Liebe & Sex
Hope Woodard ist «boysober»: «Ich möchte einen gesünderen Umgang mit Sex und Dating finden»
- Text: Jacqueline Krause-Blouin
- Bild: Kelsey Cherry
Der Begriff «boysober» ist derzeit in aller Munde. Die Comedian Hope Woodard hat damit auf Tiktok einen Trend unter heterosexuellen jungen Frauen losgetreten: Sie ist «boysober», also «jungsabstinent». Worum es geht und was das Ganze mit mentaler Gesundheit zu tun hat, verrät die 27-jährige New Yorkerin im Interview.
annabelle: Hope Woodard, was hat Sie motiviert, boysober zu werden – und was ist das Ziel dieser Bewegung?
Hope Woodard: Ich war des Datings so müde und hatte genug von Situationships. Es gab diesen Moment, als ich meine Grossmutter besuchte und mich kaum auf sie konzentrieren konnte, weil ich die ganz Zeit darüber nachdachte, wann dieser eine Typ mir endlich zurückschreiben würde. Meine Grossmutter hat Demenz und ich sah sie auf ihrem Handy herumtippen und fragte, wem sie denn SMS schreibe. Sie sagte, sie schreibe meinem Grossvater, aber er antworte einfach nicht. Mein Grossvater ist seit zehn Jahren tot. Oma wurde also im wahrsten Sinne des Wortes geghostet. Da habe ich gemerkt, wie schrecklich diese Situation ist: zwei Frauen, die ständig darauf warten, bis ein Mann sich meldet. Und ich habe mich gefragt, was ich tun kann, um diesen Kreislauf zu durchbrechen.
Also haben Sie entschieden, ganz mit dem Dating aufzuhören?
Ja, ich wollte einen Schlussstrich ziehen und meine ungesunden Muster hinterfragen. Es kann ja nicht sein, dass sich die Gedanken ständig darum drehen, ob man von einem Mann gemocht wird oder nicht. Ich aber war wie besessen von diesen Gedankenspiralen.
«Ich habe meinen Selbstwert daran gemessen, wie sehr Männer mich mochten»
Um sober, also abstinent, zu werden, muss man per Definition erst süchtig sein, oder?
Ja, ich war süchtig nach dieser falschen Validierung von aussen. Ich habe meinen Selbstwert daran gemessen, wie sehr Männer mich mochten. Ich fing dann an, meine vergangenen Beziehungen und mein Sexleben zu hinterfragen, und habe gemerkt, dass mir männliche Aufmerksamkeit extrem wichtig war. Zu wichtig. Es geht mir aktuell darum, Sex und Dating neu zu lernen und mich selbst besser zu verstehen. Dann kann man den Sex haben, mit dem man sich wohlfühlt, der authentisch ist, der sich wie eine selbst gefällte Entscheidung anfühlt. Viel zu oft haben wir Sex, um etwas anderes zu vermeiden: allein zu sein etwa oder sich verletzlich zu machen.
Wie passt boysober in die aktuellen Debatten um mentale Gesundheit?
Es ist die Selbstreflexion, um die es geht. Schauen wir uns an, wie oft uns unsere Beziehungen, Situationships oder wie immer wir es auch nennen wollen, unglücklich machen. Wie oft sich Sex nicht gut anfühlt. Wir sollten uns immer fragen, warum wir gerade Sex haben: Tun wir es, weil es einfacher ist, Ja als Nein zu sagen? Tun wir es, weil wir jemanden auf einer Datingapp gematcht haben und beim dritten Date irgendwie das Gefühl haben, dass wir es dem Gegenüber «schulden»? Tun wir es, weil wir gerade einsam sind? Wir sollten es für uns tun und nur für uns.
«Es geht nicht um eine Challenge, sondern darum, aus alten Mustern auszubrechen»
Wie lange sind Sie schon boysober?
Seit Oktober 2023. Aber Rückfälle sind Teil des Genesungsprozesses (lacht). Ich möchte mindestens ein Jahr lang boysober sein und dann mal sehen. Es wird nicht diesen einen Tag geben, an dem ich sofort wieder ins Datingleben einsteige. Das wäre ja schräg, weil es nicht um eine Challenge geht, sondern darum, aus alten Mustern auszubrechen.
Nicht zu verwechseln also mit Dry January, Veganuary oder anderen Verzicht-Challenges?
