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Der richtige Zeitpunkt für ein Kennenlernen

Body & Soul

Der richtige Zeitpunkt für ein Kennenlernen

  • Text: Kasandra Brabaw      Dieser Artikel erschien zuerst bei Refinery29 Germany / Instagram / Facebook

Irgendwann sollen sich der neue Lieblingsmensch und die Familie kennenlernen. Welches ist der beste Anlass dafür – und wie umgeht man heikle Themen? 

Ich habe eine grosse, laute Familie. Wir alle, also mein Opa, seine sieben Geschwister, alle Kinder, Enkel*innen und Urenkel*innen finden sich jährlich im Oktober zu einem grossen Treffen zusammen. Wir spielen Karten, beschimpfen uns gegenseitig und bereiten ein wirklich widerliches Essen namens Goop zu: Einen Hot Dog, der mit einer Mischung aus Senf, Mayonnaise, Ketchup und Cheddar garniert wird. Ich glaube, diese Wochenenden sind für alle Beteiligten zu gleichen Teilen ein tolles Erlebnis und eine einzige Überforderung. Aber am Ende ist es eben Familie und man kennt sich ja. Dieses Jahr könnte sich der Kreis erweitern: Ich denke darüber nach, meine Freundin mitzubringen.

Ich lebe weit von meinen Eltern entfernt und besuche sie maximal alle paar Monate. Deswegen hat meine Familie meine Freundin bislang noch nicht kennengelernt. Meine Mutter brennt regelrecht darauf endlich zu erfahren, wie die Frau, mit der ihre Tochter zusammen ist, wohl sein mag. Dieses Jahr werde ich ausserhalb des grossen Familientreffens nur über die Weihnachtsfeiertage in die Heimat fahren, deswegen scheint es eine gute Idee zu sein, meine Freundin vorher im Oktober einfach mal mitzunehmen. Doch allein die Vorstellung, dass sie meine laute, konservative Sippschaft komplett auf einen Schlag treffen muss, ist für mich schon ein absoluter Albtraum. Ich will zwar, dass meine Freundin und meine Familie sich kennenlernen, aber irgendwie stimmt das Timing nicht.

Mit diesem Zweifel stehe ich nicht alleine da. Hochzeiten, Beerdigungen, Familienfeste, Abschlussbälle und andere Veranstaltungen, bei denen die ganze Verwandtschaft aufeinandertrifft, sind für viele Leute nicht die richtige Gelegenheit, um ihre*n neue*n Partner*in vorzustellen. Aber gibt es tatsächlich so etwas wie einen schlechten Zeitpunkt für eine Zusammenführung? Oder sollte man dieses meist unangenehme Treffen einfach nur schnell hinter sich bringen, egal wie die Umstände sein mögen?

Laut Paartherapeutin Jean Fitzpatrick ist genau das eine schlechte Idee. Sie sollten Ihre*n Freund*in den Eltern nicht einfach nur deswegen vorstellen, damit die Sache vom Tisch ist. «Was ein guter oder schlechter Zeitpunkt ist, hängt vom Charakter deines Freundes oder deiner Freundin ab.» Soll heissen: Hier entscheiden Einzelheiten.

Nochmal zurück zu meinem Familientreffen. Hier wird Bratenfett als Geheimzutat zu allem gereicht, Gemüse selbstverständlich eingeschlossen. Meine Freundin ist zwar keine Veganerin, aber wäre sie eine, es würde sehr wahrscheinlich nicht ein einziges Gericht geben, das sie essen könnte. Als ich Fitzpatrick davon erzähle, sagt sie, in diesem Fall wäre es offensichtlich keine gute Idee, meine Freundin zu dieser Zusammenkunft mitzunehmen. Neben der Tatsache, dass sie hungrig bleiben würde, würde sie sich sehr wahrscheinlich blöde Fragen von etwa 20 meiner Onkel anhören müssen. Ein Grossteil von ihnen ist Viehbauer und sie verdienen ihr Geld damit, das Fleisch ihrer Tiere zu verkaufen. Nach dem fünften Bier würden die Fragen dann ungefähr in die Richtung «Was stimmt eigentlich nicht mit dir?» gehen.

