Liebe & Sex
Die Liebesfrage: Wie viel Freiraum sollten sich Paare lassen?
- Text: Bettina Disler
- Bild: Stocksy; Collage: annabelle
Alle zwei Wochen beantwortet Paar- und Sexualtherapeutin Bettina Disler eine Frage zum Thema Liebe oder Sex. Diesmal geht es darum, wie viel Nähe und Distanz es innerhalb einer Beziehung braucht.
Am Anfang einer Beziehung ist die Anziehung gross. Damit Anziehung überhaupt erst stattfinden kann, braucht es Abstand, also einen Raum zwischen zwei oder mehreren Personen, der für Spannung sorgt. Wenn es funkt, möchten sich die Betroffenen aufeinander zubewegen und gegenseitig entdecken und minimieren so den Abstand zwischen ihren Welten.
Verliebte wollen am liebsten 24/7 Raum und Zeit teilen und miteinander verschmelzen. Alles ist neu und aufregend – vorerst. Mit der Zeit setzt jedoch Gewöhnung ein und spätestens dann wünscht sich die eine oder andere Person wieder mehr Raum für sich. Me Time.
Eine der grössten Herausforderungen in allen Beziehungen ist das Aushandeln der Nähe-Distanz-Balance. Haben Partner:innen unterschiedliche Bedürfnisse nach Bindung und Autonomie, kann sich das Thema Freiraum belastend auf die Beziehung auswirken.
«Der persönliche Freiraum und die Paarzeit stehen in steter Wechselwirkung zueinander»
Bindungsstile spielen hier eine wichtige Rolle: Personen, die früh die Erfahrung gemacht haben, dass ihre Grenzen nicht respektiert und sie somit von anderen vereinnahmt wurden, entwickeln eher einen «Nähe vermeidenden Bindungsstil». Sie haben Angst, sich bei zu viel Nähe in einer Beziehung selbst zu verlieren und gehen instinktiv auf Abstand.
Hat hingegen jemand die gegenteilige Erfahrung gemacht und wurde früh alleine gelassen oder nicht beachtet, entwickelt diese Person eher einen sogenannt «unsicheren Bindungsstil». Sie hat also bei zu viel Distanz Angst, das Gegenüber zu verlieren und sucht deshalb instinktiv Nähe.
Wenn die Bindungsstile zweier Menschen gegensätzlich zueinander liegen, triggern sie sich gegenseitig: Dann ist alles zu eng für die eine und alles zu unverbindlich für die andere Person.
Um diesem Muster zu entkommen, braucht es gegenseitiges Vertrauen. Erst dadurch können Autonomie- und Bindungskompetenzen entwickelt werden: Damit die Beziehung genug Luft zum Atmen hat und so für alle Beteiligten lebendig bleibt, brauchen die Partner:innen genug Abstand voneinander, um wieder aufeinander zugehen und sich von neuem begegnen zu können.
Allerdings sollte der Abstand nicht zu gross sein, sodass man sich nicht aus den Augen verliert. Aus diesem Grund braucht es auch genug Zeit miteinander, um die gemeinsame Paarwelt aufzubauen und zu gestalten. Der Spielraum, den diese beiden Pole definieren, ist das Lebenselixier einer jeden Beziehung.
So gesehen stehen der persönliche Freiraum wie auch die Paarzeit in steter Wechselwirkung zueinander. Und dies in Balance zu halten, ist eines der Geheimnisse einer gesunden Partnerschaft.