Das Geheimnis um ein zauberhaftes Baby, das es eigentlich gar nicht geben dürfte. Weil unsere Autorin alles tat, um endlich schwanger zu werden – auch das Verbotene.
Aus Spass sage ich zu meiner zweijährigen Tochter, wenn sie weint: Da habe ich aber kein Kreuzchen gemacht. Und wenn sie irgendwas besonders toll macht: Das kann nur die super Epigenetik sein. Spässe, die ich mir nur erlaube, wenn wir zu zweit sind, weil niemand weiss, dass die Kleine das Ergebnis einer Art Labor-Zauberei ist.
Extremer noch: Dieses Bündel, das mich jeden Tag glücklich macht, ist nicht nur in einer Petrischale entstanden, sondern auch noch in einem fremden Land mit den genetischen Zutaten mir zwei vollkommen fremder Wesen: Zwei Spender, die sich vermutlich nicht gegenseitig kennen. Deren Samen und Eizelle von einem Embryologen oder einer Embryologin willkürlich vereint und nach erfolgreicher Zellteilung eingefroren wurden. Ich weiss nicht, nach welchen Kriterien der Embryo für mich ausgewählt wurde. Nur, dass ich Fotos von mir und einem Freund, der mir seine Unterschrift für den Papierkram geliehen hatte, schicken musste.
«Das ist ja Frankenstein!», sagte eine Freundin empört zu mir, als ich erstmals mit dem Gedanken an eine Eizellspende spielte. Wenn jemand aufgrund meines Alters – ich war 47 bei der Geburt meiner Tochter – spekuliert, dass es vielleicht nicht mit rechten Dingen zuging, ist mir das egal. Ich spreche trotzdem mit fast niemandem über ihre genetische Herkunft. Ich schweige, staune und bin glücklich, dass alles so ist, wie es ist. Darüber, dass ich nach einem unfassbar langen und harten Weg wie die Jungfrau zum Kinde zu diesem absoluten Wunschkind gekommen bin. Und freue mich, dass mein Kind, nicht wie bei normalen Eltern meines Alters, noch nicht pubertiert, auszieht oder schon Matura macht.
Ich habe alles, was die Fortpflanzungsmedizin zu bieten hat, hinter mir. Mit Anfang vierzig fiel mir wie Schuppen von den Augen, dass ich keine Zeit mehr zu verlieren habe, wenn ich ein Baby möchte. Ich war schon ein paar Jahre Single, hatte meinen Freund sogar verlassen, weil er sich nicht für ein Kind bereit fühlte. Er war sieben Jahre jünger als ich und wollte alle Kraft für die Karriere. Aber ich war – zu Recht – unentspannt und wollte weiter in Richtung Familie. Doch ein neuer Freund lässt sich nicht basteln und auch nicht so leicht finden, wenn einem auf der Stirn geschrieben steht, dass man nur das eine möchte: Sex! Aber bitte unbedingt mit Option auf Nachwuchs.
Ich fand ein Online-Forum für Single-Frauen mit Kinderwunsch und fühlte mich zumindest weniger allein mit meinem alles Andere überstrahlenden oder eher überschattenden Gefühl, Mutter sein zu wollen. Dort fand ich viele wertvolle Tipps.
Als Erstes begann ich mit der Suche nach einem privaten Spender. Den hatte ich auch relativ schnell gefunden. Ein hübscher, schlauer Schauspieler, Anfang dreissig, aus guter Familie, der zuerst den lukrativen Nebenverdienst sah – und nach einiger Zeit seine Aufgabe darin, Akademikerfrauen zu einem Kind zu verhelfen. Er verschenkte sein Sperma an «Bedürftige». Nach einigen Kennenlernrunden im Park besuchte er mich nun einmal im Monat in meiner Wohnung, wenn ich meinen Eisprung hatte, verschwand in meinem Badezimmer und überreichte mir anschliessend einen Becher mit seinem Sperma und ging. Das, was dann folgte, nennt sich Becher-Methode.
Es gibt Frauen, die die Becher-Methode auf Autobahnraststätten mit anonymen Spendern angewendet haben und schwanger geworden sind. Für Aussenstehende ist die Vorstellung, sich mit dem Sperma eines relativ fremden Mannes in eigener Regie zu befruchten, sicherlich schwer vorstellbar. Für mich war es ein Befreiungsschlag. Ich habe mich selbstbestimmt und stark dabei gefühlt und hatte nicht mehr den Druck, wie eine läufige Hündin um die Zeit meines Eisprungs herum in Bars oder Clubs zu gehen in der Hoffnung, alte oder neue Lover abschleppen zu müssen. Obschon einem in der Not auch dieser Gedanke kommt und einem auch Fälle zugetragen werden von Frauen, die sich heimlich den auf Bauch et cetera gelandeten kostbaren Samen im Badezimmer mit Löffel und Spritze einverleiben.
