicht hinter sie stelle und das Verhalten der Mutter toleriere.


Gemeinsame Ferien

Eliane hatte Glück: Ihr Mann gab ihr Rückendeckung. Dennoch sagt sie: «Es ist nicht auszuhalten mit seiner Mutter.» Der Kontakt sei ihr viel zu eng. Man gehe sogar zusammen in die Ferien. «Trotzdem wirft sie mir vor, wir würden uns zu wenig sehen.» Auch die Kinder seien ein grosses Potenzial für Lämpe, vor allem, wenn die Schwiegermutter regelmässig hüte. «Sie sorgt sich rührend um sie.» Sie sei dankbar, dass die Schwiegermutter mithelfe. Aber ihre besserwisserischen Erziehungstipps könne sie nicht mehr hören.

Da ist die Episode, als das Baby ein halbes Jahr alt war. Schwiegermutter: «Er hat in die Windel gemacht.» – Eliane: «Nein, das rieche ich.» – Schwiegermutter: «Du hast eine schlechte Nase. Geh nachschauen.» Natürlich war die Windel leer.

Heute nerven Schwiegermütter. Früher brachten sie manchmal sogar den Tod. Eine Studie über ostfriesische Landarbeitersippen aus dem 18. und 19. Jahrhundert hat gezeigt, dass die Kindersterblichkeit und das Risiko einer Totgeburt grösser war, wenn die Grossmutter väterlicherseits in der Nachbarschaft wohnte. Der Grund, so Evolutionsbiologen, liege in der Vaterschaftsunsicherheit: Mama’s Baby, Papa’s Maybe. Wie weiss die Mutter des Stammhalters, ob ihrem Clan nicht ein Kuckuckskind untergejubelt wurde?


Geschrei, Tränen, Kontaktabbruch

Exakt dies wurde Barbara unterstellt. Als sie zu ihrem Kind sagte: «Lueg, s Grossmami isch da!», schaute diese sie schräg an und meinte: «Bin ich das wirklich?» Sie wisse ja nicht, mit wem sie es treibe, während der Mann auf Geschäftsreise sei. Es folgten ein Mordskrach, Geschrei, Tränen, Kontaktabbruch. Aber nie eine Entschuldigung. Rückblickend sagt Barbara: «Ich glaube nicht, dass sie es ernst gemeint hat. Sie wollte mich nur verletzen.» Mittlerweile sind drei Kinder da. Und die Schwiegermutter heisst familienintern nur noch Schwiegermonster. «Sogar mein Mann nennt sie so», sagt Barbara.

Barbara hat all ihre Kinder gestillt – aber nie in Gegenwart des Schwiegermonsters. Dieses sagte: «Stillen ist gruusig. Es stört mich und auch meinen Sohn – er sagt es dir nur nicht.» Als Barbara das Gespräch mit der Schwiegermutter suchte, meinte diese nur: «In unserer Familie gibt es Regeln, und an die hast du dich zu halten.» Die Schwiegermutter selber hält sich aber an gar keine Regeln. «Sie setzt unsere Kinder schon am Morgen vor den Fernseher und lässt sie mit dem Handy spielen.»

Konsequent hintergeht sie die Autorität der Schwiegertochter. Erteilt diese ein Dessertverbot, weil die Kinder das Gemüse nicht essen wollen, steckt die Schwiegermutter jedem ein Stück Kuchen zu. Barbara: «Und das in meinem Haus!» Barbara sagt: «Ich will, dass meine Kinder Kontakt haben zu den Grosseltern.» Aber sie selber würde die Hexe am liebsten nicht mehr sehen. «Wenn ich merke, dass der letzte Besuch bei ihr eine Weile her und der nächste fällig ist, zieht sich alles in mir zusammen.» Wenn sie dann in der Agenda sehe, dass die nächsten zwei Monate ausgebucht sind und ein Besuch absolut unmöglich, dann gehe es ihr richtig gut. «Zwei Monate ohne Schwiegermonster – göttlich!»