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Parfum-Verleger Frédéric Malle: «Die Natur riecht nicht sehr gut»

Beauty

Parfum-Verleger Frédéric Malle: «Die Natur riecht nicht sehr gut»

Die Kreationen von Frédéric Malle tragen sogar jene, die selber Parfums herstellen. Der Verleger von Düften über Natürlichkeit, Masse und Klasse.

Grauer Doppelreiher, schneeweisse Haare und dieses herausfordernde Lächeln: So kennt man Frédéric Malle von Fotos und exakt so sitzt er beim Interviewtermin an einem Café-Tisch mitten in Paris. Hoch oben kreisen Militärflugzeuge, gerade findet die Gedenkfeier zu Jean-Paul Belmondos Ehren statt. «Bebel», murmelt Malle und blickt himmelwärts. Bestimmt kannte er ihn. Genauso wie er mit Catherine Deneuve befreundet ist oder mit wahrscheinlich jedem interessanten Menschen in Intellektuellen- und Kreativkreisen in Paris.

Der Gott der Nischenparfums

Berühmtheiten wie Naomi Campbell oder Victoria Beckham, die selbst Parfumlinien herausbringen, geben zu, im richtigen Leben eigentlich FrédéricMalle-Düfte zu tragen. Malle bewundern alle. Und alle wollen mit ihm arbeiten: Dries Van Noten, Alber Elbaz, Dominique Ropion. Und entsprechend selbstbewusst tritt er auf. («Was bedeutet es wohl, dass ich Ihren Duft Portrait of a Lady zu meiner Hochzeit trug?» – «Einzig, dass Sie einen herausragenden Geschmack haben.»)

Der 59-Jährige ist so etwas wie der Gott der Nischenparfums, eine Art Verleger der Düfte. Und einer, der die Kreateur:innen, also die, welche die eigentliche Arbeit machen, ins Rampenlicht rückt. Auch heute, anlässlich der Lancierung des neusten Duftes Synthetic Jungle, hat er die Parfumeurin Anne Flipo mitgebracht und stellt sie als «mein Star» vor. Der Duft markiert die erste Veröffentlichung in der sogenannten grünen Linie des Marken-Portfolios. Aber Achtung – das viel besprochene Thema Nachhaltigkeit kann Malle fuchsteufelswild machen.

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annabelle: Frédéric Malle, ich war ein wenig überrascht, als ich gesehen habe, dass Sie nun eine «grüne» Linie lancieren. Betreiben Sie jetzt etwa auch Greenwashing?
Frédéric Malle: Es hat nichts damit zu tun. Grün ist doch nur ein Wort! Aber man kann ja nicht mal mehr Grün verwenden, ohne damit gleich eine politische Aussage zu treffen.

Ach, kommen Sie, Sie haben Ihren Duft Synthetic Jungle genannt. Damit möchten Sie doch provozieren.
Nein. Zum Denken anregen.

Sie sagen, dass Sie einen Dschungel kreieren wollten, der besser ist als das Original. Es ist gerade sehr en vogue zu behaupten, dass absolut nichts besser ist als die Natur.
Waren Sie mal im Dschungel? Riecht es da gut? Nein, tut es nicht. Hatten Sie Angst, dass Sie von Schlangen oder Spinnen attackiert würden? Ja. Okay, also glauben Sie immer noch, dass der Dschungel schön ist? Theoretisch vielleicht. Aber der Dschungel ist doch viel schöner, wenn er von jemandem designt wurde, der ihn besser riechen lässt und die Gefahren verbannt. Ich glaube, die Idee des Dschungels ist schöner als der Dschungel selbst. Und wenn man diese Idee nimmt und sie mittels Fantasie noch weiter steigert – dann bekommt man ein besonderes Parfum. Glauben Sie mir, Sie möchten nicht die Natur auf der Haut tragen. Die riecht nämlich nicht sehr gut. Eine einzelne Blume kann wunderbar riechen – das ist dann ein Geschenk –, aber nicht die Natur als Ganzes. (rümpft die Nase)

