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Von wegen rosinengross: Warum wir mehr über die Klitoris sprechen sollten

Von wegen rosinengross: Warum wir mehr über die Klitoris sprechen sollten

Der äusserliche, sichtbare Teil des weiblichen Unterleibs erlebt seit Jahren einen Hype. Ganz im Gegensatz zum Aufbau der Klitoris – Frauen stellen sich noch immer infrage, wenn sie beim Geschlechtsverkehr nicht kommen können.

Auf dreckigen Motorhauben, in öffentlichen Toiletten oder Notizbüchern – Penis-Kritzeleien begegnet man einfach überall, ihre Popularität scheint ungebrochen. Eine Klitoris hingegen, schnell dahingesprüht auf eine Häuserwand, dürfte nicht so leicht zu finden sein. Denn dass sie aussieht wie eine Wünschelrute oder dem umgedrehten Emoji-Zeichen der Tulpe gleicht, wissen die Wenigsten. Ebenso, dass die Klitoris nicht nur der kleine Knopf, sondern ein zehnmal so grosses und hochkomplexes Organ ist.

Dabei erlebt der weibliche Unterleib seit Jahren einen Hype – oder zumindest der äusserliche, sichtbare Teil. In Workshops betreibt man Vulva-Watching und lernt, dass Vielfalt die einzige Norm ist. Mit Yoni-Stickern, -Socken oder -Kaffeetassen werden Statements gesetzt – und es ist kein Kraftakt des Gehirns mehr, das Wort Scheide gegen Vulva zu ersetzen. Aber der genaue Aufbau der Klitoris? Weitestgehend unbekannt. Frauen stellen sich noch immer infrage, wenn sie beim Geschlechtsverkehr nicht kommen können.

Noch immer lernen Schüler:innen im Sexualunterricht, dass die Klitoris höchstens rosinengross sei. Kein Wunder, wird sie doch in den meisten Medizin- und Lehrbüchern unzureichend oder falsch dargestellt. Erst vor einem Jahr wurde vom deutschen Schulbuchverlag Cornelsen das erste Biologiebuch gedruckt, das die Klitoris in ihrer Gesamtheit abbildet – auf Initiative von Feminist:innen wohlbemerkt. Und erst seit 2016 gibt es das erste anatomisch korrekte 3D-Model der Klitoris der französischen Forscherin Odile Fillod – da kam bereits das iPhone 7 auf den Markt.

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«Weibliche Lust spielte in der männerdominierten Medizinwelt kaum eine Rolle, erst recht nicht, wenn zu ihrer Befriedigung der Penis überflüssig ist»

«Es liegt an der gesellschaftlichen Unfähigkeit, über Sex zu reden», begründet die deutsche Kulturwissenschafterin Louisa Lorenz die anhaltende Tabuisierung. «Aber auch daran, dass es seit über 2000 Jahren sehr bestimmte Vorstellungen davon gibt, wie die Sexualität von Frauen aussehen soll.» Weibliche Lust spielte in der männerdominierten Medizinwelt kaum eine Rolle, erst recht nicht, wenn zu ihrer Befriedigung der Penis überflüssig ist. Noch vor hundert Jahren verkündete Sigmund Freud, dass der vaginale dem klitoralen Orgasmus überlegen sei. Womit er die vermeintlich tragende Rolle des Penis weiter zementierte. Diese Thesen prägen und verunsichern Frauen bis heute.

Seit 2016 veranstaltet Louisa Lorenz daher «Clit Nights», in denen sie erzählt, was längst zur Allgemeinbildung gehören sollte: Die Klitoris steht dem Penis in Grösse und Funktion in nichts nach – beide sind Schwellkörper, etwa zehn Zentimeter lang und ausgestattet mit unzähligen Nervenenden. Neben der äusseren Klitoriseichel gehören dazu noch der Schaft, zwei Schenkel, die sich hinter den Vulvalippen befinden, und sogenannte Bulbi, die sich an die Wände der Vagina schmiegen. Deshalb stimulieren auch Bewegungen innerhalb der Vagina und können zum Höhepunkt führen – doch generell ist die äussere Stimulation bei den meisten Frauen effektiver.

Eine Roadmap zum Orgasmus-Erfolg gibt es freilich nicht. «Aber wer die Anatomie kennt, tappt nicht mehr im Dunkeln und kann auf Entdeckungsreise gehen», sagt Louisa Lorenz. Wissen ist Selbstermächtigung – und sei es durch eine Klitoris-Kritzelei erworben.

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