Eigenständigkeit ist wichtig, trotzdem muss man kein glücklicher Single sein, findet unsere Reportage-Praktikantin Sonya Jamil. Warum es völlig in Ordnung ist, sich eine Beziehung zu wünschen.
Ich bin nicht gerne Single. Dass ich mir einen Freund wünsche, steht also nicht nur säuberlich formuliert in einem hübschen Manifestationsjournal, sondern nun auch hier. Darf man das im Zeitalter von freiheitsliebenden Weltenbummler:innen überhaupt noch sagen, ohne als unselbstständig und die nächste Bridget Jones abgestempelt zu werden? Diese hat, nebenbei erwähnt, das grosse Los gezogen: ein cooler Job in der Medienbranche, ein bezahlbares Apartment in einem Londoner Trendviertel, eine beständige Gruppe an Freund:innen und gleich zwei Typen, die hinter ihr her sind. Aber bleiben wir bei mir.
Immer bereit für die Liebe
«Entspann dich, der Richtige kommt noch – dann, wenn du es am wenigsten erwartest», redet mir mein Umfeld gut zu. Das geht natürlich leicht über die Lippen, wenn man mit Sex-Glow gerade vom Wochenendtrip mit dem Bett-Buddy zurückkommt oder nach knapp sechs Monaten die grosse Liebe in jemandem findet, der ironischerweise innert kürzester Zeit auch der beste Freund ist.
Selbstverständlich hat man nicht nach dieser Person gesucht, sondern sie unerwartet gefunden. Alles andere wäre ja viel zu gewollt. Ich will aber nicht bemüht unbemüht wirken. Wenn ich morgens ein Kaffee-Date habe, muss ich es mittags strategisch Revue passieren lassen. Ich fahre nachmittags nicht – die Haare vom Winde verweht und die Hose in den NIKIN-Socken – mit dem Fahrrad an den Zürcher Letten und lasse den Tag mit Freund:innen und potenziellen Flirts leichtfertig ausklingen. Das liegt zum einen daran, dass ich nicht Velo fahren kann und zum anderen, dass sich am Letten für meinen Geschmack zu viele Hipster tummeln.
Effort sollte belohnt werden
Was ist so schlimm daran, etwas zu wollen? In anderen Lebensbereichen wie bei der Arbeit wird man für seine Zielstrebigkeit belohnt: Um den Job bei annabelle musste ich mich auch (jahrelang) bewerben und mich für das Bachelordiplom ordentlich ins Zeug legen. Da will ich endlich eine Bachelorette werden und plötzlich geht diese Rechnung nicht mehr auf. Während Gleichaltrige bereits Kinderwagen vor sich herschieben, muss ich mich seit über fünf Jahren immer aufs Neue mühsamen Date-Konservationen hingeben wie «Wenn du ein Tier wärst, was wärst du für eins?»
Natürlich sind nicht alle in meinem Freundeskreis verliebt, verlobt oder verheiratet. Meine Single-Freund:innen glauben jedoch an die Kraft des Universums und Schicksal. Falls sie jemanden kennenlernen «schön», wenn nicht, ist auch ok. Ich kann nur staunen und gratuliere zum inneren Frieden. Ich wiederum glaube an Zufälle, denen ich nach Lust und Laune Bedeutung schenke.
Dass nach all den Rückschlägen zufällig jemand in mein Leben tritt, mit ähnlichen Werten und Visionen, erscheint mir wie das achte Weltwunder. Jemand, der sich dafür interessiert, wie mein Tag war. Jemand, der sich nicht nur neben mir, sondern auch mit mir ein Leben aufbaut. Jemand, der mich in seine Entscheidung einbezieht, falls er fluchtartig das Land verlassen müsste. Vielleicht sollte ich den Tinder-Schwindler daten.
«Ich greife nicht mehr nach der ganzen Hand, wenn mir jemand den kleinen Finger hinstreckt»
Genug alleine selbstoptimiert
«Lieber Single, als in den falschen Händen», so ein altbekannter Rat, der meistens von Menschen in Beziehungen kommt. Wieso muss man das Solo-Leben mit einer toxischen Partnerschaft vergleichen? Ich habe mir nicht umsonst unzählige TED Talks und TikToks (ok, eigentlich nur TikToks) zu Themen wie den fünf Sprachen der Liebe, dem inneren Kind und Attachment-Styles um die Ohren geschlagen, als wäre mein (Liebes-)Leben davon abhängig.
Gelernt habe ich, dass Ansprüche zwar wichtig sind, man dennoch immer noch einen echten, unperfekten Menschen datet und keine Checkliste auf zwei Beinen. Aber: Ich greife nicht mehr nach der ganzen Hand, wenn mir jemand den kleinen Finger hinstreckt. Ausserdem kann ich meine Bedürfnisse kommunizieren und weiss, dass eine Beziehung viel Arbeit sein kann und nicht alleinig zum Glück ausreicht. Trotzdem repariere ich mit Zement und Spachtel lieber eine bröckelige Stelle, als ständig Luftschlösser und Kartenhäuser zu bauen, die innert kürzester Zeit zusammenfallen.
«In den letzten Jahren habe ich mich in schönen und traurigen Momenten selbst aufgefangen – ein Freund hätte in diesen Szenarien aber immer Platz gehabt»
Einschränkung schafft Wertschätzung
Die sogenannte «Me-Time» wird als grosses Plus des Single-Daseins angesehen: Kompromisslos tun und lassen, was man möchte. Ich frage mich jedoch, ob man diese Zeit aus vollem Herzen schätzen kann, wenn sie nicht durch «Us-Time» eingeschränkt wird. In den letzten Jahren habe ich eigenständig mein Ding durchgezogen und mich in schönen und traurigen Momenten schlussendlich selbst aufgefangen. Ein Freund hätte in diesen Szenarien aber immer Platz gehabt. Ich will mit ihm lachen, weinen, streiten und wieder versöhnen, will faule Sonntage und abenteuerliche Montage. Wo ist also die Kirsche auf dem Sahnehäubchen?
Das Single-Leben mag mir zwar anstrengend, frustrierend oder eintönig vorkommen; darüber zu schreiben, ist dafür umso schöner. In solchen Momenten fühle ich mich wie eine moderne Carrie Bradshaw. Wobei ich im Gegensatz zu ihr keinen «Mr. Big» will, der mich so klein macht.
Du sprichst mir aus dem Herzen!
Liebe Susanne
Vielen Dank für deinen Kommentar. Freut mich, dass dich der Text abgeholt hat.
Liebe Grüsse
Sonya