Body & Soul
Meinung: Warum wir endlich mit Diät-Talk aufhören müssen
- Text: Sandra Brun
- Bild: Stocksy
Noch immer wird uns weisgemacht, dass wir ständig auf Diät sein und uns mit dem Aussehen unseres Körpers beschäftigen sollten. Redaktorin Sandra Brun findet, mit Diät-Talk muss endlich Schluss sein.
Es sind Sätze wie «wenn ich das Kuchenstück nur ansehe, nehme ich schon zu» oder «ich fühle mich so dick!» oder «willst du das alles essen?», die uns daran erinnern, dass wir eigentlich konstant auf unser Essen achten müssten. Nein, Moment: auf Diät sein müssten. Einfach essen, worauf wir gerade Lust haben? Ein Akt der Rebellion – in einer Gesellschaft, in der Frauen wie Victoria Beckham 25 Jahre lang nur grillierten Fisch und gedämpftes Gemüse essen oder wie Jennifer Aniston ab und zu mal mit einem einzigen (!) Pommes Chip «sündigen».
Das ist euch zu drastisch? Natürlich ist eine einzelne Aussage darüber, abends lieber mal keine Kohlenhydrate mehr zu sich zu nehmen, harmlos. Und wir schränken uns nicht alle so extrem ein. Doch wenn wir kurz innehalten und rekapitulieren, wie oft in unserem Arbeitsumfeld, im Freund:innenkreis oder in der Familie über unser Essverhalten geredet wird – oder eben darüber, was wir nicht essen dürfen, wollen oder sollen –, stellen wir fest, wie allgegenwärtig Diät-Talk ist. Und wie absurd es doch eigentlich ist, dass wir uns nach zwei Jahren Pandemie und in Zeiten des akuten Weltschmerzes nach wie vor mit dem Umfang unserer Oberschenkel befassen. Als gäbe es kaum was Wichtigeres als Kalorienzählen.
«Wenn meine schlankere Freundin ihre Oberarme abstossend findet, was denkt sie wohl über meine?»
Diät-Talk ist auch nicht nur darüber reden, auf welche Lebensmittel wir verzichten. In ihm schwingt immer auch die Idealisierung bestimmter Körperformen mit. Ständig zu hören, wie unzufrieden die Menschen um uns herum mit ihrem Bauch, ihrem Po, ihren Beinen sind – das färbt ab! Wenn meine schlankere Freundin ihre Oberarme abstossend findet, was denkt sie wohl über meine? Wenn meine Mutter ihren Bauch nicht mag, darf ich dann zufrieden sein mit meinem? Automatisch werden wir in solche Gedanken mithineingezogen und mäkeln plötzlich auch darüber, was uns figurtechnisch an unseren Körpern stört. Das gehört fast schon zum guten Ton!
Indem wir das machen, nämlich uns – und andere – abwerten, unterstützen wir indirekt die unterdrückende Diätkultur, die just davon lebt, dass wir uns in unserer Haut schlecht fühlen. Und die uns ständig weismachen will, dass gewisse Figuren falsch sind, dass man sich für bestimmte Lebensmittel schämen sollte und dass wir alle dasselbe Körperbild anstreben sollten. Ein Bild, das uns gerade auf Werbeplakaten einer Fitnessstudio-Kette quer durchs Land begegnet: In uns allen steckt eine bessere, dünnere Variante von uns selbst – wenn wir nur endlich auch die Disziplin hätten, mithilfe von harter Arbeit und Verzicht den imaginären Fat-Suit abzustreifen.
«Es geht doch darum, dass wir uns Sorge tragen, uns aufwerten, uns gesund fühlen – geistig und körperlich»
Schlanksein ist immer noch die ultimative Währung der Schönheit. Und Fat-Shaming en vogue. Daran hat auch die Body-Positivity-Bewegung nichts geändert, in der es ja, by the way, ebenfalls darum geht, sich konstant mit dem Aussehen unseres Körpers zu befassen. Dabei sollte uns doch gerade die Pandemie gelehrt haben, dass unsere Körper so viel mehr sind als ihre äussere Hülle. Es geht doch darum, dass wir uns Sorge tragen, uns aufwerten, uns gesund fühlen – geistig und körperlich. Und nicht um hängende Brüste, Bauchröllchen oder Doppelkinn.