Erfahrungsbericht zur Dating-Plattform «noii»: Kennenlernen statt swipen
- Text: Sonya Jamil
- Bild: Stocksy
Speeddating per Videocall – ist das die neue Art, sich online kennenzulernen? Redaktorin Sonya Jamil ist auf der Dating-Plattform «noii» ganz in ihrem Element. Ein Erfahrungsbericht.
Montag, 19.58 Uhr: Noch zwei Minuten, dann ist es so weit: Ich werde gleich im Schnelldurchlauf sieben Männer kennenlernen. Und dafür muss ich an diesem regnerischen Abend nicht einmal in die nächstbeste Bar traben. «Bist du nervös?», werde ich in der Redaktion gefragt, als ich mit den Worten «Ich muss sofort nach Hause, um zu daten» schnell davoneile. Nein, nervös bin ich nicht – höchstens neugierig darauf, auf eine «noiie» Art zu daten. Es kann nur besser werden als das letzte Speed-Date zu Studiumszeiten, das mich beim ersten richtigen Treffen mit falschem Namen begrüsste.
Bewusstes Daten
Kein Swipen, kein Chatten, sondern echtes Kennenlernen: So lautet das Konzept der Dating-Plattform «noii», die es nun seit einem Jahr gibt. Gründerin Laura Matter, die ihren Freund über Instagram kennengelernt hat, startete während der Pandemie mit den ersten Versuchen der Verkupplungsseite. Seither hat jeder Single auf der Plattform die Möglichkeit, während sieben Speed-Dates und je fünfeinhalb Minuten zu merken, ob der «Vibe flowt». Dass sich diese Minuten bei einigen Männern anfühlen wie Sekunden und bei anderen wie Stunden, werde ich später noch merken.
«Ein Videocall ist per se nichts Revolutionäres», erklärt Laura. Und doch ermögliche er mit der Stimme, Mimik und Gestik des Gegenübers ein authentisches Kennenlernen. «Die Matches auf ‹noii› haben eine höhere Qualität, da sich die Leute bewusst Zeit zum Daten nehmen», meint die 22-Jährige. Bis zu 80 Prozent lassen kurz darauf ihr virtuelles Date zu einem realen werden. Laura, die es liebt, Amor zu spielen, freut sich besonders, wenn sich daraus ein «noiies» Liebespaar ergibt.
«Welches Gewürz wärst du?»
20.00 Uhr: «Fragt euer Date nach dem letzten Foto aus seiner oder ihrer Handygalerie», schlägt Laura in ihrer kurzen virtuellen Einführung als Eisbrecher vor. Gute Idee. Zur Sicherheit werfe ich einen Blick auf meine eigenen 30 Fragen, um sein Date besser kennenzulernen. Noch bevor ich mich entscheiden kann, ob ich meinen Gesprächspartner nach seiner liebsten Kindheitserinnerung fragen soll oder doch lieber, was für ein Gewürz er wäre, werde ich schon in den ersten Videochat geworfen. «Hallo», «Hallo», Kunst, Kultur, Events, auch Journalist. Ich will ihn noch fragen, ob er auch auf Reportage ist, da ist die Zeit schon um. Mein Bildschirm zeigt mir an, dass ich nun eine Minute Verschnaufpause bis zum nächsten Date habe.
«Die Matches auf ‹noii› haben eine höhere Qualität, da sich die Leute bewusst Zeit zum Daten nehmen»
«Wir möchten in Zukunft das Matching optimieren»
Weiter geht es: Nach der üblichen Begrüssung geht es bei den restlichen Speed-Dates auffallend oft um den Job. Und so rede ich mir die nächste Dreiviertelstunde mit Informatikern oder Bänkern entweder den Mund fusselig oder verabschiede mich erleichtert, wenn die einzige Gemeinsamkeit darin besteht, zum ersten Mal per Videochat zu daten.
