Die Autorin Sibylle Berg sagt, irgendwann denke jeder ans Fremdgehen. Auch in ihrem neuen Roman «Der Tag, als meine Frau einen Mann fand» geht es um Untreue. Und um guten Sex.
Sich verlieben kann jeder. Augen auf, und schon fliessen die Hormone. Dann hat man all das, was gern mit Leben verwechselt wird: Aufregung, Herzrhythmusstörungen, Magenbeschwerden, Vollverblödung. Gegenseitige Liebe ist Zufall. Roulette. Gehen wir davon aus, man hat Glück, Hormone beidseitig. Nach drei Monaten stellt sich sogar heraus, dass man eine ähnliche Sicht auf die Welt hat, dass man ähnliche Dinge und vor allem sich selber lustig findet. Was dann passiert, wird oft mit Arbeit bezeichnet. Beziehungsarbeit. Das ist falsch, denn man freut sich lange Zeit an einer Freundschaft, die mit Berührungen und Zärtlichkeit gekoppelt ist. Man geniesst das Gefühl, ein Zuhause gefunden zu haben. Und einen Menschen, der zu einem hält in dieser Welt, die im besten Fall eine Zumutung ist. Man sieht die anderen, die schlechten Liebespaare. Schüttelt den Kopf ob all der unechten Töne. Und freut sich an diesem sehr speziellen Glück, das einem zugefallen ist.
Freundschaft und das Gefühl der Überlegenheit verbinden Paare, lassen sie mit den Jahren den Verlust von aufregendem Sex fast vergessen. Man weiss gar nicht mehr, wie das gehen soll, Sex mit einer unbekannten Person.
Irgendwann erwischt es jeden, in guten langen Beziehungen, in freundschaftlichen Liebesgeschichten, mit Kindern oder ohne, und über Nacht scheint alles infrage gestellt. Man trifft einen Mann, eine Frau, da ist ein Blick, ein Geruch und grosse Verwirrung im Anschluss. Der Verstand ausgeschaltet, der Wahnsinn wie früher. Der eben noch geliebte Partner bewegt sich fremd, störend im Raum, im Bett. Man denkt nicht an ihn, sondern an es, das fremde Objekt. Obwohl, denken ist das falsche Wort. Die Hormone sind wieder da, lange waren sie weg gewesen, jetzt fluten sie Körper und Verstand, und nun, nun, lieber Mensch, gibt es zwei Möglichkeiten.
Die erste ist: Man wartet, bis der Anfall vorüber ist, wird ein wenig traurig, fragt sich, ob man jemals noch Leidenschaft erleben wird, Kitsch mit zerrissenen Hemden, Blut unter den Nägeln, ob es das jetzt war, an der Seite dieses vertrauten Menschen, dem man niemals wehtun möchte. Oder: Man tut ihm weh. Und sucht die Begegnung mit Herr oder Frau Hormonausschütter. Trifft sich im Hotel, vögelt wie verrückt, vielleicht ist es sogar gut, vielleicht hervorragend. Doch wie gut kann das sein, wenn man auf dem Nachhauseweg weiss, was man getan hat? Den einzigen Menschen betrogen, der zu einem hält.
Theorien kann man entwickeln, dass körperliche Treue unmöglich, widernatürlich ist. Dass es der Liebe keinen Schaden zufügt, das bisschen körperliche Fremdgehen. Aber machen wir uns nichts vor: Es ist Betrug. Es ist schrecklich, es tut weh, denn man kann den Partner nicht lieben, wenn man in einen anderen Menschen verliebt ist. Er ist einem egal, der Partner, er ist lästig, überflüssig, stört, und das ist der Betrug.
Irgendwann wird er kommen, der Moment der Entscheidung. Ich kann nicht sagen, was richtig ist und was falsch. Vielleicht ist das Leben zu kurz, um Gelegenheiten zu verschenken. Vielleicht wartet etwas Grosses da draussen, bei dem neuen Menschen. Aber vielleicht ist es auch alles nur Quatsch, ein törichter Verrat an dem, der zu einem gehalten hat in all den miesen Jahren.
Das Leben ist nichts, was man richtig oder falsch machen kann. Es will nur überstanden werden. Wie, das muss jeder selber entscheiden. Bloss: Sich verlieben kann jeder. Eine Liebe aushalten können nur wenige.