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«Liebe wird immer verhandelt»

Body & Soul

«Liebe wird immer verhandelt»

  • Interview: Frank Heer; Fotos: Sony Pictures

Fans des E-Mail-Romans «Gut gegen Nordwind» dürfen sich freuen: Jetzt kommt die Verfilmung ins Kino. Nora Tschirner spielt die Hauptrolle.

Wer mit Nora Tschirner (38) durch Berlin spaziert, lenkt alle Augen auf sich, schliesslich ist über das private Leben der deutschen Schauspielerin so gut wie nichts bekannt. Wer ist der Typ an ihrer Seite, fragen die Blicke? Ihr Neuer? Der? Das Paar setzt sich in ein Café. Er schenkt ihr Pralinés (verdächtig!), sie freut sich und macht sofort die Schachtel auf (wie gierig!). Er bestellt ein Pils (Alkoholiker?), sie eine Limonade mit Basilikum (schwanger?). Er legt sein Handy auf den Tisch, sie … Moment, ist das ein Aufnahmegerät?

annabelle: Frau Tschirner, Sie sind gerade mal wieder im Kino zu sehen: In «Gut gegen Nordwind». Dabei handelt es sich um die Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Daniel Glattauer.
NORA TSCHIRNER: Ich war ja ein riesengrosser Fan des Romans, als der vor dreizehn Jahren rauskam, und deshalb wollte ich da unbedingt mitspielen.

Das Reizvolle an dem Buch ist seine Form: Die Geschichte wird über E-Mails erzählt, die sich die beiden Protagonisten Emmi und Leo schicken – ohne sich zu kennen. Sie ist glücklich verheiratet, er hat sich gerade von seiner Freundin getrennt. Die beiden kommen sich nahe, doch die Beziehung bleibt virtuell und findet unter Ausschluss der realen Welt statt.
Spannend fand ich vor allem die ganzen Fragen, die sowohl das Buch als auch der Film aufwirft: Kann eine Beziehung nur im Kopf entstehen? Ist es mehr als nur eine Flucht? Was ist Projektion, und wie viel davon wäre in der Realität lebensfähig?

Emmi gibt sich lang der Illusion hin, dass es möglich ist, sich virtuell ein bisschen in eine andere Person zu verlieben, ohne sich gleich für oder gegen die eigenen Lebensumstände entscheiden zu müssen. Der perfekte Flirt ohne Verletzungsgefahr.
Die denken wirklich beide über eine lange Zeit, sie hätten ihre virtuellen Eskapaden im Griff. Und plötzlich kommt die vollkommene Überforderung. Das gefiel mir am Roman – und jetzt auch am Film – ganz besonders: Dieser Sog, das Rauschhafte, das Emmi und Leo überkommt, ohne dass es sich die beiden eingestehen würden.

Sie verlieben sich in die eigene Vorstellung vom andern. Romantik in Reinform!
So funktioniert Verlieben ja oft auch im realen Leben: Es geht viel um überhöhte Wahrnehmungen, zumindest am Anfang. Früher, wenn ich in jemanden verliebt war, hatte ich stets das Gefühl, derjenige wäre eine Art Hulk. Buooaam! Auch wenn er in Wahrheit vielleicht nur halb so gross und kräftig wie ich war. Aber in meinem Kopf war er immer riesig.

Sind Sie ein Kopfkino-Mensch?
Da würde ich jetzt behaupten, dass ich am Ende des Tages eher ein Fan der realen Begegnung bin.

Also das, was Emmi in «Gut gegen Nordwind» passiert, würde Ihnen nicht passieren?
Mmph, ha! Das lass ich jetzt mal unbeantwortet.

Heute beginnen die meisten Beziehungen virtuell. Whatsapp, Instagram, Facebook oder Tinder haben nicht nur den Liebesbrief, sondern auch das E-Mail ersetzt. Können Social Media überhaupt sinnlich sein?
Ach, Menschen hören ja nicht auf Menschen zu sein. Sie werden immer kreative Wege finden, um ihre Zuneigung auszudrücken. Ich habe inzwischen öfter mit deutlich jüngeren Schauspielern zu tun, die sind so Mitte 20, und ich finde es faszinierend, wie souverän und fokussiert und leidenschaftlich da manche trotz grosser Onlineaktivität in ihrem Leben stehen – also von wegen Digital Zombies … Liebe wird immer verhandelt werden, in einer wahrhaftigen und tiefberührenden oder eben oberflächlichen, prätentiöseren Art und Weise, sei es mit Worten und Gesten oder auch mittels Projektion und Posen.

