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Kind und Kindes Kind: Schwangere Teenager

Body & Soul

Kind und Kindes Kind: Schwangere Teenager

  • Text: Antje Joel; Illustration: Rahel Nicole Eisenring

Jetzt auch noch die Tochter: Warum werden in meiner Familie alle im Teenageralter schwanger?, fragt sich unsere Autorin. Liegt es an den Genen, oder sind wir alle so doof?

Nüchtern betrachtet ist es zum Heulen. Meine Tochter, 19 Jahre alt, klug, schön, gerade die Matura abgeschlossen, mit dem Plan, Kunst zu studieren oder Polizistin, Zollbeamtin oder Model zu werden, so genau wusste sie das nicht, auf jeden Fall aber mit mehr als genug Potenzial für alles, ist seit sechs Wochen selbst erst mal Mutter. Erst mal hauptsächlich im Sinn von: vor allem anderen. Erst mal – wie lange das dauern wird, weiss meine Tochter nicht. Es entbehrt ihrer 19-jährigen Vorstellungskraft. Leider. Vielleicht ja auch: Gott sei Dank.

Sie wird ihre Tocher ohne Vater grossziehen

Gott sei Dank vielleicht auch, dass sie noch kaum einen Schimmer hat, wie viel so ein Kind seine Mutter über die Jahre kostet. An Geld, Zeit. An Energie. Vor allem auch, wenn der Vater, 18 Jahre, seine Zeit und ein geradezu überwältigendes Ausmass an Energie früh, noch vor der Geburt des Kindes, in das Umgehen von Verantwortung investiert. Immerhin hat sie verstanden, dass an dem Mann festzuhalten sie noch mehr Zeit, Geld und unsäglich viel mehr Energie kosten würde. Darum zieht sie ihre Tochter ohne ihn gross.

Während ihre drei Jahre ältere Schwester auf Weltreise ist, ihr 26-jähriger Bruder für sechs Monate Südamerika spart, ihre Freunde in die Uni, ins Kino, in Diskotheken gehen, hat meine 19-Jährige ihre Zukunft, gesellschaftlich und beruflich, «erst mal» auf Eis gelegt. Ist festgenagelt daheim. Wenn sie das Ausmass zuvor hätte überblicken können, wenn sie, sagen wir, einen Film über die ihr bevorstehenden zwanzig Jahre hätte sehen können, wäre sie schwanger geworden? Hätte sie nicht vielmehr alles daran gesetzt, eine so frühe Schwangerschaft zu verhindern?

Ein Kinderspiel

Meine Tochter. Findet das alles nicht schlimm. Sagt: «Ist doch ein Kinderspiel!» Was Wunder, es sind ja gerade mal sechs Wochen. Und wenn ich doch mal laut staune und frage, was es ihr möglich macht, so leger zu empfinden, dann sagt sie mit einer so rührenden wie idiotischen Überzeugung, wie sie wohl nur eine 19-Jährige fertig bringt: «Es fällt mir leicht, weil ich meine Tochter liebe.» Und ich denke: Na, schönen Dank! Denn ich liebe meine Tochter auch. Und ich liebe auch ihre Tochter, die meine Enkelin ist. Und doch denke ich: Es ist zum Heulen. Trotz aller Liebe. Ich weiss, wovon ich rede. Mit 46. Als ich so alt war wie meine Tochter, war ich rührend idiotisch.

Die Geschichte wiederholt sich

Ich wurde Mutter mit 18. Eine Woche zuvor hatte ich geheiratet. Mit 20 bekam ich mein zweites Kind. Mit 22 war ich geschieden. Der Mann über alle Berge. Meine Mutter fand das sicher zum Heulen. Auch wenn sie es so nicht sagte. Sie sagte: «Mein Gott, bist du doof!» Mit Ausrufzeichen. Das sagt die Richtige!, dachte ich. Auch mit Ausrufzeichen. Meine Mutter nämlich: Gebar mich mit 19. Unverheiratet. Der Mann floh schon vor meiner Geburt über alle Berge. Wer von uns die Doofere war, war gar nicht zu entscheiden. Es scheint unser die Generationen übergreifendes Familientrauma: mit 18, spätestens 19 mehr oder weniger absichtlich schwanger werden. Von erbärmlichen, schnell über alle Berge fliehenden Kerlen.

