In der neuen SRF-Serie «Seitentriebe» spielt Vera Bommer eine Frau, die versucht, ihre Langzeitbeziehung vor dem Scheitern zu retten. Was sie an der Rolle besonders reizte: Die Echtheit der Geschichte. Und dass sich dadurch viele Zuschauerinnen in ihr wiedererkennen werden.
annabelle.ch: Vera Bommer, Sie spielen in «Seitentriebe» die Figur der Nele, die seit zehn Jahren mit Gianni verheiratet ist. Die Liebe ist noch da, die Leidenschaft aber irgendwie weg. Können Sie sich in diese Situation hineinversetzen?
Vera Bommer: Ich bin seit über fünf Jahren in einer Beziehung. Da wir sehr viel zusammen erlebt haben, fühlt es sich aber an, als würden wir uns seit zehn Jahren kennen. Es gab also schon Situationen, in die ich mich hineinversetzen konnte.
Zum Beispiel?
Ich kenne das Gefühl, dass man zusammen in einem Raum ist, sich aber im Moment einfach nichts zu sagen hat. Das ist ja eigentlich auch nichts Schlimmes, aber ich erinnere mich, dass es mir als Kind immer Eindruck gemacht hat, wenn ich im Restaurant ein älteres Paar sah, dass sich beim Essen anschwieg. In solchen Momenten denke ich noch heute: Hoffentlich werden wir nicht so! Ausserdem kenne ich die Angst, wenn man denkt, man kommt gerade nicht weiter im Leben. Allerdings war bei mir dieses Gefühl immer nur über kurze Zeit präsent, nicht so wie bei Nele.
Nele steckt eher in einer Langzeitkrise.
Nele steckt fest, sie ist an einem Punkt im Leben angekommen, an dem es nicht weitergeht, weder in ihrer zehn-jährigen Beziehung, noch als freischaffende Künstlerin. Sie ist aber nicht ein Charakter, der auf so eine Situation sehr aktiv reagiert und das Problem anpackt, es wabert mehr so in ihr weiter. Sie schlägt zwar eine Paartherapie vor, hat aber auch Angst davor, dass sich etwas ändert.
Was hat Sie an dieser Rolle gereizt?
Zum einen die Tatsache, dass Nele mir in gewisser Weise sehr nah und in anderen Bereichen sehr weit weg ist. Es gab Szenen, in denen Probleme behandelt wurden, die ich gut kenne, die wohl jeder kennt, der länger in einer Beziehung ist – die Art wie Nele damit umgeht, entspricht aber nicht mir. Zum anderen fand ich es spannend, über so lange Zeit eine Figur zu begleiten, das konnte ich bis anhin im Film nicht tun.
Serienschöpferin Güzin Kar erklärte gegenüber der «NZZ am Sonntag» im Dezember, dass es gar nicht so einfach war, die weibliche Hauptrolle zu besetzen, weil viele Schauspielerinnen sich zwar gerne in hässlichen Rollen à la Charlize Theron in «Monster» sehen, gleichzeitig aber oft Mühe hätten, die Hässlichkeit des Alltags darzustellen, «weil ihnen das oft zu nah an eigenen Erfahrungen ist». Das scheint Ihnen aber keine Mühe gemacht zu haben.
Nein, genau das fand ich spannend. Schon als ich das Buch gelesen habe, ist mir dieses Echte an Güzin Kars Geschichte aufgefallen. Sie schafft Momente, in denen man sich wiedererkennt und ich denke, das wird auch dem Publikum so gehen. Gleichzeitig ist es natürlich eine Rolle, die ich spiele, die weit von mir selbst entfernt ist und das zu trennen, fällt mir nicht schwer.
Zuerst «Wilder», dann «Private Banking» und jetzt «Seitentriebe». Das SRF scheint das serielle Erzählen entdeckt zu haben. «Seitentriebe» erinnert an Netflix-Erfolge wie «Love» oder «Easy». Die Frage ist: Funktioniert das auch in der Schweiz?