Es gibt keine allgemeingültige Regel, welche Gelegenheit die falsche ist, um seine Familie und seine*n Partner*in an einen Tisch zu bringen, aber dass falsche Gelegenheiten dafür existieren, darüber sind wir uns wohl spätestens nach meinem Beispiel alle einig. Wie bei so vielen Dingen in (Liebes-)Beziehungen hängt das richtige Timing von Ihnen und Ihrem Freund oder Ihrer Freundin ab. Und in diesem speziellen Fall noch von Ihren Eltern. Fitzpatrick sagt: «Wenn Sie aus einer Familie von Supersportlern kommen und Ihr*e Partner*in es lieber gemütlich mag, ist der alljährliche Familienmarathonlauf eine schlechte Gelegenheit für ein erstes Treffen. Ausser Ihr*e Freund*in hat total viel Lust darauf, alle von der Bande aus anzufeuern und an der Ziellinie mit Wasser bereitzustehen».

Einem introvertierten Menschen stellt man am besten nicht die ganze Familie auf einen Streich vor. Kommen Sie aus einer religiösen Familie und haben sich in eine*n Atheist*in verliebt, sollten Sie nicht das erste Mal an einem Feiertag zusammenfinden. Wenn Sie in der Vergangenheit nur richtig feste Partner*innen mit nach Hause gebracht haben, sollten Sie jetzt niemanden vorstellen, den oder die Sie erst seit kurzem daten. «Solche Sachen können für alle Beteiligten unangenehm werden», so Fitzgerald. Oder anders ausgedrückt: Denken Sie vorher einfach ein bisschen darüber nach, wie das erste Treffen verlaufen könnte und versuchen Sie, es Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin so angenehm wie möglich zu machen.

Wenn eine seltsame Situation aber unvermeidlich ist, weil Sie beispielsweise zu einer Trauerfeier müssen und Ihr*e Partner*in als emotionale Stütze mitkommen möchte oder der Flug der oder des anderen gecancelt worden ist und Sie unerwarteterweise im Haus Ihrer Eltern schlafen müssen (ja, genau das ist mir einmal passiert), dann sollten Sie – als die eine Person, die alle Beteiligten kennt – das Drumherum so gestalten, dass sich alle einigermassen wohlfühlen können. Fitzgerald hat hier einen Tipp: «Es ist gut möglich, dass Ihr*e Partner*in sich erstmal nicht so richtig sicher fühlt oder die Situation sie oder ihn überfordert. Hier helfen traditionelle Höflichkeitsformen, um den Einstieg für alle zu erleichtern.» Sollte eine Trauerfeier anstehen, könnten Sie ein Gericht zum Leichenschmaus beisteuern, das Ihr*e Partner*in überreichen sollte. Ist das Treffen spontan, sollten Sie und Ihr*e Freund*in den Tisch fürs gemeinsame Abendessen decken und beim Abwasch helfen. Diese kleinen Gesten machen einen Riesenunterschied

Wenn Sie sich jedoch nicht in solchen Ausnahmesituationen wiederfinden, sollten Sie ein Treffen so timen, dass sowohl Ihre Eltern als auch Ihre Freundin oder Ihr Freund möglichst gut drauf sind. Die Familie der oder des anderen zu treffen wird wohl niemals die Lieblingsbeschäftigung von irgendjemandem werden, aber mit ein bisschen Planung kann das Ganze in der Regel einigermassen glatt über die Bühne gehen. Tun Sie also beiden Parteien den Gefallen und wählen Sie fürs erste Treffen ein Setting aus, an dem sich alle wohlfühlen. Ein Restaurant beispielsweise ist nicht nur für alle ein neutraler Ort, auch die Dauer des Treffens ist zeitlich begrenzt und niemand kann die Gastfreundschaft des anderen überstrapazieren. Schlussendlich sollten Sie sich bei aller Vorbereitung, Rücksichtnahme und Mitdenken jedoch nicht verrückt machen: Es gibt einen guten Grund, wieso Sie sich für Ihr*e Partner*in entschieden haben, und Ihre Eltern werden sich bestimmt freuen, wenn sie sehen, wie gut Sie sich verstehen. Und auch wenn es keine zweite Chance für den ersten Eindruck gibt, es werden sehr wahrscheinlich noch genug Familienfeiern auf Sie zukommen, die Sie sicherlich gemeinsam meistern werden.