3 Frauen erzählen, warum sie ihre Dating-Apps gelöscht haben
- Text: Miriam Suter
- Bild: Stocksy
Immer mehr Frauen wenden sich vom Onlinedating ab. Warum ist das so? Wir haben mit drei hetero Frauen darüber gesprochen.
Laut Psychologin und Paartherapeutin Dr. Johanna Degen befinden wir uns in einer «Krise der Begegnung», erzählte uns die Expertin im Interview: Die Einsamkeit sei gestiegen, und wir hätten mehr und mehr Schwierigkeiten, Beziehungen zu initiieren. Durch übermässigen Konsum von Social Media und Onlinedating würden wir die Fähigkeit verlieren, uns im echten Leben zu begegnen und einander zu vertrauen.
Diese Entwicklung habe Konsequenzen für unser Dating-Verhalten: Immer mehr Menschen neigen dazu, das Gegenüber zu generalisieren und abzuwerten – suchen die Schuld dafür aber beim Anderen, so die Psychologin. Gleichzeitig kompensieren das viele, indem sie nach noch mehr Dates oder sexuellen Kontakten suchen – in der Hoffnung auf eine Ausnahme.
Auch die angespannte Weltlage beeinflusse unser Dating-Verhalten, so Degen: Politische Einstellungen werden wichtiger, was zu einer Politisierung des Datings führe. Dies bestätigt auch eine aktuelle Sotomo-Studie: Junge hetero Frauen wollen Männer, die feministisch eingestellt sind – hetero Männer aber wollen keine Feministinnen daten.
Neuste Studien zeigen: Immer weniger Frauen nutzen Dating-Apps. Je nach Studie zeigen die Zahlen, dass vor allem junge Frauen der Generation Z die Apps sogar nach weniger als einer Woche wieder vom Smartphone entfernen. Aber was bleibt, wenn man nicht mehr swipen mag? Drei Frauen erzählen, weshalb sie dem Onlinedating abschwören.
Karin (40): «Ich bin mittlerweile etwas desillusioniert, nachdem ich so viele Frösche geküsst habe»
Ich habe sämtliche Dating-Apps vor etwa einem Jahr komplett gelöscht – und mich bewusst dazu entschieden, aktuell auch nicht mehr zu daten. Auf den Apps fehlen mir der Respekt und der Anstand, den man einander im echten Leben gewährt.
Online können Menschen ohne echte Konsequenzen ghosten, Treffen ohne Angabe eines Grundes kurzfristig absagen und generell ist die Hürde, unehrlich zu kommunizieren, wahnsinnig niedrig.
Ausserdem gab es immer wieder Kommentare zu meinem Körper und eindeutig sexuelle Angebote, obwohl aus meinem Profil klar ersichtlich war, dass dies nicht das ist, was ich suche. Beleidigungen gab es auch, wenn ich nicht wie vom Gegenüber gewünscht reagierte.
Ich muss zugeben: Ich habe in der Vergangenheit schon x-mal aus Frust eine App gelöscht, nur um sie dann einige Tage später doch wieder zu installieren. Wie soll man denn sonst jemanden kennenlernen? Für mich fühlte es sich lange so an, als müsste ich ein Spiel mitspielen, bei dem ich die Hoffnung auf den Jackpot nicht aufgeben darf, während ich nur am Verlieren bin – Zeit, mich selbst, mein Selbstvertrauen.
Ich bin mittlerweile etwas desillusioniert, nachdem ich so viele Frösche geküsst habe. Meine letzte Beziehung, die auf einer App startete, endete in einer traumatischen Trennung. Und ich glaube, das lag nicht zuletzt auch am neuen Datingverhalten, das durch die Apps unterstützt wird. Es wird eine allgemeine Unverbindlichkeit gefördert und der Eindruck vermittelt, dass Menschen wie austauschbare Ware behandelt werden können.
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Sagen wirs mal so: Mein Männerbild hat sich durch meine Dating-Erfahrungen nicht verbessert. Ich habe mir nach meiner Trennung vorgenommen, künftig viel genauer hinzuschauen, wenn ich jemanden kennenlerne. Ich will in Zukunft viel mehr darauf achten, wie reflektiert und ready für eine Beziehung ein Mann ist.