Wenn ich mir etwas für meine Töchter gewünscht hatte, dann, dass sie wenigstens diesen Teil meiner Biografie nicht wiederholen. Meine Mutter, als sie mit mir schwanger war, wünschte sich ihrerseits einen Bub. Einem Buben, so ihre Rechnung, wäre es gar nicht möglich, diesen Teil ihrer Biografie zu wiederholen. In sich selbst, in ihre Fähigkeit, eine Wiederholung ihrer Geschichte zu verhindern, hatte sie offenbar wenig Vertrauen. Versucht hat sie es trotzdem, auf ihre Art. Sie fand früh einen anderen Mann, er heiratete sie, adoptierte mich. Vater, Mutter, Kind, 3-Zimmer-Eigentumswohnung. Dass ich mich in dem Arrangement nie zuhause fühlte, verstanden wir alle drei nicht. Mit 16 zog ich aus. Zu einem zehn Jahre älteren Mann, schön und brutal. Dass es zwei Jahre brauchte, bis ich schwanger wurde von ihm, lag nur daran, dass die Beziehung so oft zerbrach. Meine eigenen Töchter, natürlich, würden das nicht noch einmal nachleben. Ich würde alles besser machen als meine Mutter. Ich würde meinen Töchtern eine Heimat geben. Selbstbewusstsein. Ihnen gegenüber offen, ohne Bitterkeit, die eigenen Fehler bekennen. Und natürlich – über allem anderen – sie bedingungslos lieben. Habe ich in der Ausführung des Programms versagt?

In Psychologie und Epigenetik gibt es den Begriff Generationsübergreifendes Trauma. Die Kinder und Kindeskinder durchleben und übertragen den Schrecken ihrer Eltern, Grosseltern, Urgrosseltern. Weil der Schrecken in seiner Ursprungsgeneration unbewältigt blieb. Mit Sicherheit übertragen sie ihn durch ihr fortgesetzt traumatisiertes Verhalten. Möglicherweise auch durch entsprechend veränderte Gene. Gleichgültige, misshandelnde Männer und frühe Schwangerschaft nicht als freier, wenngleich dummer Wille. Sondern als Teil der Erbmasse. Als ein Familienkrebs der Gefühle. Ich las das, auf der Suche nach Antwort, und fühlte mich nicht erleichtert.

«Du bist schwanger.» Sie sagte: «Nein!»

Mit 18 präsentierte meine Tochter diesen typischen Boyfriend, dessen Anziehungskraft vor allem darin besteht, dass nur die jeweilige Liebste in der Lage ist, seinen guten Kern zu erkennen. Ich hatte ein beklemmendes Déjà-vu und war alarmiert. Ich sprach meine Tochter wiederholt auf Verhütung an. Ich sprach ohne Weinerlichkeit über meine Fehler. Sie verdrehte die Augen und stöhnte: «Mein Gott, ich bin 18. Und zudem nicht so doof wie du!» Auf Letzteres hätte ich mich gern verlassen.

Im Frühjahr wurde ihr Bauch dicker. Aber keinesfalls so dick, dass ihre Schwangerschaft eindeutig gewesen wäre. Dass ich sie trotzdem früh fragte, Ende April, Anfang Mai, war eher meiner Angst zuzuschreiben als der Erkenntnis. Sie sagte: «Nein!» Ich dachte: Gott sei Dank! Und auch: Du lügst! Schwer zu sagen, welches Gefühl die Oberhand hatte.

