Beauty
Parfumeur Serge Lutens: «Blumen und Tod sind unvermeidlich miteinander verbunden»
- Text: Irène Schäppi
- Bild: Laid Liazid
Mit seinem Duft De Profundis hat der französische Parfumeur Serge Lutens versucht, den Tod einzufangen. Uns erzählt er, warum.
annabelle: Monsieur Lutens, wie riecht der Tod?
Serge Lutens: Der Geruch einer Leiche ist ebenso abstossend wie ihr Anblick. Der blanke Horror, der uns alle zutiefst in Angst versetzt.
Trotzdem haben Sie 2011 mit De Profundis einen von Tod und von Beerdigungszeremonien inspirierten Duft kreiert.
De Profundis ist eine satirische sowie poetische Verbeugung meinerseits vor dem Tod und dem Pomp, der Begräbnisse so oft begleitet.
Was war der Auslöser für diese Duftkreation?
Ich bin nicht die erste Person, die sich mit dem Thema Tod und Sterben auf eine künstlerische Art auseinandersetzt. So zum Beispiel Oscar Wilde: Der irische Schriftsteller hat während seiner Inhaftierung in verschiedenen englischen Zuchthäusern zwischen 1895 und 1897 den offenen Brief «De profundis» an seinen Freund und früheren Liebhaber Lord Alfred Douglas geschrieben. Der Name dieser Schrift ist dem Psalm 130 aus der Bibel entnommen: «De profundis clamavi ad te Domine» – «Aus der Tiefe ruf ich, Herr, zu Dir».
Der Psalm gehört zu den traditionellen Totengebeten der katholischen Kirche und wurde vielfach vertont – von Johann Sebastian Bach bis Arvo Pärt – sowie literarisch verarbeitet.
Ein anderes imposantes Werk mit demselben Namen ist ein Gedicht von Charles Baudelaire in seinem berühmten Gedichtband «Les fleurs du mal». Da Blumen und Tod unvermeidlich miteinander verbunden sind, wollte ich mich als Parfumeur mit diesem Thema auseinandersetzen. Und zwar mit dem Ziel, die mit dem Sterben zusammenhängenden, oft kontroversen Gefühle olfaktorisch darzustellen: die Angst, das Verlangen, die Schönheit und die Grausamkeit.
Welche Blumen und Ingredienzen verkörpern für Sie den Tod?
Die Chrysantheme natürlich. In Frankreich und ganz Europa wurde diese Blume nach dem Ersten Weltkrieg wegen ihrer Robustheit als Symbol für die Liebe über den Tod hinaus bei Begräbnissen eingesetzt. Weshalb man sie hierzulande vor allem als Toten- oder Friedhofsblume kennt. Vielleicht hat das aber auch damit zu tun, dass Chrysanthemen bis Ende November blühen und einen scharfen, subtilen Geruch mit einer fast schon metallischen Ausprägung verströmen, der irgendwie an Blut oder Verfall erinnert. Weihrauch wird als Räucherwerk unweigerlich mit Kirche, Zeremonien und Religion in Verbindung gebracht und kommt bei Bestattungen seit jeher zum Einsatz. Nicht zuletzt, um den Geruch der Verstorbenen zu überdecken.
Warum meiden wir Düfte oder Blumen, die uns an den Tod erinnern?
Weil mit Sterben und Tod eine gewisse Sehnsucht verbunden ist. Jede:r von uns hat sich bestimmt schon einmal – aus welchem Grund auch immer – den Tod herbeigewünscht. Zudem haben solche Düfte eine ähnliche Sogwirkung, wie man sie manchmal erlebt, wenn man am Rand einer Klippe oder an einem Bahngleis steht. Sie machen uns unsere eigene Sterblichkeit bewusst, an die wir überhaupt nicht gern erinnert werden.
Wie hat sich Ihr Verhältnis zum Tod verändert mit dem Älterwerden?
Das aktuelle Weltgeschehen sowie der Geist der Gesellschaft, in der wir gerade leben, haben mir die Angst vor dem Sterben genommen. Der Abschied vom Leben wird mir darum eine Art Erleichterung verschaffen.
Welcher Duft bringt Sie zum Weinen?
Zwiebeln.
Serge Lutens«Das aktuelle Weltgeschehen hat mir die Angst vor dem Sterben genommen»
Und gibt es einen Duft, der Ihnen Trost spendet?
Für mich ist das der Duft nach frisch gebackenem Brot. Ich verbinde ihn mit meiner Kindheit in Lille, der Herzlichkeit der Bäckersfrau sowie der Wärme des Baguette in meiner Hand, das ich schliesslich nachhause gebracht habe. Überhaupt sind sämtliche positiven olfaktorischen Erinnerungen tröstlich und können uns sofort in einen glücklicheren Zustand versetzen.
Tragen Düfte, die von Tod und Sterben inspiriert sind, zur Enttabuisierung dieser Thematik bei?
Ich hoffe es. Denn Leben und Tod kann man nicht voneinander trennen. So sehr wir auch dagegen ankämpfen. Vielleicht hilft es, dem Tod mittels solcher Düfte eine gewisse Schönheit abzugewinnen und ihm gelassener entgegenzutreten.