Liebe & Sex
Die Liebesfrage: Können Fernbeziehungen funktionieren?
- Text: Bettina Disler
- Bild: Stocksy; Collage: annabelle
Alle zwei Wochen beantwortet Paar- und Sexualtherapeutin Bettina Disler eine Frage zum Thema Liebe oder Sex. Diesmal geht es darum, ob eine Beziehung auch aus der Ferne gelebt werden kann.
Wer eine Fernbeziehung eingeht, sagt ja zu einer Beziehung auf Distanz. Damit diese gelingt, ist es von Vorteil, sich auf das Potenzial zu konzentrieren, das mit dem räumlichen Abstand einhergeht.
Eine Fernbeziehung führt man heutzutage grösstenteils virtuell, was bedeutet, dass die Verbindung auf verbaler Kommunikation aufgebaut wird und das oft in einem zeitlich begrenzen Rahmen. Umso wichtiger ist es, dass in diesen Zeitfenstern die Verbundenheit zwischen den Partner:innen gestärkt wird. Über tiefgründige Gespräche lernen sie sich nicht nur gegenseitig in ihrer jeweiligen Welt besser kennen, sondern bauen sich damit auch ihre gemeinsame Paarwelt auf.
Um das Gefühl von Verbundenheit aufrecht zu erhalten und die Liebespartnerschaft wachsen zu lassen, helfen ebenfalls tägliche sowie wöchentliche Rituale. So gibt es Paare, die sich regelmässig für einen Abend pro Woche verabreden, um beispielsweise gemeinsam auf Netflix Party denselben Film anzuschauen oder aus der Ferne gleichzeitig dasselbe Menü zu kochen.
In Fernbeziehungen wird man zwangsläufig kreativ, wenn es um die Gestaltung der gemeinsamen Zeit geht, was durchaus verborgende Talente zutage fördern kann. Man stellt vielleicht überraschend fest, dass man sich dabei gar selbst übertrifft. Emotionale Erlebnisse zu teilen sind essenziell und deshalb sind auch gegenseitige Überraschungen ein besonderer Booster in Fernbeziehungen.
«Nicht nur das Aufbauen einer gemeinsamen Welt ist in einer Fernbeziehung wichtig, sondern ebenfalls, dass beide in ihren jeweiligen Leben vor Ort präsent sind »
Wenn jemand nicht immer unmittelbar zu haben ist, weckt das die Sehnsucht und das Verlangen nach physischer Vereinigung. Das kann einem dazu anspornen, seine Fantasien auszuweiten, wenn es darum geht, Wege zu finden, sich sexuell füreinander zu öffnen. Auch hier liegt oft ein Schatz begraben, mit dem sich eine Paarsexualität originell und lustvoll gestalten lässt.
Aber nicht nur das Aufbauen einer gemeinsamen Welt ist in einer Fernbeziehung wichtig, sondern ebenfalls, dass beide in ihren jeweiligen Leben vor Ort präsent sind und sich unabhängig voneinander weiterentwickeln können. So bleiben beide füreinander interessant und können stets auch etwas Neues aneinander entdecken.
Eine Fernbeziehung ist in den meisten Fällen zeitlich begrenzt. Gemeinsame Ziele zu setzen und die nächsten Schritte in diese Richtung zu planen, sind wichtige Bestandteile davon. Auch die physische Connection während den real stattfindenden Treffen gibt einem ein Gespür dafür, ob eine gemeinsame Zukunft an einem Ort überhaupt vorstellbar ist.
Doch wirklich herausfinden kann man das erst, sobald eine Fernbeziehung die räumliche Distanz überwunden hat und die Karten neu gemischt werden. Denn der Beziehungsrahmen wird ein anderer sein. Wie es dann weiter geht, hängt davon ab, wie gut die Partner:innen ihre Situation miteinander verhandelt haben und wie sehr sie bereit sind, sich ganz auf eine Beziehung im Hier und Jetzt einzulassen.
Bettina Disler arbeitet in ihrer Praxis in Zürich als Paar- sowie Sexualberaterin und ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung. Sie hat ein eigenes Modell entwickelt, mit dessen Hilfe sich Bewegung in festgefahrene Beziehungen bringen lässt. 2019 hat Disler beim Klett-Cotta Verlag ein Fachbuch zu den Themen Lustlosigkeit, Entfremdung und Affären veröffentlicht.
Die spannende Frage: Ist eine Fernbeziehung (ob nun der Partner 10’000km oder 100m entfernt wohnt) immer ein Zwischenschritt zum Ideal der “Nahbeziehung”?
Oder ist sind Fern- und Nahbeziehung alternative Modelle, jede mit Vor- und Nachteilen, manchmal mit Übergängen von Fern- zu Nah; oder von Nah- zu Fern?
Und es mag Leute geben, welche in Nahbeziehungen weniger miteinander reden, weniger Zeit verbringen als jene in einer Fernbeziehung. Oder sich mit Alltagstrott und Streitereien vergnügen.
Wie es auch solche in Fernbeziehungen geben mag, welche zwischendurch “auf sich allein gestellt” völlig hilflos sind, und irgendwann den Alltag virtuell fast 24/7 zelebrieren, sich dafür aber nicht mehr überraschen.
Wenn beides aber einfach alternative Modelle sind, kann sich jeder das rausnehmen, was für Sie/ihn (in der augenblicklichen Lebensphase) optimal ist!