Die Liebesfrage: Wie erkenne ich eine toxische Beziehung?
- Text: Bettina Disler
- Bild: Stocksy; Collage: annabelle
Alle zwei Wochen beantwortet Paar- und Sexualtherapeutin Bettina Disler eine Frage zum Thema Liebe oder Sex. Diesmal geht es um die Anzeichen einer toxischen Beziehung.
Am Anfang einer toxischen Beziehung wird man oft mit Liebesbekundungen überschüttet und alles wirkt wie in einem Märchen. Das sogenannte «Love Bombing» zielt darauf ab, jemanden mit sehr viel Aufmerksamkeit an sich zu binden und emotional schnell von sich abhängig zu machen.
Nach dem Zuckerbrot folgt dann die Peitsche: Plötzlich erfährt man grundlose und abrupte Ablehnung, wiederum gefolgt von intensiver Zuneigung. Man erlebt ein Wechselbad der Gefühle mit extremen Hochs und Tiefs. Das Gegenüber arbeitet in dieser Phase gezielt darauf hin, einen mehr und mehr zu verunsichern und einem das Gefühl zu geben, nicht gut genug zu sein. Es hagelt vermehrt Kritik und alles, was man sagt oder tut, wird infrage gestellt. Und zwar so lange, bis man an sich selbst zweifelt und nicht mehr weiss, was wahr und falsch ist. Diese Art der Manipulation nennt man «Gaslighting».
«Das Gegenüber gibt einem die Schuld für alles.»
Das Gegenüber besetzt vorwiegend die Opferposition und gibt einem die Schuld für alles. Jeglicher Versuch, ein konstruktives Gespräch zu führen, mündet darin, dass sich das Gegenüber entweder für sein Verhalten geschickt rechtfertigt oder aber immer mehr damit beginnt, einen zu ignorieren. Diese Liebesentzugstaktik wird auch «Stonewalling» genannt.
Selbstaufgabe und Isolation
Ein weiteres Warnsignal wird als «Breadcrumbing» bezeichnet und oft auch in toxischen Beziehungen angewendet: Das Gegenüber investiert ein Minimum in die Partnerschaft, aber gerade so viel, dass man immer wieder doch noch einen Funken Hoffnung verspürt, es könnte sich alles zum Guten wenden. Die Betroffenen tun dann alles dafür, dieses Hochgefühl erneut zu erleben, doch diese Momente werden immer seltener erreicht. Spätestens in dieser Phase befindet man sich in einer starken Abhängigkeit.
Das Ganze kann noch schlimmer werden: Wenn das Gegenüber versucht, die totale Kontrolle in der Beziehung zu übernehmen, und nicht nur verbal, sondern auch körperlich jegliche Grenzen überschreitet. Oftmals fühlen sich Betroffene in einer toxischen Beziehung sehr minderwertig mit der Folge der totalen Selbstaufgabe und Isolation. Das Gegenüber verwehrt einem beispielsweise, Kontakte zu anderen zu pflegen, entwendet Zugangsdaten zum Konto oder verbreitet Unwahrheiten im Bekanntenkreis.
Weil Betroffene mit der Zeit stark an sich und ihrer Wahrnehmung zweifeln, fällt es ihnen sehr schwer, sich aus einer toxischen Beziehung zu lösen. Hinzu kommt, dass das Gegenüber darauf meist mit Drohungen reagiert, sodass einem die Konsequenzen des Schlussmachens schlimmer erscheinen als das weitere Ertragen der andauernden Umstände.
Toxische Beziehungen können Betroffene psychisch und körperlich sehr belasten. Daher ist es wichtig, jegliche Warnsignale so früh wie möglich ernst zu nehmen, sich Hilfe zu suchen und entsprechend zu handeln, um es gar nicht erst so weit kommen zu lassen.
Bettina Disler arbeitet in ihrer Praxis in Zürich als Paar- und Sexualberaterin und ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung. Sie hat ein eigenes Modell entwickelt, mit dessen Hilfe sich Bewegung in festgefahrene Beziehungen bringen lässt. 2019 hat Disler beim Klett-Cotta Verlag ein Fachbuch zu den Themen Lustlosigkeit, Entfremdung und Affären veröffentlicht.