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Liebeskummer: Warum Liebe Leiden schafft

Body & Soul

Liebeskummer: Warum Liebe Leiden schafft

  • Foto: Alex Bruda / Freeimages.com

Love hurts – das weiss Autorin Yvonne Eisenring aus zahlreichen Erfahrungen. Aber warum eigentlich? Sie hat eine Liebeskummer-Spezialistin gefragt.

Ich überlege, was ich hätte sagen sollen, aber nicht gesagt habe. Oder was ich gesagt habe, das ich besser nicht gesagt hätte. Und was ich gern noch sagen würde, aber nicht mehr kann, weil es nichts mehr zu sagen gibt. Eigentlich. Und dann überlege ich doch, was du wohl sagst, wenn ich das sagen würde, und was ich dann erwidere und wie du reagierst. Es ist ein druckreifer Dialog, den ich fein säuberlich immer und immer wieder durchgehe. Für ein Gespräch, das wir nie führen werden. Weil schon alles gesagt ist. Eigentlich.

Der Liebeskummer ist ein Parasit, ein Blutegel, er dockt an und saugt sich fest. Jede Träne verschlingt er gierig und verlangt nach mehr. Ihn abschütteln zu wollen, ist verlorene Liebesmüh. Sich widerstandslos ergeben oft die bessere Idee. Denn er hat weder Erbarmen, noch zeigt er Verständnis für hektische Lebenssituationen. Dass man gerade Wichtigeres zu tun hätte, seine Kräfte für anderes bräuchte, ist ihm egal. Er ist taktlos und indiskret. Er setzt sich an den Tisch und bleibt hocken, solange er will. Und wer behauptet, er wisse nicht, was Liebeskummer ist, er habe noch nie das Gefühl gehabt, im Kreis zu drehen, noch nie Sinn und Freude und alles verloren, was das Leben irgendwie lebenswert macht, der lügt. Finde ich. Wer liebt, hat Liebeskummer. Irgendwann mal. Früher oder später. Oder immer mal wieder. So wie ich.

Ich bin Spezialistin für Liebeskummer. Ich schwinge mich vom Verliebtsein direkt in den Kummer und wieder zurück. Wie Tarzan. Von einer Liane zur nächsten. Unermüdlich. Den Boden berühre ich nie.

Manchmal dauert ein Liebeskummer eine halbe Ewigkeit, bleibt dabei brav im Hintergrund, wird nie dominant. Ich würde ihn fast vergessen, würde er sich nicht in regelmässigen Abständen ins Bewusstsein nagen. Es gibt auch den Kurz-aber-heftig-Liebeskummer. Für Tage legt er alles lahm. Wie eine hoch dosierte Schlaftablette raubt er jegliche Energie, holt sich alle Kräfte des Körpers.

Auswählen, welche Art von Liebeskummer ich wann habe, kann ich nicht. Es ist eine Lotterie. Eine Logik erkenne ich nicht. Die Theorie, dass die Leidenszeit immer halb so lang anhält, wie die Beziehung gedauert hat, kann ich nicht bestätigen. Ich verdaute langjährige Beziehungen in wenigen Wochen und kämpfte nach kurzen Affären mehrere Monate. Erträglicher wurde der Liebeskummer mit den Jahren nicht. Trotz der vielen Übung, die ich mittlerweile habe. Nein, der Schmerz blieb, nur die Männer änderten.

Ich bin ein Nachtmensch, was Liebeskummer betrifft. Tagsüber funktioniere ich, denke kaum darüber nach. Ich muss nicht mal spielen. Ich freue mich wie immer. Lache wie immer. Habe Spass wie immer. Nicht zu vergleichen mit den Nächten. Ich falle todmüde ins Bett, schliesse die Augen – und liege wach. Stundenlang. Zum Kummer gesellt sich mit der Zeit der Frust über die Schlaflosigkeit. Auch weil es so sinnlos ist, wach zu liegen. Denn ich weiss ja, dass ich nicht wieder und wieder alles durchkauen muss. Dass es nichts hilft. Niemanden zurückbringt. Nichts mehr hinbiegt. Eigentlich.