Sie sind ein bisschen genervt vom ganzen Hype um Nachhaltigkeit und Green Living, oder?
Ja, und ich finde Ihre Frage von vorhin auch sehr gefährlich. Sie impliziert, dass absolut nichts besser ist als die Natur. Die Natur wird wie ein Gott verehrt. Und was auch immer der Mensch kreiert hat, kann niemals an die Perfektion der Natur heranreichen. Das ist verheerend. Wenn man so denkt, dann ist man auch gegen die Covid-Impfung, dann ist man gegen Technologie. Dann denkt man in «gut» und «schlecht». Ist es denn «natürlich», homosexuell zu sein? So zu denken ist ein offenes Tor zu einer traurigen Welt.

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«Ich glaube, die Idee des Dschungels ist schöner als der Dschungel selbst»

Frédéric Malle

Wie erklären Sie sich den Erfolg von luxuriösen Nischenparfums in einer immer mehr aufs Visuelle fokussierten Welt?
Viele Marken haben gemerkt, dass sie für zwei Welten Produkte schaffen müssen: für Masse und für Klasse. Deswegen haben die grossen Labels Mainstream-Parfums, die von Berühmtheiten beworben werden und die man im Duty-free-Shop findet. Aber viele haben auch ihre anspruchsvolleren Düfte, die hochwertig, teuer und diskret sind.

Trotzdem, warum steigt die Nachfrage nach dreihundertfränkigen Parfums, wenn wir nur zuhause sitzen und zoomen?
Wenn man ein Mainstream-Parfum trägt, trägt man es, um dazuzugehören. Man trägt es, um Teil einer Gruppe zu sein. Wenn man aber etwas mehr über sich nachdenkt – und ich denke, die Pandemie hat Anlass dazu gegeben –, merkt man vielleicht, dass man etwas Individuelleres, Komplexeres möchte. Man trägt das Parfum, um sich selbst gerecht zu werden. Man möchte nicht mehr wie sein Tischnachbar im Büro riechen. Es gibt auch gar keinen Tischnachbarn mehr. (lacht)

Sie sind der erste «Verleger» der Parfumindustrie. Im Gegensatz zu anderen Brands, bei denen die Parfumeur: innen im Hintergrund eher als Ghostwriter arbeiten, rücken Sie die Nasen ins Scheinwerferlicht, ihre Namen stehen gross auf den Flacons. Warum sind die Kreateur:innen in der Kosmetik-Industrie so unbekannt, während in der Mode die Designer:innen die Stars sind?
Ich glaube, das kommt noch aus einer Zeit, in der der CEO kurz ins Labor ging und mal eben über den Duft entschied. Das Meiste war Marketing. Die hohen Tiere der Unternehmen haben die Nasen gar nie kennengelernt und sie wurden komplett unterschätzt. Dazu kam, dass mit Social Media die Botschaft einer Marke so simpel wie möglich sein muss. Da haben die Nasen keinen Platz. Ich empfinde das als grosse Ungerechtigkeit, nicht nur gegenüber den Parfumeur:innen, sondern auch gegenüber dem Publikum. Die Genies wurden uns zu lang vorenthalten. Sie haben ein einzigartiges Talent und spannende Geschichten zu erzählen, die müssen doch sichtbar sein!

Ihre Düfte wurden schon als «Parfums für Super-Individualist:innen» beschrieben. Sind Sie damit einverstanden?
Das klingt irgendwie negativ, egoistisch und ichbezogen. Nur weil man nicht wie die Masse riechen will, heisst das ja nicht, dass man gedanklich nur um sich selbst kreist. Düfte sollen uns nicht verändern, sondern uns glänzen und die beste Version unserer selbst sein lassen.