Sie passte weiter in ihre Jeans. Ich riss mich zusammen, nicht auf ihren Bauch zu starren. An manchem Tag fand ich ihn zweifellos schwanger. An anderen glaubte ich mich paranoid. Im Juni sagte ich: «Du bist schwanger.» Sie sagte: «Nein!» Ich schlief jetzt schlecht. Wälzte mich mit Bildern von meiner Tochter. Wie sie, noch keine zwanzig, schon all die Hoffnungslosigkeit einer aufgegebenen Zukunft lebte. Déjà-vu! Ich rang nach Luft.

Schwanger

Im Juli überraschte ihr Bruder sie nachts in der Küche, in Pyjamahose und Trägertop. Der Bruder sagte: «Kein Zweifel!» Er sagte es zu mir. Ich sprach mit einem befreundeten Psychologen. Spezialist im Umgang mit schwierigen Jugendlichen, was immer das heissen mag. «Was kann ich tun?» Der Spezialist sagte: «Nichts! Sie ist erwachsen. Du musst ihre Entscheidung respektieren. Wenn sie ihre Schwangerschaft nicht bekennen will, darfst du nicht weiter mit Fragen in sie dringen.» Ausserdem, sagte er noch, du weisst ja nicht sicher, dass sie schwanger ist! Das ist es, was mich wahnsinnig macht, sagte ich: «Diese verflixte unausgesprochene Gewissheit.» Auch das unser Familientrauma.

Meine Tochter sah müder und müder aus. Eines Nachmittags im August, als sie mir im Trägertop gegenüberstand, hielt ich meine Folgsamkeit nicht mehr aus: «Du bist schwanger!» Sie sagte: «Nein!» Ich pfiff auf den Spezialisten. «Liebe, wie lange willst du das Spiel noch spielen.» Sie lief aus dem Zimmer. Ich wartete, zehn Minuten. Bis ich meine Knie, Stimme und meine Absichten unter Kontrolle hatte. Ging dann mit erzwungener Ruhe hinter ihr her. «Können wir reden?» Ihre Abwehr war nur noch dürftig. Nicht mehr als das Überbleibsel einer fest einstudierten und über Monate wiederholten Reaktion. Sie weinte stumm. Ich fragte nichts mehr. Alles, was ich noch hätte wissen wollen, war: Warum tat sie sich das an? Tage später, als wir zusammen im Auto fuhren, sagte ich: «Du musst doch fünf Monate durch die Hölle gegangen sein.» Sie brach erneut in Tränen aus.

Etwas nach dem man greifen kann

Meine Mutter hatte mich bis zur Stunde meiner Geburt geheim gehalten. Das heisst: Alle wussten, dass sie schwanger war. Die Eltern, die Schwestern, natürlich. Nur dass meine Mutter, auf ihr Schwangersein angesprochen, beharrlich schwieg. Sagte nicht Ja, nicht Nein, sagte nichts. Das weiss ich nicht von ihr. Meine Tante hat es mir erzählt. Ich hatte meiner Mutter gleich nach dem Schwangerschaftstest vom Ergebnis erzählt. Mit einem Trotz, den ich nicht zu begründen weiss. Ich war mit Absicht schwanger geworden. Warum? Ich weiss es nicht. Was ich weiss: Ich hatte im Jahr davor die Schule abgeschlossen. Und keinen Begriff von Zukunft. Keine Vorstellung von meinen Talenten. Oder auch nur Wünschen. Ich fühlte mich im freien Fall. Ich suchte nach etwas, das ich greifen konnte.

Meine Mutter weinte. Ich bin nicht sicher, um wen von uns beiden. War ich damals ihre Absicht gewesen? War ich ein Versehen? Über nichts davon konnten wir oder können wir reden. «Sieh wenigstens zu, dass der Kerl dich heiratet!» Mehr hatte sie mir nicht zu sagen. Dass ich das schaffte, galt ihr, der schwanger Verlassenen, schon als Fortschritt. Ich wiederholte all diese Fehler – blödsinnig schwanger werden, heiraten – vier Jahre später mit einem zweiten Mann. Am Ende zog ich vier Kinder allein gross. Meine Mutter, von mir nicht um Unterstützung gebeten, sagte: «Das hast du dir allein eingebrockt, das löffelst du allein aus!» Der Satz schien mir lange nicht mehr als recht.

