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Rassismus in der Schwangerschaft: «Es gibt liebe Hebammen, die trotzdem die Hautfarbe kommentieren»

Rassismus in der Schwangerschaft: «Es gibt liebe Hebammen, die trotzdem die Hautfarbe kommentieren»

Als Doula und Hebamme in Ausbildung begleitet Neram Nimindé-Dundadengar insbesondere Schwarze Gebärende und gibt Workshops zur Sensibilisierung. Ein Gespräch über rassistische Stereotype, fehlendes medizinisches Wissen – und Rihanna.

annabelle: Neram Nimindé-Dundadengar, Sie bekommen viele Anfragen von Schwarzen Personen. Das schreiben Sie in einem Gastbeitrag im neu aufgelegten «Geburtsbuch» von Nora Imlau. Warum wünschen sich viele Schwarze Schwangere explizit eine Schwarze Doula oder Hebamme an ihrer Seite?
Neram Nimindé-Dundadengar: In einer Gesellschaft, die mehrheitlich weiss ist, befindet man sich als Schwarze Person immer in einer Art Aussenseiterrolle. Es ist anstrengend, sich nie ganz sicher zu fühlen – man kann jederzeit und überall auf Rassismus stossen. Viele Schwangere ahnen, dass sie die einzige Schwarze Person im ganzen Kreisssaal sein werden. Gerade während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett sind Safe Spaces aber enorm wichtig. Eine Doula oder Hebamme, die selbst als Schwarze Person durchs Leben geht, kann als Unterstützung einen Unterschied machen.

Was braucht es, damit auch weisse Personen in der Geburtshilfe einen solchen Safe Space bieten können? Oder ist das Ihrer Meinung nach unmöglich?
Es gibt ganz liebe Hebammen, die nach der Geburt aber trotzdem kommentieren, wie hell oder dunkel sie die Hautfarbe oder wie voll sie die Lippen des Neugeborenen finden. Die meisten meinen das nicht böse – aber sie haben keine Ahnung, was sie in so einem Moment anrichten können. Ich will nicht trennen. Und bin davon überzeugt, dass auch weisse Geburtshelfer:innen einen super Job machen können. Aber Sensibilisierung ist extrem wichtig. Das ist auch der Grund, weshalb ich meine Workshops anbiete.

Was bringen Sie den Hebammen und Doulas dort bei?
Zuallererst geht es mir immer darum, dass die Teilnehmer:innen bei sich selbst schauen: Was verstehe ich eigentlich unter Rassismus? Denke ich bei dem Begriff direkt an Nazis oder habe ich schon ein Bewusstsein dafür, wie komplex das Thema ist? Niemand sieht sich selbst als Rassist:in – das eigene Verhalten kann aber durchaus rassistisch sein.

Welche Themen behandeln Sie noch?
Der weisse Körper ist nach wie vor die Norm. Deshalb vermittle ich medizinisches Wissen, das in den Ausbildungen zu kurz kommt oder überhaupt nicht behandelt wird. Erst nach und nach gibt es zum Beispiel in der Dermatologie Bücher, die spezialisiert sind auf nicht-weisse Haut und deren Symptome. Diese Entwicklung muss sich auf die Themen Schwangerschaft und Geburt erst noch ausweiten.

Was sollten Hebammen und Doulas unbedingt wissen?
Ein Beispiel: Ich habe erlebt, dass Hebammen nach der Geburt den Eindruck hatten, die Hoden des Babys seien zu dunkel, da stimme irgendetwas nicht. Oder beim Thema Stillen: Überall wird vermittelt, dass man einen Milchstau unter anderem an geröteter Haut erkennen kann. Bei einer Frau mit höherem Melaningehalt in der Haut kann ich da aber lange gucken – da wird nur wenig bis gar nichts rot. Es geht also vielmehr darum, die Brust vorsichtig abzutasten. Und vor allem auch darum, die Person zu fragen, was sie fühlt. Und ihr dann auch zu glauben.