Würde ich über mathematischen Formeln so angestrengt brüten wie über meinen zerbrochenen Liebschaften, ich wär ein schlaues Kerlchen. All die unzähligen Formeln und Theorien, die ich aufgestellt und wieder verworfen habe. Alle Varianten durchgespielt, und doch kam ich nie auf die richtige Lösung. Ich habe sie nicht gefunden. Nicht für die Liebe, die oft nicht ist, wie ich sie will – und auch nicht für den Liebeskummer. Ich verstehe nicht, was er soll, was er bringt. Ich weiss auch nicht, wie man Liebeskummer lindern kann. Wie man die Dauer verkürzen, den Schmerz verkleinern kann.

Ich habe meine Freundinnen gefragt. Und auch die Männer. Viele haben mit den Schultern gezuckt. Aushalten und abwarten, sagten die meisten. Eine Kollegin setzt auf Schlaf. Sie schlafe den Kummer quasi weg. Früh ins Bett, spät aus dem Bett. Eine andere Freundin empfiehlt: sich etwas gönnen. Eine Massage, Manicure, Pédicure. Und: viel Schokolade, unbedingt. Hat bei mir noch nie genützt. Jeder Kummer hat mich fünf Kilo leichter gemacht. In den rosa Phasen habe ich dann alles wieder aufgeholt, ist ja klar. Wieder eine andere betrinkt sich, mehrere Tage hintereinander, und noch eine setzt auf Verdrängen. Nicht darüber reden, nicht daran denken, Nummer löschen. Funktioniert bei mir nur bedingt. Nummern habe ich schon diverse gelöscht, auch auf grosses Analysieren mit Freundinnen habe ich verzichtet, darüber nachgedacht habe ich dann aber … umso mehr.

Ich weiss nicht, was die richtige Strategie gegen Liebeskummer ist. Ich weiss nur: Er geht vorbei. Als ich ihn das erste Mal hatte, ahnte ich das noch nicht. Ich war überzeugt, ich würde mein restliches Leben weinend verbringen. Ich dachte, ich würde ihm, dem Ex, nie begegnen können, ohne in Tränen auszubrechen. Ich war sicher, dass ich den Burschen, der mir so wehgetan hatte, dass ich ihn nie vergessen könne. Ich lag falsch. Es dauerte zwar eine Weile. Eine sehr lange Weile. Aber irgendwann wars gut. Und nun, nachdem ich ihn wiedergesehen habe, frage ich mich sogar, wie ich nur eine Träne an ihn hatte vergiessen können, ja, was ich überhaupt so gut an ihm fand. Es ist mir unerklärlich.

Wie ich so kopfschüttelnd an mein damals so verletztes Liebes-Ego denke, fühle ich mich gerade sehr gut. Denn wie ist es noch mal mit der Liebe? «Es ist wie mit einem grossen Stück Schokoladenkuchen», sagt die renommierte US-Anthropologin Helen Fisher. «Ich weiss, dass ungesunde Zutaten drin sind. Ich weiss, was dann mit meinem Körper passiert. Und trotzdem esse ich ihn, einfach weil er so unverschämt gut schmeckt.» Helen Fisher ist immerhin nicht irgendwer. Seit über dreissig Jahren erforscht sie die Liebe und den Liebeskummer, schrieb diverse Bestseller darüber. Sie lebt in New York und ist Professorin an der Rutgers University in New Jersey. 69 Jahre alt ist sie. Und obwohl sie die Liebe seit so vielen Jahren schon untersucht und seziert, die Lust an der Liebe hat sie offenbar nicht verloren.

Höchste Zeit also, mit Helen Fisher über Liebeskummer zu reden. Ich treffe sie in New York.

annabelle: Helen Fisher, ganz profan gefragt: Was ist Liebeskummer rein körperlich?
Helen Fisher: Bei Liebeskummer werden bestimmte Hirnregionen aktiv, diese produzieren Hormone, und das wiederum löst das Gefühl aus, das wir Liebeskummer nennen.