Ungefähr ein halbes Jahr lang habe ich das probiert. Ohne Erfolg. Ich musste härteres Geschütz auffahren. Und machte mich auf den Weg nach Kopenhagen, wo Hebammen in seriösen Kliniken inseminieren. Manche Ausländer haben ein Gelddepot hier in der Schweiz, ich hatte ein Spermadepot in Dänemark. Dafür habe ich Abende lang Datenbanken durchforstet. Preisgegeben werden nur die Kinderfotos von den Spendern plus Interviews zur Motivation. Ich habe mir also die allersüssesten Babies ausgesucht und dazu Stimmen angehört. Und nach diesen beiden Kriterien sogenannte Straws bei einer internationalen Spermabank bestellt. Ein Straw ist ein Röhrli, in dem der Samen in einem Stickstofftank bei minus 196 Grad Celsius eingefroren und aufbewahrt werden kann.
Parallel dazu besuchte ich Treffen mit anderen Frauen aus dem Forum. Ganz gewöhnliche, kluge Frauen aus den unterschiedlichsten Bereichen. Manchmal waren bis zu drei Babies vom gleichen Spender gleichzeitig im Café. Manchmal, nachdem eine der Frauen erfolgreich Mutter geworden war, hing plötzlich ein Angebot für einen Straw mit Sperma von «Woodey» am virtuellen schwarzen Brett.
Über das Forum erfuhr ich von einem Arzt in Berlin, der Single-Frauen hilft, und ich musste nicht mehr nach Kopenhagen reisen. Ein Versuch mit In-vitro-Fertilisation endete mit sieben oder acht voreilig gesprungenen Eiern, die dann grosszügig mit dem teuer erstandenen Samen per Insemination zusammengebracht wurden. Auch wenn die Erfolgschancen gering waren. Die Rechnung, die mir ins Haus flatterte, lag bei über viereinhalbtausend Franken. Autsch. Hatten die Ärzte doch beim Monitoring gepennt.
Der nächste, ebenso teure Versuch brachte zwei «brauchbare» Embryonen hervor, die mir beide eingesetzt wurden. Ich war so im Hormon-Rausch, dass ich mir hundertprozentig sicher war, dass ich schwanger bin. Meine Brüste schwollen, mein Unterleib pochte. Was sollte das anderes sein, als mein sehnsüchtig gewünschtes Baby? Alle Frauen in dieser Phase horchen nonstop in sich hinein. Fast alle fühlen sich schwanger. Dann der Anruf in der Praxis nach dem Bluttest. Negativ.
Das ist brutal und kaum auszuhalten. Mir wurde zugetragen, dass es für Mediziner schwer ist, allzu lang in der Kinderwunschbranche zu arbeiten, weil sie es mit so einem emotional aufgeladenen Thema zu tun haben. Ich kann das von meiner Seite aus bestätigen. Ohne Kind konnte ich mir kein Leben mehr vorstellen. Auch eine Psychotherapie konnte mich nicht von diesem Wunsch abbringen. Mein mühsam erarbeitetes Geld schmolz dahin. Der seelische Druck: ohne Worte. Die Sehnsucht nach einem Kind: ungestillt. Der Tunnelblick: offensichtlich. Freundinnen, die mir rieten: Wenn du nicht aufhörst damit, dann nimmst du Schaden. An Körper und Seele.
In der teuren Praxis, die durchaus vielen Frauen zum Wunschkind verhilft, wurde mir ans Herz gelegt, doch zur Eizellspende überzugehen. «Ihre Eier können nichts mehr. Wenn Sie Erfolg möchten, dann freunden Sie sich mit dem Thema an. Die Eizellspende können wir hier leider nicht anbieten. Aber im Ausland, zum Beispiel in Spanien, Polen oder Tschechien, haben Sie gute Chancen, ein Baby zu bekommen.»
Als Frau ohne Mann habe ich mich gleich für die Embryonenspende entschieden. In England oder Finnland sind offene Spenden möglich und man kann mitbestimmen, was «angemischt» wird. Aber dafür reichte in meinem Fall das Geld nicht mehr und ich entschied mich für die anonyme Embryonenspende.
Ich reiste diverse Male nach Spanien, hatte mehrere Eileiterschwangerschaften und mir wurde ein Eileiter mit dem Embryo, der sich dorthin verirrt hatte, entfernt. Ich war seelisch am Ende. Mit meinen Freundinnen hatte ich schon lange nicht mehr über meine Irrwege gesprochen. Ich fühlte mich traurig, verloren und hoffnungslos. Ich versuchte, einen Schlussstrich unter das alles zu ziehen, es irgendwie loszulassen und mich neuen Dingen im Leben zuzuwenden, auch wenn mir keine einfielen.