Ich behaupte jetzt mal, dass ich als junger Mann ein origineller Liebesbriefschreiber war. Ich hatte das mit Tinte, Zigaretten, Weinflasche und passender Musik auch stilecht kultiviert. Ich wüsste nicht, wie ich das heute machen würde.
Haha, also die Art von Liebesbekenntnis, bei der das Gegenüber eigentlich auch so ein bisschen austauschbar ist? Vielleicht visueller? Instagram? Mit einem Foto lässt sich viel ausdrücken: Melancholie, Freude, Witz – selbst die gequälte Pose: Ein Selfie an einer Bushaltestelle, das Gesicht gegen die Scheibe gedrückt, Regentropfen kullern übers Glas. Ich bin da nicht so pessimistisch. Abgesehen davon bleibt doch jedem die Wahl der Form. E-Mails sind nicht mittlerweile verboten oder so. Ich selbst habe in den letzten Jahren ein paar sehr persönliche E-Mails und sogar Briefe von Hand geschrieben. Natürlich nicht im Sinne von «Huch, ich hab dich gesehen, ich liebe dich und lass uns mal …» – aber durchaus Briefe, in denen ich auf die Liebe bezogene Anliegen zum Ausdruck brachte.

Briefe? Von Hand geschrieben? Im 21. Jahrhundert?
Absolut. Ich hab auch immer ein Notizbuch und einen Füller dabei. Ich schreibe wirklich sehr gern von Hand. Das ist für mich auch eine Tempokontrolle: Man kann seine Gedanken mit dem Füller nicht überholen.

Dann sitzen Sie im Café und machen Notizen?
Nie.

Sondern?
Zum Beispiel während ich lese. Da notiere ich mir Dinge, die ich interessant finde. Es können aber auch kurze Tagebucheinträge sein. Oder schlicht Einkaufszettel.

Was lesen Sie gerade so?
Vor allem Sachbücher. Romane eher selten. Wenn, dann so bunte, laute Spannungsliteratur, um mich rauszuholen aus meinem Gedankenstrom. Frank Schätzing oder Dan Brown. Etwas, was mich richtig wegballert und wo auf Seite eins schon der Killer-Oktopus auftaucht. Das ist mein Netflix-Ersatz. Doch meistens finde ich mein Innenleben tatsächlich spannender, weshalb ich mich lieber mit Sachbüchern weiterbilde.

Gehen Sie noch ins Kino oder schauen Sie Filme vor allem auf dem Laptop?
Beides eher wenig, aber wenn, dann gehe ich ins Kino.

«ICH SCHALTE KAUM JE
DEN FERNSEHER AN.
ICH WÜSSTE NICHT,
WELCHES PROGRAMM
MIT DEM MITHALTEN
KÖNNTE, WAS IN
MEINEM KOPF ABGEHT»
 

Angenommen, Sie sehen sich einen Liebesfilm an. Was braucht es, damit dieser von Ihnen die maximale Punktzahl bekommt?
Er soll, wie eigentlich jeder gute Film, eine Wahrhaftigkeit ausstrahlen, gewitzt und ein wenig verschroben sein. ’Ne gute Mischung aus Leichtigkeit und Tiefe haben. Er darf mich nicht neunzig Minuten lang mit Musik erschlagen, die mir suggeriert, wie intensiv das alles gerade ist. Er soll mir auch nichts vortanzen oder vorkauen, da muss Platz sein für mein eigenes Gefühl. Ich bin ja ein totaler Fan von romantischen Komödien – aber das muss mich schon auch geistig ein bisschen kitzeln. Zwei schönen Menschen beim Schmachten zuzugucken, das würde mir jetzt nicht reichen.

Fällt Ihnen ein gutes Beispiel ein?
Nicht nur als passionierter Steve-Carell-Fan definitiv «Crazy.Stupid.Love»

Sind Sie eher eine sentimentale Zuschauerin? Also nahe am Wasser gebaut?
Ich mag das Wort sentimental überhaupt nicht, weil es einen negativen Beigeschmack hat, aber ich bin eine sehr emotionale Zuschauerin, ja. IM Wasser gebaut, quasi. Auch bei meinen eigenen Filmen. Bei «Keinohrhasen» gibt es Szenen, die hauen mich jedes Mal wieder um, wenn ich sie irgendwo sehe.

