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Von «Trigger» bis «Gaslighting»: Warum wir mit Therapy Speak bremsen müssen

Gesundheit

Von «Trigger» bis «Gaslighting»: Warum wir mit Therapy Speak bremsen müssen

Begriffe aus der Psychotherapie zu verwenden, ist hip geworden. Co-Leiterin Digital Vanja Kadic fordert in ihrem Kommentar einen sensibleren Umgang mit Therapy Speak.

Psychotherapie finde ich super. Ich spreche gerne über psychische Gesundheit und empfehle, gerne auch ungefragt, allen, die sich eine Therapie leisten können, eine zu machen. De facto finde ich sogar, dass mir mittlerweile eine Gold-Member-Stempelkarte für die Anzahl Male zusteht, in denen ich die Praxis meiner Therapeutin empfohlen habe.

Spätestens seit der Pandemie beobachte ich in meinem erweiterten Umfeld, dass sich der Umgang mit Mental Health komplett normalisiert hat: Sich psychologische Hilfe zu holen, ist in Zeiten der «Multi-Krise», wie Fachpersonen von unserem aktuellen Klima sprechen, fast schon selbstverständlich.

Endlich über Mental Health sprechen

In Zeiten von Klima-Horror, Corona-Nachwehen, Ukraine-Krieg, Inflation und Aliens bleibt einem wohl auch keine andere Wahl als der Blick nach innen – Ängste und Panik-Attacken lassen grüssen: Laut einer Umfrage der Stiftung Pro Mente Sana vom vergangenen Jahr gaben zwei von fünf Menschen in der Schweiz an, stark psychisch belastet zu sein. Höchste Zeit also, dass wir endlich vermehrt über unsere psychische Gesundheit sprechen!

Doch mit der zunehmenden Salonfähigkeit von Psychotherapie – und sicher auch dank Social Media – hat sich in den vergangenen Jahren unsere Sprache verändert: Begriffe wie «trauma response», «trigger», «toxisch», «boundaries», «Co-Abhängigkeit » oder «gaslighting» haben ihren Weg aus der Praxis in die Alltagssprache gefunden.

Therapy Speak scheint ausser Kontrolle

Das ist, wie ich finde, auch gut so: Endlich haben wir die passenden Worte, um gewisse Phänomene genau zu beschreiben und zu benennen. Mich ermächtigte das – plötzlich kennt man das Wort für ein Gefühl, das einem mitunter schon seit Jahren begegnet.

Das Problem: Die Therapeut:innen-Sprache, auch Therapy Speak genannt, scheint ausser Kontrolle zu geraten. Und immer öfter nerve ich mich darüber. «Das Lied triggert mich voll!», ächzt etwa ein Bekannter, als er eigentlich sagen will, dass ihm – aus für mich als Swiftie unerklärlichen Gründen – Taylor Swifts «Anti-Hero» auf den Geist geht.

«Er ist so ein toxischer Dude», sagt eine Bekannte, wenn sie von einem Typen erzählt, der ihr viel zu spät auf ihre Nachricht geantwortet hat. Und ob die Frau neben mir im Tram, die am Telefon erzählt, dass sie am Flughafen ewig warten musste, wirklich PTSD davongetragen hat, bezweifle ich also stark.

Wo liegt die echte Grenze?

Klar, man muss nicht alles so ernst nehmen. Und ich bediene mich selbst gerne, auch im Spass, grosszügig der Therapiesprache und musste mich da bremsen. Denn: Wenn alles, was unangenehm «toxisch» ist, alles, was nervt, einen «triggert» und jede Unannehmlichkeit, auf die man keine Lust hat, eine überschrittene «Grenze» ist, – wo liegt dann die echte Grenze?

Und wie benennen wir dann die Dinge, wenn etwas wirklich ein Trigger ist, wirklich eine Trauma-Reaktion, wirklich eine toxische Beziehung? Der übermässige Gebrauch nimmt den Wörtern die Wichtigkeit, für die Momente, in denen man sie tatsächlich braucht.

Normale Probleme vs. psychische Krankheiten

Ich frage mich auch, welche Rolle der heutige Stellenwert von Verletzlichkeit spielt. Wir alle haben Traumata, Wunden, Schatten, die es zu heilen gibt. Doch wenn ich mich durch meine Social-Media-Feeds scrolle, scheint mir, als wären wir dieser Tage regelrecht besessen von Mental Health.

So sagte Frank Jacobi, Professor an der Psychologischen Hochschule Berlin, treffend zur «Zeit»: «Man muss aufpassen, dass man nicht normale Probleme zu psychischen Krankheiten macht.» Genau diese Allgegenwärtigkeit von Themen rund um die psychische Gesundheit zeigt sich auch in unserem Sprachgebrauch.

Therapie-Sprache als Waffe

Verheerend dürfte es dann werden, wenn Leute, die andere kontrollieren wollen, die Therapie-Sprache als Waffe nutzen, um sie mit den Schlagworten zu manipulieren. Ein vermeintlich gutes Beispiel dafür dürfte US-Schauspieler Jonah Hill sein. Der Fall kurbelte den Diskurs um Trauma-Sprache in den vergangenen Wochen an: Die Ex-Freundin des Hollywood-Stars, die Surferin und das Model Sarah Brady, warf ihm emotionale Gewalt vor.

Hill habe Brady gemäss von ihr veröffentlichten SMS vorgeschrieben, wie sie sich zu kleiden und zu verhalten habe. Er begründete , dass dies nun mal seine «Boundary», seine Grenze in einer romantischen Beziehung sei. In diesem Fall wirkt seine «Grenze» also eher wie ein Deckmäntelchen für sein kontrollierendes Verhalten.

Ein sensiblerer Umgang

Zum Glück wissen mehr Menschen über Begriffe aus dem Bereich der psychischen Gesundheit Bescheid – schliesslich können wir Dinge erst angehen, wenn wir sie benannt haben. Dafür appelliere ich, auch bei mir selbst, für einen sensibleren Umgang mit Therapy Speak.

Wir müssen lernen, die Begriffe korrekt anzuwenden – und das braucht Zeit. Sprache wandelt sich schliesslich ständig (kleiner Reminder an dieser Stelle, dass es für einen sehr kurzen Moment cool war, «Yolo» zu sagen). Denn am Flughafen Gate warten zu müssen, ist vielleicht nicht traumatisierend, sondern schlicht und ergreifend doof.

Willst du mit jemandem reden oder kennst du Betroffene, die Hilfe benötigen? Hier findest du Hilfe:

  • Erwachsene können über die Telefonnummer 143 die Dargebotene Hand kontaktieren oder finden Hilfestellung auf der Website 143.ch. Die Angebote sind vertraulich und kostenlos.
  • reden-kann-retten.ch
  • Opferhilfe Schweiz
  • Für Kinder und Jugendliche: Telefon 147, auch per SMS, Chat, E-Mail oder im Internet unter 147.ch
  • Auf Sanasearch, der grössten Therapeut:innenplattform der Schweiz, sind Therapeut:innen gelistet, die von Schweizer Krankenkassen anerkannt sind. Online können direkt Termine gebucht werden.
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Mona

Vielen herzlichen Dank für diesen Artikel