Ich machte eine lange Pause. Eine Frau aus dem Forum, mit der mich eine ähnliche Leidensgeschichte verband, sagte zu mir: «Du kannst doch schwanger werden, also gib nicht auf.» Sie war inzwischen Mutter geworden, dank einer Klinik in Tschechien. So bin ich noch einmal tieftraurig zu dieser Klinik gereist und liess mir unter Tränen einen Embryo transferieren. Um mich abzulenken, fuhr ich danach in die Berge. Es fühlte sich alles genauso an wie bei den anderen Scheinschwangerschaften. Als ich den Pipi-Test machte, war er positiv. Kein Grund zur Freude. Ich hatte zig positive Tests davor. Dann der Bluttest bei der Frauenärztin. Sie rief mich um zehn Uhr abends auf dem Handy an, um mir von einem bilderbuchmässigen Wert des Schwangerschaftshormons HCG zu berichten. Dann der Ultraschall. Ein wunderschönes kleines Gummibärchen an der richtigen Stelle.
Es ging immer so weiter. Ich musste bis zum Schluss der Schwangerschaft erbrechen. Schwanger zu sein fand ich blöd. Und war doch so erleichtert. Ich fühlte mich nicht mehr zur Kinderlosigkeit verdammt. Ich konnte wieder mit Freunden zusammen sein, die Kinder haben, konnte an Spielplätzen vorbeigehen, ohne Kloss im Hals. Konnte Eltern, die Babies vor ihren Bäuchen trugen, anlächeln. Auch wenn ich es fast bis zum Schluss kaum jemandem sagen konnte und es mir bis zum Tag der Geburt unwirklich erschien.
Vorstellen konnte ich mir nichts. Bis sie auf die Welt kam. Seitdem ist nichts mehr, wie es war. Ich staune jeden Tag über mein Mädchen. Was für ein Wunder, dass sie existiert. Jede Zelle von ihr genährt aus meinen. Nur die Zutaten nicht aus meiner Sippe. Wie bei einem Kochrezept. Ein tolles Rezept. Natürlich frage ich mich, woher ihre Zutaten kommen. Wer sind die Spender? Wissen ihre Eltern, dass sie das gemacht haben? Erfahren sie, ob ein Kind aus ihrer Eizellspende oder ihrer Samenzelle entstanden ist? Sind Geschwister oder Halbgeschwister daraus entstanden? Wie in unserer Frauengruppe? Wo leben sie? Über Kontinente verstreut?
Gleichzeitig denke ich, dass dieses Kind zu mir gefunden hat, ist so unfassbar einmalig. Genauso einmalig, wie dass ein Sperma auf eine Eizelle trifft. Genauso das Produkt eines unendlichen Zufalls. Die beiden Spender hätten im normalen Leben wohl nicht zusammengefunden, meine Tochter wäre nicht da ohne diese Klinik, die es nicht geben würde, wenn sich nicht Menschen nach diesen Gen-Bausätzen sehnen würden. Was Aussenstehende vermutlich nicht verstehen: Es geht nicht um Designer-Kinder, IQ, Aussehen. Es geht um die tiefe Sehnsucht nach Mutter- oder Vatersein. Es ist ein egoistisches Motiv. Aber ist es das bei anderen Eltern weniger?
Manchmal treibt mich auch die Frage um, was, wenn das energische Persönchen ganz wild darauf wird, alles zu erfahren, und hartnäckig nachforschen wird? Aber immer denke ich, ohne mich wäre sie vielleicht nicht in dieser Welt. Sie läge noch in einem Kühlschrank, wäre sonst wohin exportiert worden, oder eine Austragung wäre fehlgeschlagen wie so viele bei mir selbst. Dann wäre sie nicht da.
Ich sehe es als grosses Geschenk, dass wir zusammengefunden haben. Ich stille sie, ich gebe ihr alles, was ich habe und was ich kann. Jeden Tag. Jeder, der uns sieht, sagt, wie ähnlich wir uns sehen. Und wenn ich sie einen Moment lang auf dem Spielplatz aus den Augen verliere, habe ich Angst, ich könnte verrückt sein und die letzten zwei Jahre nur geträumt haben. Meine Gefühle für diesen wilden kleinen Menschen sind grösser, schöner und stärker als alles, was ich mir ausgemalt habe. Und ich bin unglaublich erleichtert, dass ich nie aufgegeben habe. Und wenn sie heute im Trotzalter-Stil tobt, flüstere ich ihr einfach wieder zu: Da habe ich aber kein Kreuzchen gemacht, mein Schatz!