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«Es gibt das rassistische Stereotyp, dass Schwarze Menschen weniger Schmerz empfinden»

Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass Schwarzen Personen weniger geglaubt wird?
Ja. Es gibt das rassistische Stereotyp, dass Schwarze Menschen weniger Schmerz empfinden. Zum Beispiel hat den Kommentar «Sie werden leicht gebären – die Frauen in Afrika machen das ja ohne Probleme» fast jede meiner Frauen, die ich begleitet habe, von ihrer Gynäkologin gehört.

Welche Folgen können solche Sprüche haben?
Die Erwartungen sind so hoch – da traut man sich kaum mehr zu sagen, dass man eben doch grosse Schmerzen hat und Unterstützung braucht. Oder während der Geburt, wie alle anderen auch, weinen, laut werden, schreien möchte. Manche vermeiden in der Schwangerschaft auch Besuche bei Ärzt:innen oder gehen gar nicht erst zu einer Gynäkologin oder Hebamme, aus Angst, nicht ernst genommen zu werden. Weil es ja für Schwarze Frauen angeblich so easy ist, zu gebären, gelten sie schnell als wehleidig oder auch aggressiv. Da kann es dann auch passieren, dass sie nach Hilfe fragen – aber keine bekommen. Ich kenne leider einige heftige Beispiele.

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«Rassismus zu erfahren und sich davor zu schützen, ist unheimlich energiezehrend»

Wozu raten Sie Schwarzen Personen für ihre Schwangerschaft?
Zu Selbstfürsorge! Rassismus zu erfahren und sich davor zu schützen, ist unheimlich energiezehrend. Diesen Stress können wir während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett überhaupt nicht gebrauchen. Deshalb stelle ich jeder Schwangeren die Frage: Was brauchst du, um dich sicher zu fühlen? Wie genau sieht ein Safe Space für dich aus? Es ist ganz wichtig, das eigene Wohlbefinden in dieser vulnerablen Zeit zu priorisieren. Es gibt auch immer mehr Online-Communitys, in die man eintauchen und wo man sich sicher fühlen kann.

Und was raten Sie im Umgang mit den weissen, vielleicht unsensibiliserten, Leuten um sich herum?
Wenn man die Energie und die Lust hat, empfehle ich, die Hebamme oder Doula von sich aus auf das Thema Rassismus anzusprechen. Zum Beispiel zu sagen: «Gewisse Themen und Kommentare sind für mich ein No-Go.» All das würde ich auch unbedingt im Geburtsplan vermerken. Wenn die Person abweisend reagiert, und dir das Gefühl gibt, du übertreibst, würde ich, wenn möglich, die Hebamme oder Doula wechseln.

Noch eine ganz andere Frage zum Schluss: Was denken Sie über Rihanna, die ihre beiden Schwangerschaften öffentlich zelebriert hat? Tut das für Sie irgendwas zur Sache?
Auf jeden Fall. Eine empowernde Message von Rihanna! Wir wissen, dass in den USA das Risiko, als Schwarze Person unter der Geburt zu sterben, drei bis vier Mal höher ist. Im deutschsprachigen Raum werden im Gesundheitssystem keine offiziellen Zahlen vermerkt. Deshalb ist es umso schwieriger und frustrierend, Rassismus in der Geburtshilfe zu thematisieren. Was ich aber eigentlich sagen wollte: Wenn wir uns immer nur auf unser Leiden fokussieren, macht uns das ja fertig. Black Joy ist da unheimlich wichtig: sich zu freuen, stolz zu sein, uns als Schwarze Community zu feiern. Den Fokus auf das Thema Rassismus sehe ich eher für die Nicht-Betroffenen. Sie sind es ja, die etwas ändern müssen.

Neram Nimindé-Dundadengar ist als Doula und Hebamme in der Ausbildung tätig. Sie begleitet insbesondere Frauen aus afro-diasporischer Herkunft sowie Personen mit Migrationsgeschichte weltweit bei Kinderwunsch, Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett sowie in Fragen der Frauenheilkunde und sexuellen Gesundheit. Neram Nimindé-Dundadengar hostet zudem den Podcast «Womb & Beyond».Sie ist Afrodeutsche, Mutter von vier Kindern und lebt in Bogotá, Kolumbien. Auf ihrer Website hat sie eine Liste mit Schwarzen Hebammen und Doulas veröffentlicht, die zum Teil auch ortsunabhängig und digital arbeiten.

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