Welche Hirnregionen sind das?
Bei all unseren Probanden war bei Liebeskummer das Belohnungssystem am aktivsten. Es ist zuständig für das Verlangen, die Motivation, Euphorie und Konzentration. In der Forschung unterteilen wir den Liebeskummer in zwei Phasen. In der ersten Zeit, der Protestphase, produziert der Körper viel Dopamin und Cortisol. Man will die geliebte Person zurück, ist voller Energie und braucht wenig Schlaf. Man kämpft und gibt nicht auf, solange man noch genügend Ressourcen hat. Irgendwann sind diese aber aufgebraucht, und es beginnt die Resignationsphase. Der Dopaminspiegel sinkt stark, man wird lethargisch und kann sich kaum noch bewegen. Einige Personen erleben diese Phase wie eine leichte Depression.

Warum wird das Verlangen nach einer Zurückweisung zuerst grösser?
Vor Millionen Jahren lebten wir in kleinen Gruppen, wir hatten nicht so viel Auswahl wie heute. Also tat man besser daran, den Partner zurückzugewinnen, den man einmal auserkoren hatte. Das brauchte aber Energie und Konzentration, und dafür brauchte man den hohen Dopaminspiegel, also ein grosses Verlangen nach der Person.

Wie misst man Liebeskummer?
Für unsere Studie suchten wir Probanden, die in den letzten zwei Monaten verlassen wurden. Die meisten waren knapp zwei Jahre mit ihrem Partner liiert. Zuerst führten wir lange Gespräche mit ihnen. Die Probanden müssen sich wohlfühlen, sonst messen wir danach nicht den Liebeskummer, sondern ihr Unbehagen dem Projekt gegenüber. Anschliessend legen sich die Probanden in den Hirnscanner. In einem ersten Schritt zeigen wir ihnen ein Foto von der Person, die sie verlassen hat, dann müssen sie in Siebnerschritten von einer hohen Zahl rückwärtszählen, und zum Schluss zeigen wir ihnen ein Foto von einer Person, der gegenüber sie völlig neutrale Gefühle hegen.

Warum das Rückwärtszählen?
Das machen wir, damit die Probanden gezwungen werden, an etwas anderes zu denken als an den Ex-Partner. Am Schluss vergleichen wir dann die drei Hirnscans und streichen sämtliche Regionen raus, die beim Zählen oder beim Betrachten des neutralen Bilds ebenfalls aktiv waren. Und was übrig bleibt, ist sozusagen das Liebeskummer-Hirn.

Waren Sie überrascht vom Ergebnis?
Es hat mich umgehauen!

Warum?
Es war der Beweis, dass der Liebeskummer bei allen gleich ist. Dass Liebeskummer kein diffuses Gefühl, sondern medizinisch erklärbar ist. Er ist eine Reaktion des Körpers, der Hormone, ein Trieb quasi. Und das Ergebnis war auch die Erklärung, dass, eben weil dieses Gefühl auf Hormonen basiert, die Menschheit schon immer an Liebeskummer litt. Auch unsere Vorvorvorfahren hatten mit den gleichen Dämonen zu kämpfen.

Ist Liebeskummer proportional zur Beziehungsdauer?
Grundsätzlich gilt: Je stärker du geliebt hast, desto stärker leidest du. Aber es ist einfacher, über jemanden hinwegzukommen, wenn man in den ersten zwei Jahren verlassen wird. Wenn genügend Zeit mit jemandem verbracht wurde, ist nicht nur die Hirnregion aktiv, die für das Verlangen zuständig ist, sondern zusätzlich die Region, die ein Gefühl von grosser Verbundenheit erzeugt. Wenn diese ebenfalls aktiv ist, ist es doppelt hart, verlassen zu werden, denn biologisch gesehen hat man die Möglichkeit verloren, seine DNA zu verbreiten. Und es gibt nichts Schmerzlicheres für das menschliche Wesen, als einen potenziellen Partner zur Nachwuchszeugung zu verlieren.