Frédéric Malle gehört seit fünf Jahren zur Estée-Lauder-Gruppe. Haben Sie keine Angst, zu stark zu wachsen und damit zu kommerziell für Ihre individualistische Kundschaft zu werden?
Schauen Sie sich Chanel oder Hermès an. Das sind riesige Häuser, aber sie wecken nach wie vor Begehrlichkeit. Ich denke, es kommt darauf an, wie man wächst. Wenn man seine Werte nicht verrät, kann man so gross werden, wie man will. Ein Fehler wäre, einen Bestseller zu pushen, den überall zu bewerben und alle anderen Düfte zu vernachlässigen. Das wird aber nie passieren, weil mir das gesamte Duft-Portfolio wichtig ist. Ich habe nie gesagt, dass ich auf keinen Fall wachsen möchte. Im Gegenteil, je stärker wir wachsen, desto besser wird die Welt riechen. (lacht)

Verspüren Sie mehr Druck, seit Sie zu einem Grossunternehmen gehören?
Nicht, was die Kreation angeht. Ich habe nun nervige Zoom-Meetings und manchmal dauern die Dinge ein wenig länger, aber ich habe maximale Freiheit, was die Kreativität angeht. Meinen Parfumeur:innen gebe ich für die Realisation eines Duftes alle Zeit, die sie brauchen. Bei mir gibt es keine Deadlines.

Ein Traum. Woher weiss man denn überhaupt, wann ein Duft fertig ist?
Das ist Magie, ich kann mir das auch nie erklären, aber man weiss es einfach. Idealerweise wissen die Nase und ich es zum gleichen Zeitpunkt. (lacht)

«Je stärker wir wachsen, desto besser wird die Welt riechen»

Frédéric Malle

Wie schlimm ist es für Sie, mit Maske herumzulaufen und ständig nur Desinfektionsmittel zu riechen?
Es ist furchtbar. Wir brauchen die Inspiration von der Strasse, den Austausch mit anderen. Aber zum Glück bin ich schon ein uralter Mann und habe viele Erinnerungen auf meiner inneren Festplatte gespeichert, von denen ich eine Weile zehren kann.

Riechen Sie mit dem Hirn oder mit dem Herzen?
Wenn man einen sehr ausgeprägten Geruchssinn hat, hört das nie auf. Man muss lernen, ihn abzuschalten, sonst dreht man durch. Ich rieche erst mit dem Instinkt, mit den Emotionen und dann mache ich einen Schritt zurück, benutze mein Hirn und analysiere. Dieses Hin und Her zwischen Herz und Hirn ist sehr aufreibend.

Es scheint, als ob Mainstream-Parfums von Jahr zu Jahr süsser werden. Täuscht das?
Alber Elbaz pflegte immer zu sagen, dass die erfolgreichsten Parfums mit den Dingen zu tun haben, die verboten sind. In den Siebzigern durfte man keine Drogen nehmen, also war Opium von Yves Saint Laurent der Hit. Heute darf man keinen Zucker mehr essen: Anstatt Kuchen in sich hineinzustopfen, besprühen sich die Damen nun halt damit. (lacht)

Sie haben mit Alber Elbaz, dem im April an Covid verstorbenen Darling der Modebranche, 2018 den Duft Superstitious lanciert. Können Sie uns von Ihrer Zusammenarbeit mit Elbaz erzählen?
Nein, tut mir leid. (Tränen steigen ihm in die Augen und er denkt lang nach) Haben Sie keine leichten Fragen?

Gut, dann zum Schluss noch ein wenig Service: Ist es wirklich Tabu, Parfum zu verschenken?
Ein Parfum ist ein sehr persönliches Geschenk. Wenn man beim Kauf nicht an sich selbst denkt, sondern die beschenkte Person in den Vordergrund rückt – was vielen Menschen schwer fällt –, dann kann ein Duft ein sehr berührendes Geschenk sein.

Und was halten Sie von Deodorant?
Deodorant? Was soll ich davon halten? Mehr Leute sollten es benutzen, das ist alles!

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