Genau, es ist etwas Längerfristiges. Das Ziel ist, sich nachhaltig selbst besser zu verstehen. Nicht sich einmal kurz zu beweisen, dass man abstinent sein kann. Ich habe auch schon mal einen Monat lang keinen Alkohol getrunken, nur um mich am letzten Tag dann besinnungslos zu trinken. Absurd! (lacht) In Korea gibt es die «4B-Bewegung», das sind Frauen, die mit Männern gar nichts mehr zu tun haben wollen, sich komplett zurückziehen und jeglichen Kontakt vermeiden.
Was ist anders an boysober?
Ich will nicht mit Männern brechen, ich möchte nur einen gesünderen Umgang mit Sex und Dating finden. Und wenn ich ganz aufhöre, mit Männern zu interagieren, wie soll ich dann lernen? Das wäre ja eine Resignation, die niemandem hilft. Die Boysober-Bewegung lehnt Männer also nicht ab, ganz im Gegenteil. Ich liebe es, über die Liebe nachzudenken und darüber, wie man besser lieben kann. Ich möchte nur nicht in einer Beziehung enden, die mich nicht erfüllt. Eigentlich ist mein Ziel sogar, irgendwann einen passenden Partner zu finden und eine Familie zu gründen. Aber genau deswegen will ich eine gesunde Basis schaffen, damit ich jemanden ernsthaft kennenlernen kann. Von Herz zu Herz und auch zu meinen Bedingungen.
Wie reagieren die Männer?
Männer zeigen sich viel verletzlicher und prahlen weniger, wenn sie wissen, dass ich sexuell nicht zu haben bin. So haben sich einige Freundschaften entwickelt, von denen ich sicher bin, dass sie nie entstanden wären, wenn wir auch eine sexuelle Beziehung angefangen hätten. Es gibt aber natürlich auch die Männer, die behaupten, dass ich das nur mache, um mich interessanter zu machen, um mich zu zieren. Eine sehr altmodische Ansicht …
Gibt es eigentlich auch girlsober?
Kürzlich hat ein Influencer auf Tiktok gepostet, dass er jetzt girlsober werden will. Also ja, die Bewegung ist nicht sehr gross, aber ich glaube, auch Männer haben Sehnsucht nach tiefgründigeren, bedeutungsvolleren Beziehungen, die frei sind von dem, was uns die Gesellschaft vermeintlich vorschreibt. Schwule Männer fühlen sich ebenfalls sehr angesprochen.
Was ist der Unterschied zwischen dem Zölibat und boysobriety?
Ich mag das Wort Zölibat einfach nicht, es schwingt zu viel Patriarchat und zu viel Religion mit. Ich denke da sofort an Keuschheitsgürtel und Kontrolle. Im Zölibat lebt man, weil man Angst hat, in die Hölle zu kommen, wenn man Sex hat, oder weil der Vater es einem befohlen hat. Im Zölibat soll eine Frau leben, damit sie pur in die Ehe gehen kann – also tut man es für einen Mann. Boysober hingegen ist man für sich selbst.
«In den USA werden uns Frauen nach und nach immer mehr Rechte abgesprochen»
Sie wohnen in New York, kommen aber aus Tennessee, einem Teil des sogenannten Bible Belt. Wie nehmen Sie den Unterschied zwischen Stadt und Land in Sachen Dating wahr?
Nun, New York und L.A. sind nicht Amerika. In den Städten sind wir extrem progressiv, auch im internationalen Vergleich. Aber abgesehen davon ist unser Land sehr traditionalistisch. Frauen warten immer noch darauf, ausgesucht zu werden, alles dreht sich darum, früh zu heiraten, ein Haus zu kaufen und Kinder zu bekommen. Männer wiederum stehen unter Druck, die Versorger sein zu müssen. Da, wo ich herkomme, gehen viele noch als Jungfrau in die Ehe. Es ist immer noch ungewöhnlich, wenn man als Frau über selbstbestimmten Sex spricht. Und wir leben in einem Land, in dem uns Frauen nach und nach immer mehr Rechte abgesprochen werden, die wir für selbstverständlich gehalten haben. Diese Sehnsucht nach Selbstbestimmung in Beziehungen und Sexleben kann man also durchaus in einem politischen Kontext betrachten.