Wie? Sie weinen bei Ihren eigenen Filmen?
So geht doch Kino. Wenn eine Szene wahrhaftig und stimmig gespielt ist, nutzt sich die berührende Emotion – im Gegensatz zu einem Lacher, der ja über das Überraschungsmoment funktioniert – beim mehrmaligen Sehen nicht zwingend ab. Wenn mich eine Geschichte packt und ich als Zuschauerin mittendrin bin, ist es egal, ob ich nun mich weinen sehe oder jemand anderen, ich folge der emotionalen Reise der Figuren. 

Das heisst, es kann passieren, dass Sie beim Zappen schluchzend bei einem Ihrer Filme hängen bleiben?
Naja, da ich kaum je den Fernseher anschalte und somit auch nicht zappe, ist mir das noch nie passiert. Selbst wenn ich allein in einem Hotelzimmer hocke, käme es mir nicht in den Sinn, den Fernseher anzumachen. Ich erlebe ehrlich gesagt so viele innere Reisen, dass mir Fernsehen oft schlicht zu viel wäre. Ich wüsste nicht, welches Programm da mithalten könnte, ha!

Was beschäftigt Sie denn so?
Och, so ganz Grundsätzliches. Das Leben. Begegnungen. Die Welt mit ihren Abgründen und ihrer Schönheit.

Diane Keaton sagte mir mal im Interview, dass sie ein Fan von Filmküssen sei. Weil sie sich wie Seitensprünge anfühlen, ohne dass man sich damit eine Schuld auflädt. Man küsst so quasi für die Kunst. Einverstanden?
Haha, das wäre dann das Best-Case-Szenario. Meine Erfahrung ist aber, dass die Wahrscheinlichkeit, dass jemand kommt, bei dem sich bei mir das Verlangen regt, ihn a) überhaupt küssen zu wollen und dann noch b) auf einem Filmset vor fünfzig Leuten, bei schätzungsweise 0.03 Prozent liegt. Bleiben 99.97 Prozent Worst-Case-Szenario. Nämlich einen einigermassen Fremden für Geld küssen, während viele andere einigermassen Fremde peinlich berührt zuschauen. Also ich finde, es gibt gute Gründe, dass Küssen etwas ist, was man nicht vor einer ganzen Filmcrew tun möchte. Aber vielleicht kommt das noch mit dem Alter …

Sie sind Schauspielerin und somit Grenzgängerin zwischen den Realitäten. Liegt für Sie darin ein Reiz Ihres Berufes: Etwas auszuleben, was Sie nicht sind?
Nö. Ich bin nicht die passionierte Vollblut- Schauspielerin, der ein Teil Ihres Lebens amputiert würde, könnte sie ihren Beruf nicht ausüben. Wenn Sie mich fragen, wie ich mich selber wahrnehme, berufsmässig, wäre mein erster Gedanke auch überhaupt nicht Schauspielerin. Schauspielerei als transzendentales Prinzip, das habe ich auch erlebt und ich verstehe den Reiz, den es ausüben kann, aber ich lebe alle Sachen lieber in Wirklichkeit aus. Um zu Ihrer Frage zurückzukommen: Mich interessiert an meinem Beruf nicht in erster Linie die Verwandlung, sondern der kreative Prozess, die Zusammenarbeit mit interessanten Menschen. Ich suche mir ja auch nur immer die Rollen aus, von denen ich denke, dass ich sie gut spielen kann.

Weil Sie sich gewisse Rollen nicht zutrauen?
Nein, weil ich einfach auch wahnsinnig gern etwas anderes mache, als Filme zu drehen.

Was denn?
Ich denke gern über gesellschaftspolitische Zusammenhänge nach, arbeite an meinen Beziehungen, habe gern frische Luft um die Nase und so viel Erde wie möglich unter den Sohlen und den Fingernägeln.

Häuschen auf dem Land?
Sagen wir es so: Ich komme meinem Ziel, nur noch 25 Prozent meiner Zeit in Berlin zu verbringen, immer näher.

«FÜR MICH WAR DER
MOMENT, IN DEM ICH
REALISIERTE, DASS ICH
BERÜHMT GEWORDEN
WAR, EIN CRASHKURS IN
SACHEN UNABHÄNGIGKEIT»
 

In Deutschland sind Sie nicht nur eine sehr berühmte, sondern auch eine sehr beliebte Schauspielerin.
Gibts da eine Art Barometer, mit dem man das messen kann?

Ja. Gemäss Umfragen schwimmen Sie obenauf.
Dann lassen wir das mal so stehen!