Ich hoffe, dass es funktioniert, dass die Schweiz dafür bereit ist. Eigentlich sind wir von solchen Serien ja schon ständig umgeben – eben durch Streamingdienste wie Netflix. Diese Art des Erzählens ermöglicht es, vielmehr in die Tiefe zu gehen und hat sehr viel Potenzial, wie ich finde.
Es gibt einige explizite Szenen. Wer Netflix und Co. guckt, ist sich das – eigentlich – gewohnt. Trotzdem machen auch Nacktszenen im «Tatort» noch immer Schlagzeilen. Wird die nackte Haut in der Schweiz polarisieren?
Ich denke schon. Wir haben an den Solothurner Filmtagen vier Folgen gezeigt und die Reaktionen auf die Berichterstattung darüber, waren nicht nur positiv. Soll heissen: Die Leute haben die Folgen noch nicht mal gesehen und sich in den Kommentarspalten schon genervt.
In diesen Kommentarspalten hiess es dann: Das muss ich mit meinen Billag-Beiträgen finanzieren?
Genau. In Zeiten, in denen wir über diese No-Billag-Initiative diskutieren, wird diese bei jeder SRF-Produktion ein Thema. Da ziehe ich aber auch gewisse Medien in die Verantwortung. Wenn in einem Bericht zu einer neuen Serie gleich von Anfang an Stichwörter wie Analsex, Sexunterricht und Seitensprung fallen, wird die Produktion sehr schnell schubladisiert. Dabei geht es um viel mehr als das! Da erwarte ich schon auch ein bisschen mehr Differenzierung.
Trotzdem verwundert es, dass Nacktheit noch so ein Aufreger sein kann.
Das erstaunt mich auch. Aber das ist auch ein Spiegel der Gesellschaft, wenn man mit solchen Themen nur schwer umgehen kann. Anscheinend haben manche Leute in der Schweiz noch immer Mühe, über gewisse Themen offen zu sprechen. Was mich allerdings freut: An den Solothurner Filmtagen war ich mitten im Publikum, als wir die vier ersten Folgen zeigten. Was ich mitnahm von diesen Momenten, war ein warmes Gefühl der Wiedererkennung. Ich denke, es kann uns gelingen, dass die Leute sich in dieser Serie wiederfinden.
Das Ende wird natürlich nicht verraten, aber so viel darf gesagt werden: Es gibt einen Cliffhanger, der nach zweiter Staffel aussieht, oder?
Ja, wir hoffen natürlich auf eine zweite Staffel. Güzin Kar gelingt es, diese Geschichten so ehrlich und treffend zu erzählen und es wäre spannend zu sehen, wie es mit den beiden weitergeht.
Die Schweizer Schauspielerin Vera Bommer (36) spielt in «Seitentriebe» die Hauptfigur der Nele. Sie ist ausserdem in der dritten Spielzeit beim Grazer Schauspielhausensemble engagiert. Deshalb hat sie während der Dreharbeiten zwischen Graz und Zürich gependelt. «Es war wirklich heftig. Ich bin in Graz aufgetreten und dann mit dem Nachtzug zurück nach Zürich ans Set. Das war nur möglich, weil sowohl die Intendantin Iris Laufenberg, als auch Güzin Kar verständnisvoll reagiert haben», sagt sie gegenüber annabelle.ch
Darum geht es in Seitentriebe
Den Rahmen der neuen SRF-Serie bildet die Paartherapie, die Nele und Gianni machen, weil sie merken, dass sie in ihrer Beziehung irgendwie nicht weiterkommen. In den acht unterhaltsamen Folgen versuchen die beiden, eine Lösung für ihr Lustproblem zu suchen. Hilft ein Kind? Oder doch eine offene Beziehung? Oder braucht es am Ende gar eine Trennung? Die Serie erinnert an Netflix-Erfolge wie «Love» und kommt entsprechend tragisch-komisch daher. Die erste Staffel startet am 26. Februar um 20.10 Uhr auf SRF 2.