Auch fällt mir auf, dass viele Männer in meinem Alter nicht so progressiv sind, wie ich mir das wünschen würde, wenn es um ihr Rollenverständnis und um ihre Vorstellung einer Beziehung geht. Eine Beziehung kann ich mir nur noch vorstellen, wenn ein Bewusstsein für patriarchale Strukturen und die eigenen Privilegien vorhanden ist. Manche Basics mag ich nicht mehr verhandeln oder erklären müssen.
Wenn mir im echten Leben jemand Tolles über den Weg stolpern sollte, wäre ich offen für ein Kennenlernen. Ich suche aber keine Beziehung und bin sehr gerne Single.
Anfangs kamen aus meinem Umfeld noch viele Fragen zu meinem Datingleben. Inzwischen haben alle meine Freund:innen aber begriffen, dass das nicht nur eine weitere «Ich lösche alle Apps»-Phase war, sondern der bewusste Entscheid für eine andere Lebensweise.
Wie ich mich dem Dating so komplett entziehen kann, verstehen trotzdem nur wenige. Natürlich könnte man sagen: Sei nicht so streng, leg dir ein dickeres Fell zu. Ich finde aber: Ich will mich all dem schlichtweg nicht aussetzen. Und mir geht es seither so, so viel besser.
Ich habe mehr Zeit und Energie für andere Dinge im Leben, die mir wichtig sind. Und mein Selbstwertgefühl hat sich auch erholt, seit ich mich nicht mehr wie in einem ständigen Wettbewerb fühle.
Elena (28): «Auch wenn ich nichts Langfristiges suche, will ich respektvoll behandelt werden»
Männer auf Dating-Apps machen tendenziell schnell anzügliche Bemerkungen oder sexuelle «Witze» beim Chatten. Das fand ich sehr unangenehm.
Klar, ich selbst war auch auf den Apps, um jemanden unverbindlich kennenzulernen. Ich war nicht auf der Suche nach einer langfristigen Beziehung, sondern wollte vor allem meinen Spass haben und habe das auch so kommuniziert. Trotzdem will ich respektvoll behandelt werden und jemanden zuerst ein bisschen kennenlernen.
Wenn ich dann nach einem kurzen «Hallo» bereits versaute Nachrichten bekomme, hat man es bei mir verspielt. Ich habe die Männer dann einfach darauf angesprochen – oder ihnen nicht mehr zurückgeschrieben, wenn ich ungefragt Nacktbilder bekommen habe, und sie direkt bei der App gemeldet.
Auch wenn ich für den Moment nur meinen Spass haben will: Ich möchte trotzdem jemanden treffen, der an mir als Person interessiert ist und nicht bloss an meinem Körper.
Generell nahm ich das ganze Onlinedating aber gar nie wirklich ernst. Du kannst überall Idioten begegnen, so halt auch auf diesen Apps. Und ich kann ja selbst entscheiden, wie ich reagiere, wenn mir jemand dumm kommt und welche Konsequenzen ich daraus ziehe.
Was ich aber feststellte: Wenn man sich noch nicht getroffen hat, waren die Menschen, mit denen ich gematcht hatte, einfach kleine Bilder auf meinem Smartphone für mich. Nicht mehr. Man kannte sich ja noch nicht, man konnte gar nicht wirklich eine Tiefe erreichen.
Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass die Art und Weise, wie ich Beziehungen führe, nicht gesund ist. Irgendwie lief ich immer an die gleichen Arten von Männern heran. Ich liess mich ausnutzen und konnte meine Grenzen nicht ziehen, nicht für mich einstehen.
Das hatte damit zu tun, dass ich vor etwas mehr als zwei Jahren aus einer Beziehung herauskam, die sehr toxisch war – und ich hatte mich lange nicht getraut, etwas zu sagen und mich zu trennen. Als ich dann nach der Trennung mein Single-Leben genoss, merkte ich: Sobald mir jemand näher kommt, wurde ich misstrauisch und ging sofort auf Distanz.
Ich konnte mir schlichtweg nicht vorstellen, dass mich jemand wirklich gern haben kann. Also habe ich mich total verschlossen und die Person weggestossen. Teilweise habe ich sogar bewusst mögliche Beziehungen mit Männern sabotiert, habe ausgemachte Treffen wieder abgesagt oder einfach nicht mehr zurückgeschrieben.
