Ein Mamablog fernab von Erziehungstipps und Babybrei-Rezepten: Die Journalistin beschreibt Mutterleben und Kindheit als gesellschaftliche Dimension.
Vielleicht ist er gerade deswegen so erfolgreich: Der Mamablog von Nicole Althaus provoziert mit prägnanten gesellschaftspolitischen Statements zum Thema Familie. Da wird die «Zwangserotisierung» kleiner Mädchen mittels sexy Kleidung ebenso scharf verurteilt wie die Hochstilisierung des Langzeitstillens zu einem «urweiblichen Bedürfnis». Die Einträge werden bis zu 500-mal kommentiert, und zwar von einer Leserschaft, die oft weder Zeit noch Nerven zu verlieren hat.
Nicole Althaus, ehemalige annabelle-Kollegin, hat vor einem Jahr die Redaktion mit dem freien Journalismus eingetauscht und zum Auftakt der neuen Tätigkeit den Mamablog ins Leben gerufen. Auf Newsnetz, der Website des Tamedia-Verlags, der auch annabelle herausgibt, verheisst der Untertitel ihres Blogs «Kinder, Knatsch und Prosecco». Das perlt und prickelt erfrischend im Mamakopf, der sonst vor allem mit vollen Windeln, schlaflosen Nächten und Schulproblemen zu kämpfen hat: Es gibt ein Muttersein jenseits der «klassischen Sorgenlinie», wie Nicole Althaus es nennt, Elternleben und Kindheit haben eine gesellschaftliche Dimension.
Nicole Althaus sitzt in ihrem hohen hellen Loft, die beiden hübschen Mädchenzimmer baden im Licht, der offene Wohnraum strahlt sein industrielles Vorleben aus. Der Mamablog, den sie mit ihrer Co-Autorin Michèle Binswanger bestreitet und an dem sich gelegentlich auch Gastautorinnen und Gastautoren beteiligen, ist gemäss Google innert Jahresfrist zum zweitpopulärsten Blog der Schweiz avanciert. Das Blog-Ranking auf Anthrazit.ch platziert ihn mit vier von fünf Sternen bei den besten, die Autorinnen sind zu gefragten Expertinnen geworden.
Als hätte die unendliche Blogosphäre darauf gewartet. Wer «Mamablog» googelt, stösst auf viel Kolumnistisches, vom Bekenntnis zum Hilferuf zum Rezept zum Tipp, auf Dinge wie ein «Institut für feministisches Mutterwesen» und den nicht nur grammatikalisch denkwürdigen Satz «I mom therefore I blog».
Der Mamablog von Nicole Althaus ist zwar nicht unemotional – sie schreibt selbstironisch, mit spitzer Feder, empört –, aber dennoch geht es bei ihr vergleichsweise sachlich zu und her: Die Themen drehen sich um Begabtenförderung in der Schule etwa, die Krux des Feminismus, Einwegkommunikation mit Teenagern, die Ökonomie berufstätiger Eltern, die Verschiebung der Pubertät ins Kindesalter, Sex nach der Geburt. Die Lektüre spiegelt den Hindernislauf, den Elternschaft bedeutet, und führt durch die neuen, oft angelsächsischen Sachbücher.«Ich gebe keine Erziehungstipps», sagt die Journalistin, die sich schon als Reporterin mit dem Thema Familie beschäftigt hat, «dafür bin ich ja auch keine Fachfrau. Mich interessiert Erziehung im gesellschaftlichen Zusammenhang. Warum gehen wir so mit den Kindern um, was bringt es, welche Konsequenzen hat es?»
Kürzlich ist sie von einer Journalistenzeitschrift «die Mama der Nation» genannt worden, was zunächst gar nicht zu ihren analytischen, schnell assoziierenden Gedanken zu passen scheint. «In unserer Familie bin ich eher der Vater, das Korrektiv, ich bin ungeduldiger, mitunter auch strenger als mein Mann.» Gleichberechtigung in der Partnerschaft ist ihr «ein Muss», und doch «sind wir vielleicht nicht unbedingt nachahmungswürdig». Denn wenn sich beide um die Kinder kümmern, erzählt sie, führe das auch zu Reibungsverlusten. Zum Beispiel müsse jedes Mal ausgehandelt werden, wer zu Hause bleibe, wenn eines der Mädchen (sechs und zehn) krank sei, in der Praxis sei das dann derjenige, «der gerade keinen wichtigen Termin hat». Oft geraten solche Diskussionen ins Grundsätzliche. «Vielleicht ist ein anderes Modell, das Bekannte von uns leben, einfacher», sagt Nicole Althaus. «In den ersten fünf Jahren hat die Mutter beruflich zurückgesteckt, in den darauf folgenden fünf Jahren der Vater. So kamen beide beruflich und als Eltern zum Zug.»
Nicole Althaus weiss, «wer etwas gewinnt, verliert auch etwas». Damit kommen Mütter wahrscheinlich besser zurecht, wenn sie, wie die Bloggerin, die Dinge benennen, wie sie sind, kluge Fragen stellen und einen wunderbar kühlen Kopf bewahren.