Verstärkt sich der Liebeskummer, wenn er mit Eifersucht gepaart ist?
Es wurden noch keine Studien dazu gemacht, weil man dafür keine Erlaubnis bekommt. Man darf ja seine Probanden nicht terrorisieren. (Lacht) Aber, nein, ich würde behaupten, Eifersucht und Liebeskummer sind nicht verwandt und müssen das Leiden in Kombination nicht zwingend verstärken.

Unterscheidet sich der Liebeskummer bei Frauen und Männern?
Bei der Liebe und beim Liebeskummer sind wir alle gleich, es sind genau die gleichen Hirnregionen aktiv. Aber wir reagieren anders. Frauen schenken der Trennung sehr viel Aufmerksamkeit, sie kauen mit ihren Freundinnen jedes Detail hundertmal durch. Männer fangen an zu trinken, schauen nur noch in die Glotze und reden nicht darüber. Beide Strategien sind nicht gut. Frauen reden zu viel darüber, sie traumatisieren sich jedes Mal aufs Neue. Und Männer überlegen sich nicht, was sie das nächste Mal besser machen könnten.

Was wäre eine gute Strategie?
Behandle den Liebeskummer wie eine Sucht! Nehmen wir einen Alkoholiker: Wenn er aufhören will zu trinken, stellt er sich auch keine Wodkaflasche aufs Nachttischchen. Heisst: Häng all seine Fotos ab, verstau seine Dinge in einer Box, noch besser wäre, du wirfst gleich alles weg. Ruf ihn nicht an. Schreib ihm nicht. Frag nicht nach ihm, wenn du gemeinsame Freunde triffst. Check nicht sein Facebook-Profil. Geh aus und triff Leute. Beweg dich, so produzierst du Endorphine. Zusätzlich schüttest du beim Sport Testosteron aus, das beruhigt dich und lässt dich besser einschlafen.

Wie lange kann Liebeskummer dauern?
Schwer zu sagen. Es kann Jahre dauern, bis man eine Trennung überwunden hat. Kürzlich schrieb mir ein Mann ein Mail, der seit über vierzig Jahren an Liebeskummer leidet.

Welche Leute sind anfällig für schlimmen Liebeskummer?
Psychologen würden wohl sagen, wer als Kind eine gute Bindung zu seinen Eltern hatte, geht besser damit um. Aber wer weiss das schon! Es ist ja unser Hirnsystem, das bei einer Zurückweisung reagiert. Jeder, der liebt, hat Liebeskummer.

Kann man Liebeskummer medizinisch behandeln?
In der Resignationsphase kann man Medikamente nehmen, die die Dopaminproduktion ankurbeln. Das kann Energie geben. Viele Leute nehmen aber Antidepressiva, die das Serotonin dämpfen. Das killt die negativen Gefühle und kann vorübergehend helfen, den Alltag zu bewältigen. Es killt aber auch die guten Gefühle. Man wird zum Zombie. Und leider schaffen es einige nicht mehr, diese Medikamente abzusetzen, und verbauen sich so die Möglichkeit, sich neu zu verlieben. Das ist biologisch gesehen verheerend.

Warum?
Weil wir uns ja vermehren wollen. Wir sind nicht auf der Welt, um glücklich zu sein, sondern um uns fortzupflanzen.

Kann man immun werden gegen die Liebe?
Wenn die Serotoninproduktion aus medizinischen Gründen nicht funktioniert, kann es vermutlich tatsächlich schwierig werden. Aber ich habe auch viele gesunde Leute getroffen, die sagen, sie seien unfähig, sich zu verlieben. Oft, weil sie Angst hatten, wieder verletzt zu werden. Aber das stimmt nicht. Ein gesundes Hirn kann immer auf einen Impuls reagieren. Aber man muss das Hirn reagieren lassen. Wer sich nicht verlieben will, verliebt sich nicht.