«In solchen Momenten hätte ich mir gewünscht, dass ich nebst Alters- und Radiuseinschränkung auch meine Hobbys und Interessen im Dating-Profil hätte angeben können», schildere ich Laura einige Tage später meine Erlebnisse. «Wir möchten in Zukunft das Matching optimieren», sagt sie. Auch eine «noii»-App sei in Planung.
Erst kürzlich sicherte sich die Jungunternehmerin und ihr Mitgründer Thomas Kuschel in «Die Höhle der Löwen Schweiz» einen Deal für 200’000 Franken gegen 10 Prozent Firmenbeteiligung. Bis das Geld fliesst, setzt das Start-up nebst den Videochats auch auf Single-Events im echten Leben; zum Beispiel in einer Bar oder auf einem Drachenboot. «Es geht einfach darum, eine coole Zeit miteinander zu verbringen und sich möglichst ungezwungen kennenzulernen», meint Laura. Ich bin ganz Ohr – und will mir davon selbst ein Bild machen.
Minnie sucht Mickey
Freitag, 19.30 Uhr: Ich setze mir meine gepunkteten Minnie-Mouse-Ohren auf und betrachte mich ein letztes Mal prüfend im Spiegel: Für die Halloween-Party von «noii» sehe ich alles andere als angsteinflössend aus. «Dating ist ein Katz-und-Maus-Spiel und ‹scary› genug», rechtfertige ich mein Kostüm vor mir selbst und mache mich auf den Weg in die Zürcher La Lup Bar.
Das mit Spinnweben dekorierte Lokal füllt sich, je später die Stunde, mit immer mehr Draculas und Zombie-Bräuten mit sorgfältig aufgetragenem Make-up. Sie schnappen sich beim Eingang als Willkommensdrink einen Prosecco und wippen leicht zu 2000er Pop-Charts. Auf den Tischen liegen Gesprächskarten mit Fragen wie «Was war dein schlimmster Haarschnitt?», aber die meisten unterhalten sich gut gelaunt mit Zeus und Zoro über Gott und die Welt. Zwei Freundinnen im Hexenkostüm stossen mit einem Typ mit farbigen Kontaktlinsen an und ich höre, wie sie einander später begeistert zuraunen: «Der würde so gut zu dir passen!»
Gummige Ansprüche
Freitag, 22.00 Uhr: «In meiner Freizeit setze ich mich auf mein Mountainbike und bin gerne in den Bergen», erzählt mir mein Gegenüber in typischer Schweizer-Manier. «Kannst du Ski fahren? Und, sag mal, hast du beim Dating hohe Ansprüche?» Ich beschliesse, die Ski-Frage zu ignorieren – ich hatte sie schon zu oft beim Online-Dating verneint – und stattdessen über meine Ansprüche nachzudenken. Immerhin hatte ich trotz meiner «noii»-Matches «nur» mit einem ein Treffen vereinbart, es aber ziemlich schnell beendet, weil er so laut Kaugummi gekaut hatte. Hätte ich darüber hinwegsehen sollen? Nein, versichere ich mir selbst. Und erinnere mich daran, wie er das ganze Date über die Kaumasse in den Fingern zerdrückt und damit rumgespielt hat.
«Ich hoffe, es hat dir gefallen», sagt Laura, als ich gegen Mitternacht die Bar verlasse. «Ja», antworte ich und das hat es tatsächlich. Nicht, weil ich meinen Traumprinzen kennengelernt hatte, sondern weil ich gerne rede, lache und aus meiner «Bubble» austrete. Nur schon aus dem Grund würde ich «noii» auch in Zukunft nochmals eine Chance geben. Dating via Videochat braucht Mut und Einsatzbereitschaft. Dennoch ist mir ein kurzes, virtuelles Gespräch lieber, als das ewige Hin- und Herschreiben wie auf anderen Dating-Apps – schliesslich bin ich ja nicht auf der Suche nach einem Brieffreund. Und ein Video sagt im Gegensatz zum Bild noch mehr als tausend Worte – oder wie viel man in fünf Minuten Videocall nun mal rausbringt.