Diese Apps machen einem so ein Verhalten sehr einfach – man kann Verbindungen ja auch einfach wieder trennen. Mein Verhalten hatte aber viel damit zu tun, dass ich in meiner Ex-Beziehung so viel hatte durchgehen lassen und ich glaube, nach der Trennung fiel ich ins andere Extrem.
Nach ein paar Monaten stellte ich fest: Eigentlich habe ich momentan gar nicht die emotionale Kapazität, jemanden zu daten – und ich hatte, wenn ich ehrlich zu mir war, auch gar keine Lust.
Ich fing schliesslich eine Therapie an und das hat mir wahnsinnig geholfen. Heute weiss ich, wie unglaublich schön und bereichernd mein Leben auch ohne Partner ist. Vor allem uns Frauen wird immer beigebracht, dass wir einen Mann in unserem Leben brauchen. Dass wir nur dann etwas wert sind, wenn wir männliche Aufmerksamkeit haben.
Ich sehe heute, was ich mir selbst für ein wunderschönes Leben geschaffen habe. Und ich weiss, dass jemand, der neu in mein Leben kommt, es wirklich wert sein muss – weil ich für mich alleine schon so glücklich bin, dass ich gar niemand anderes brauche.
Manuela (25): «Zu sehen, dass ich offenbar von diesen Apps abhängig bin, war schon sehr erschreckend»
Ich habe die letzten fünf Jahre eine On-off-Beziehung mit Dating-Apps geführt. Mich nervt, dass dort alles so oberflächlich und austauschbar ist. Ich glaube, dass Onlinedating die Commitment Issues unserer Generation fördert: Wenn dir jemand nicht passt, ist die nächste Person ja nur einen Swipe entfernt.
Und ich habe festgestellt, dass ich selbst diese Einstellung angenommen habe: Ich wurde oberflächlicher, was die Wahl meines Partners angeht. Wenn etwas nicht zu hundert Prozent stimmte für mich, war die Person sofort uninteressant. Auch dann, wenn es sich um Dinge handelte, über die ich im echten Leben vielleicht hinwegsehen würde.
Jetzt gerade habe ich ziemlich schlimmen Liebeskummer, und ich kenne mich: Wahrscheinlich werde ich mir wieder eine App herunterladen, zwei Tage lang etwas swipen – und sie dann wieder löschen.
Das erste Mal geghostet wurde ich letztes Jahr. Das nagte sehr stark an meinem Selbstwert. Ich habe mich lange gefragt, was denn mit mir nicht stimmt und was ich falsch gemacht habe. Aber auch das hat für mich mit dieser Oberflächlichkeit zu tun, die Dating-Apps fördern: Warum soll man jemandem ausführlich erklären, weshalb man kein Interesse mehr hat, wenn man ja auch einfach nicht mehr zurückschreiben kann? Ich finde das trotzdem total respektlos.
Natürlich ist es emotional herausfordernd, jemandem mitzuteilen, dass man sich nicht mehr treffen möchte. Aber aus meiner Sicht ist das das Mindeste an Respekt, das man einem anderen Menschen schuldet. Was ich auch feststellte, nachdem ich die Apps zum ersten Mal gelöscht hatte: Ich fiel in ein Loch aus Einsamkeit.
Dating war für mich eine Ablenkung, eine konstante Bestätigung; ich hatte ständig genug Glückshormone. Als das wegfiel, ging es mir ziemlich schlecht und ich fühlte mich alleine. Das zu merken, war schlimm. Aber es hat mir auch gezeigt, dass ich mich mit mir auseinandersetzen muss.
Ich fing an, Sport zu treiben, zu basteln und zu malen oder meine Freund:innen mehr zu treffen. Zu sehen, dass ich offenbar von diesen Apps abhängig bin, war schon sehr erschreckend.
Heute weiss ich ganz genau, was ich in einer Beziehung wirklich möchte und was ich von der Person, die ich künftig date, erwarte: Ich will monogam leben, möchte mit jemandem sein bis ans Ende meiner Tage, ganz romantisch gesagt. Diese Faktoren verlor ich aus den Augen, je länger ich mich auf den Apps aufhielt.
