Familie
«Ich bereue, nicht mehr Kinder bekommen zu haben»
- Text: Marie Hettich, Jacqueline Krause-Blouin
- Bild: Sara Merz; Collage: annabelle
In unserer Rubrik «The Mamas and the Papas» kommen Eltern aus der Schweiz zu Wort: Ein ehrlicher Fragebogen über Liebe, Erschöpfung, politische Missstände und Parenting-Hacks. Diesmal mit Alexandra, Mutter eines Kindes.
Vorname: Alexandra
Alter: 45
Beruf: Orakel und Autorin, unter anderem für annabelle
Kinder: Ein Sohn (12)
Familienstruktur: Kosmos Vater und ich erziehen ihn seit sechs Jahren getrennt; wir wohnen 500 Meter Luftlinie auseinander. Kosmo ist von Montag bis Donnerstagmorgen bei Papa, den Rest bei mir – wobei wir das Ganze sehr flexibel und möglichst ohne Dogma regeln, damit möglichst viele Bedürfnisse abgedeckt sind. Die Ferien verbringen Kosmo und ich gemeinsam. Papa lernt dafür mit Kosmo für die Gymiprüfung und kocht 20 Mal besser.
Ein Gerücht über Eltern, das nicht stimmt: Dass Eltern bessere Menschen sind
Mein Lifesaver Nummer eins, immer wieder: Masturbation und Miley Cyrus
Eine Sache, die mir in der Erziehung ganz besonders wichtig ist: Das richtige Mass an Widerstand gegen bestehende Systeme zu finden und ein möglichst authentisches Rollenvorbild zu sein. Ich war noch nie der Typ, der zum Lachen oder Weinen in den Keller geht.
Das gönne ich mir, seit ich Mutter bin: Ich hab mir schon immer gegönnt. Das ist eine meiner Kernkompetenzen. Hier wäre eher die Frage, was ich mir NICHT mehr gönne.
Etwas, worüber wir Eltern ehrlicher reden sollten: Über Mental Health. Ich habe meinen Vater durch Suizid verloren und weiss, was es heisst, wenn Familiensysteme plötzlich tiefe, schwarze Löcher haben und niemand darüber spricht.
So erschöpft bin ich gerade von 0 bis 10: 8. Das liegt aber wirklich nicht an Kosmo – der ist seit einer Woche Skifahren.
Das letzte Mal ausgeschlafen habe ich: Heute. Das grosse Geheimnis, über das wir viel zu wenig sprechen, ist, dass bei getrennten Erziehungsmodellen sehr viel Freiraum entsteht.
«Ich hätte auch 12 Jahre später wahnsinnig gerne keinen Kaiserschnitt gehabt»
Am alleranstrengendsten im Alltag mit Kind finde ich: Für Essen zu sorgen. Also nicht nur irgendwas Essbares auf den Tisch zu zaubern – auch die Tatsache, dass einfach genug Geld in der Orakel-Kasse sein muss. Ich denke gerade über einen Only-Fans-Account nach!
Ein Teil von mir, den ich vermisse: Das Ravemädchen, dem egal war, wo oben und unten ist. Ihre Sorglosigkeit. Und ihr Bindegewebe.
Das Witzigste an meinem Kind: Dass er tatsächlich meinen Humor und Sprachwitz hat. «Instagram ist wie TikTok, nur zwei Wochen später» hat er letzte Woche gesagt – der hätte von mir sein können.
Eine Anschaffung, die für die Katz war: Dieses komische Verhütungscomputergerät, das ich damals benutzt habe
Eine Anschaffung, die mir das Leben gerettet hat: Der Airfryer
Das beste Buch für Eltern: «Mama kann nicht mehr» von Julia Knörnschild
Der beste Podcast für Eltern: «Kosmos & Chaos» – mein eigener!
Mein Lieblingsresti mit Kind: McDonalds. Weil es so verboten ist. Und keiner laut sagt, dass Pommes eben schon geil sind, weil alle so woke und so korrekt sind und angeblich immer nur Avocado und Chiapudding essen. Beides wächst übrigens auch nicht hier. Wir können und dürfen nicht immer alles nur richtig machen.
Ein schnelles Gericht, das alle lieben: Rösti mit dicken Spiegeleiern. Kann Kosmo mittlerweile alleine kochen. Und einkaufen.
Etwas, das ich als Mutter rückblickend anders machen würde: Ich hätte auch 12 Jahre später wahnsinnig gerne keinen Kaiserschnitt gehabt.