Muss man sich gegen so viel Sympathie und Liebe auch abgrenzen?
Total. Für mich war der Moment, in dem ich realisierte, dass ich berühmt geworden war, ein Crashkurs in Sachen Unabhängigkeit. Früher konnte ich mich schlecht abgrenzen, weil ich kein Arschloch sein wollte. Nach «Keinohrhasen» wurde das Verlangen sehr vieler Leute, sich mit mir verbinden zu wollen, plötzlich so gross, dass ich mir eine zweite Haut zulegen musste. Am Anfang aus Gründen der Hilflosigkeit auf die etwas aggressivere Art, mit der Zeit dann immer entspannter. Ich glaube, das funktioniert heute nur deshalb ganz gut, weil ich auf den plötzlichen Ruhm reagiert habe wie auf eine geladene Pistole am Kopf. Ich musste lernen, mich zur Wehr zu setzen, wenn wildfremde Leute teils auch auf übergriffige Art versuchten, über mich zu verfügen, selbst wenn ich mich gerade nett mit jemand anderem unterhielt – auch auf die Gefahr hin, dass gewisse Menschen dann denken, ich sei ein Idiot. Heute ist mir dadurch tatsächlich sehr viel egaler, wie ich auf andere wirke.

Ein schöner dramaturgischer Faden in «Nordwind» ist, dass Emmi und Leo bis zum Schluss nicht wissen, wie der andere aussieht. Man könnte sagen: Liebe entsteht im Herzen. Aber wir wissen, dass der perfekte Körper eine gesellschaftliche Obsession ist. Wie erleben Sie das als Schauspielerin, die ja Sympathieträgerin und Projektionsfläche sein muss?
Mit 16 machte ich mal bei einem Modelcasting mit. Ich wurde von Kopf bis Fuss vermessen, dann sagte man mir: «Bei den Hüften müssen drei Zentimeter weg.» Ich: «Wie? Abnehmen?» Ausserdem herrschte eine sehr kühle, unverbindliche Atmosphäre, an der ich keine Freude hatte. Damit war mir die Lust aufs Modeln vergangen. Weil ich gleich gemerkt hatte, dass mir das keinen Spass machen würde. Ich glaube, auch meine Taktik im Filmgeschäft war immer, Orte zu meiden, an denen ich mich nicht wohlfühlte. Und wenn es mal komisch wurde, reichte es, kurz zu sagen: «Hey Leute, das ist jetzt nicht euer Ernst, oder?»

Das heisst, Sie waren nie versucht, sich dem Druck nach Perfektion zu beugen? Immerhin schauen Ihnen da ganz viele Leute auf der Leinwand zu.
Doch, natürlich kenne auch ich das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Aber diesem Gefühl lagen keine negativen persönlichen Erfahrungen zugrunde, kein Druck von oben, sondern eine gesellschaftliche Behauptung, bei der alle mitmachen, man selbst auch, ohne sie zu hinterfragen. Ich habe zum Beispiel kleine Brüste. Eine Zeitlang war es völlig normal, dass ich am Dreh diese Koteletts vorne reingeschoben bekam. Bis ich mich fragte: Moment mal, können wir das nicht lassen? Das Thema war sofort vom Tisch. Und keiner hat gemeckert: «Die Nora weigert sich, 90/60/90 durchzuspielen.» Kurz: Ich habe vieles mitgemacht, aber nicht, weil Druck auf mich ausgeübt worden war, sondern weil ich glaubte, dass ich das so möchte, oder weil man es von mir erwartete. Eine Art vorauseilender Gehorsam. Als mir das bewusst wurde und ich es geändert habe, bin ich nie auf Hindernisse gestossen.

Nicht jeder Mensch ist mit Ihrem Selbstvertrauen gesegnet. Body Shaming, Selbstoptimierung, Schönheitswahn … das sind doch brennende Themen.
Das Problem ist real, aber die Lösung liegt in unseren eigenen Händen. Was ich sagen will: Es gibt keine Strippenzieher, die uns vorschreiben, wie wir sein müssen. Und Selbstvertrauen kann man lernen. Genauso trainieren, durch ständige Wiederholungen stärken – wie Muskelpartien. Die Entscheidung, welchen Weg ich beschreiten möchte, den der körperlichen Optimierung oder den der mentalen Stärkung, bleibt jedem selbst überlassen. Der Schönheitswahn ist wie das Auspuffrohr von einem Auto. Was dort rauskommt, ist bekanntlich ungesund, also steh ich weg vom Auspuffrohr. Natürlich behaupten gewisse Frauenzeitschriften viel Quatsch. Und natürlich steht da auch ein kapitalistisches System dahinter, das uns Produkte verkaufen will. Aber es zwingt uns niemand, all das zu lesen, zu kaufen und mitzumachen. Wenn alle sagen: Sorry, ohne mich, dann ändert sich auch das System.

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