Ich merke, dass ich viel weniger gestresst bin und keinen Druck mehr verspüre, ständig online zu sein, seit ich die Apps gelöscht habe. Manchmal macht mir die Zeit allein zu Hause noch etwas zu schaffen. Aber ich arbeite daran.
Ab und zu vermisse ich all die verrückten Dating-Geschichten, die ich meinen Freundinnen erzählen konnte. Da waren schon ein paar seltsame Typen dabei. Aber diese Lücke wird sicher bald mit neuen, schönen Geschichten geschlossen werden.
Heute habe ich fast ein bisschen Angst davor, wieder zu daten – ohne Apps. Ich wirke im echten Leben eher abweisend und nicht sehr zugänglich. Vielleicht auch, um mich zu schützen. Daran möchte ich gerne arbeiten. Ich möchte lernen, offline zu flirten. Das ist doch eigentlich etwas Schönes!
es geht mir exakt wie Elena! Danke dass du das so toll in Worte gefasst hast. ♥️🙏🏽
Das liest sich an einigen Stellen so egozentrisch und ganz so, als wären nicht die Dating-Apps das Problem, sondern generell wüssten die Personen viel zu wenig über sich und ihre Dating-Vorlieben. Dass Karin über Privilegien spricht und dabei anscheinend völlig ausblendet, welche Privilegien sie gerade in diesen Apps genießt, ist ironisch.
Dass Dating-Apps nicht sonderlich gesund für Dating an sich sind, dem stimme ich aus ganzem Herzen zu. Diese Interviews sind allerdings wenig Beweis dafür, sondern eher ein Indiz, dass man offensichtlich auch auf Dating-Apps nicht die Lösung dafür findet, dass man nicht weiß, was man will.
Ich verstehe den Grundsatz des Artikels nicht: wieso Menschen erklären/ sich dafür rechtfertigen sollten, dass sie in diesem Irrsinn nicht teilnehmen möchten, anstatt solche nach dem warum zu fragen, die das tun.
“Das erste Mal geghostet wurde ich letztes Jahr.”
Als Mann wird man mit Pech zwei bis drei mal am Tag geghostet.
Ein wirklich interessaner Artikel und danke auch an die Damen für diese offenen Aussagen.
Aus Sicht eines Mannes, der selbst in der Vergangenheit die ein oder andere Dating-App ausprobiert hat, kann ich die Aussagen genauso unterstützen. Auch für Männer scheint diese Oberflächlichkeit das größte Problem zu sein.
Irgendwie machen mich die Aussagen etwas traurig und ich hoffe, dass es einen Umschwung gibt und künftig einfach wieder mehr real gedatet wird…
Dating ist sooo amerikanisch. Dating Apps sind sooo 2010er.
Ganz herzlichen Dank für den tollen Artikel. Ich habe eine langjährige Freundin die öfter auf dating apps unterwegs war und was ich von ihr diesbezüglich gehört habe dekt sich mit den Erfahrungen der hier zitierten Frauen.
Besonders die Respektlosigkeit hat mich sehr erschreckt.
Auch wenn ich mich als Mann, nach einer langjährigen Beziehung jetzt schon mal sehr einsam fühle, hält mich das und diese ausnutzbare Unverbindlichkeit davon ab solche Apps zu nutzen.
Noch mal herzlichen Dank für den tollen Artikel.
Karin hat genau das geschildert, was auch ich über Jahre erlebt habe. Man glaubt ja immer
dass man sich irrt und der nächste dann anders ist. irgendwann gab ich komplett auf mit allem – wollte nicht mehr suchen und finden und die Augen rollen. Es war immer dasselbe.
Wo sind sie, die bescheidenen, anständigen Männer, die einfach nur Liebe wollen?
Und dann jetzt im Juni – nach ca 10 Jahren – auf einer neuen Seite – kam ein “Hallo wie gehts Dir. ich bin XXXX und leben in XXXX ” – ohne sexuelle Anmache oder Informationen über Größen aller Körperteile, keine Fragen nach Tagesfreizeit und anonyme Locations – einfach ein ehrlich gemeintes “Hallo wie gehts Dir” –
und diese Frage war kein Small Talk. Da zeigte jemand sein Interesse an mir – und ich habe das gespürt. Die Nadel im Heuhaufen.
Es geschehen tatsächlich noch Wunder.