Im siebten Monat

In welchem Monat war meine Tochter? Sie hatte keine Ahnung. «Fühlst du Bewegungen?» Seit etwa vier Wochen. Ich schätzte sie auf die 24. Woche. 25., ertastete der Hausarzt. Der erste Ultraschall, zehn Tage später, zeigte: Sie war in der 30. Woche. Im siebten Monat! Kaum zu glauben. Weil nicht zu sehen. Und für jeden denkbaren Eingriff viel, viel zu spät. Warum nur hatte sie nichts gesagt? Sie sagt: Aus Furcht. Scham. Weil sie gehofft hatte, wenn sie nichts sagt, ist es nicht wahr. Dann geht es von ganz allein wieder weg. Irgendwie. Wie oft hatten wir gemeinsam über solche Teenager und ihre heimlichen Schwangerschaften gelacht. Und uns gefragt: «Wie doof muss man sein?» Meine Tochter hat einen IQ von 130. Was hilft der gegen die Idiotie oder auch einen Krebs der Gefühle?

Wir sprachen über Adoption, um auch diese Unmöglichkeit wenigstens einmal erwogen zu haben. Was blieb mir mehr, als ihr zu raten: «Was immer du planst: Heirate ihn nicht! Im besten Fall ziehst du nicht mal mit ihm zusammen. Du brauchst deine Kraft für dein Kind.» Und das keinesfalls leichtfertig gemachte Angebot: «Ich bin für dich da.» Einer Freundin, die fragte: «Hättest du lieber, dass du noch einmal ein Kind bekommst oder eben jetzt deine Tochter?», antwortete ich: «Weder noch!» Sie rief: «Armes Baby!» Als schliesse das Bewusstsein für die Last der Verantwortung ihre Übernahme und damit die Liebe aus.

Wird alles besser?

Auch meine Kinder schimpften. Über meine scheinbare Nachgiebigkeit. Wie, fragten sie, solle ihre Schwester aus ihrem Fehler lernen? «Wenn du ihr aus dem Mist, in den sie sich da reinmanövriert hat, raushilfst!» Sicher wusste ich eins: dass ich nicht auch noch diesen Part meiner mütterlichen Biografie nachleben wollte. Damit meine Tochter nicht auch noch diesen Part ihrer mütterlichen Biografie leben musste. Ich wollte, dass sie eine Wahl hatte. Ich wusste noch nichts von den Genen. Und wenn, hätte das was geändert? Hätte es die Fortsetzung auch von Gnadenlosigkeit entschuldbar gemacht?

Meine Tochter brauchte nicht mehr als mein Angebot, um ihre Wahl zu treffen. Sie ist jetzt selbst Mutter einer Tochter. Ohne Mann. Alleinstehend ist sie nicht. Vorsorge, Geburtsvorbereitung, Mutter- und Babyeinkäufe, wir rasten gemeinsam durch die zwei Monate Schwangerschaft, die uns als Familie blieben. Das ist eine verflixt kurze Zeit für die Entwicklung vom verzweifelten Teenager zur ziemlich glücklich Schwangeren, geschweige denn zur Mutter. Es ist auch verflixt knapp für einen Bruder und eine Schwester, um Onkel und Tante zu werden. Na ja, und dass ich so plötzlich Oma bin, lässt mich fühlen, als sei ich in diesen zwei Monaten gut hundert Jahre gealtert. Einerseits. Andererseits fühlen wir alle uns überraschend frischer. Ich halte das schon mal für eine gute Wendung in unserer Geschichte.

Na, und ausserdem weiss meine Tochter, natürlich, wie sie eine Wiederholung des alten Traumas durch ihre Tochter verhindert. Sie wird alles besser machen als ihre und meine Mutter. Kinderspiel. Oder nicht?