«Kinder sind das Beste, was man mit seiner Zeit, Energie und seinem Geld anstellen kann!»
Mein Ventil: Früher Suff und Rave. Seit über 12 Jahren bin ich mit minimalen Ausnahmen nüchtern. Die beste Entscheidung meines Lebens.
Unterschätzt habe ich: Den Druck, den die Verantwortung auch mit sich bringt. Und die schreiende Einsamkeit, wenn die Monster mal wieder grösser sind als der Mut, sie zu köpfen. Und die Nächte lang und schlaflos. Und das Kind friedlich schlafend neben einem liegt.
Das nervt mich an anderen Eltern am meisten: Viele tun immer so, als wäre alles easy. Ist es nicht.
Eine Sache, die sich familienpolitisch in der Schweiz ganz dringend ändern muss: Alle Reproduktionsgesetze, darunter das Abtreibungsgesetz! Es muss von allen Seiten immer absolut okay und vor allem legal sein, keine Kinder zu wollen. Und genau so okay sein, alleine oder innerhalb einer gleichgeschlechtlichen Beziehung Kinder zu haben.
Das bereue ich als Mutter: Nicht mehr Kinder bekommen zu haben. Kinder sind das Beste, was man mit seiner Zeit, Energie und seinem Geld anstellen kann!
Eine Sache, die ich über mich selbst gelernt habe, seit ich Mutter bin: Wie resilient ich bin und was für ein Top Role Model
Der beste Tipp für alle frischgebackenen Mütter: Wirklich sechs Wochen Wochenbett und alle Hilfe (inklusive der himmlischen) schon vorher planen und organisieren. Auf keinen Fall vorher aufstehen und sofort in alte Performance-Muster fallen – das gibt schwere postnatale Depressionen. Ich spreche aus Erfahrung. «Mothering the Mother» ist da vermutlich ein Geheimnis zum Glück.
Eine Sache, die sich in der Arbeitswelt aus Elternsicht dringend ändern muss: Einfach mehr Rücksicht von allen Seiten für alle Seiten. Es kann auch nicht sein, dass nur Eltern Rücksicht erfahren.
Drei Hacks für gelungene Familienferien: Den Mut haben, alleine zu verreisen. Die Playstation mitnehmen. Das bessere Hotel buchen.
Ein guter Spartipp für Familien: Sich für ein einziges Abo entscheiden – und nicht für Disney, Netflix, Amazon und den Fortnite Battlepass zahlen. Es ist Irrsinn, was unser digitales Leben kostet, wenn man mal genau hinschaut.
Etwas, das ich meinen Eltern gerne sagen würde, seit ich selbst Mutter bin: DANKE für alles.
Mein schlauster Parenting-Hack: Einfach weitermachen. Immer wieder aufstehen. Und ab und zu auch einfach mal liegenbleiben.
Das bringt mich als Mutter sofort zum Weinen: Die Tatsache, dass jeder Schritt der Kinder auch ein Schritt von mir weg ist. Und singende Kinder. Gibt sofort ein Tränenmeer.
Das beste Reiseziel für Familys: Kosmo und ich lieben Bad Ragaz und leeren regelmassig unsere Sparstrümpfe für ein paar Tage im Grand Resort. Es ist meganah und das Thermalwasser heilt einfach alles in kürzester Zeit.
Am besten geht es mir, wenn … alle satt und müde sind. Typisch Krebs.
Alles wäre so viel einfacher, wenn … die Gymiprüfung einfach bestanden wäre.
Komplett ans Limit komme ich, wenn … alles gleichzeitig passiert, Texte zu spät sind, Vollmond und PMS am Start sind. Also alle vier Wochen.
Eltern in der Schweiz … sollten sich auch ihrer wahnsinnigen Privilegien bewusst sein!!!
Vereinbarkeit … ist eine Illusion. Und die Work-Life-Balance ebenso.
Erwartungen an Mütter … sind einfach ungerecht.
Ferien mit Kind … sind Lifetime-Memories.
Wenn Geld keine Rolle spielen würde, würde ich … hoffentlich alles genau so machen. Und ein Dorf am Meer sanieren, eine geile Schule bauen und meine 2000 Besten einladen.
Leute, die Kinder nicht mögen … haben alles Recht dazu. Ich mag auch keine Leute, die Kinder nicht mögen!
Hier findet ihr alle Folgen «The Mamas and the Papas»