
Serena Williams wirbt für Abnehmspritzen: Ein gefährlicher Kulturwandel
Dass mit Tennisikone Serena Williams neu eine ehemalige Profisportlerin bezahlte Werbebotschafterin für Ozempic und Co. ist, wirft Fragen auf. Redaktorin Sandra Brun über die Gefahren der Verharmlosung von Abnehmspritzen.
- Von: Sandra Brun
- Bild: Ro
Abnehmspritzen haben eine neue globale Botschafterin: Serena Williams. Sie – Tennislegende, 23-fache Grand-Slam-Siegerin, Sportikone – spricht offen darüber, mit GLP-1-Medikamenten endlich ihr Wunschgewicht erreicht zu haben. Und nicht einfach im Freund:innenkreis oder auf Social Media. Sondern in einer gross angelegten Werbekampagne – unter anderem hauswandhoch auf dem New Yorker Times Square zu sehen.
Nach der Geburt ihrer zweiten Tochter habe sie es trotz mehrstündigem täglichem Training und gesunder Ernährung nicht mehr geschafft, ein für sie «gesundes Gewicht» zu erreichen, erklärte sie in der amerikanischen Fernsehsendung «Today».
Dass sie ehrlich damit umgeht, nicht einfach durch Salat und Joggen Gewicht verloren zu haben, wäre an sich ja eigentlich in Ordnung. Ausserdem ist es ihr Körper und was sie mit ihm tut, ist ihre Privatsache. Nur ist sie nun eine bezahlte Werbebotschafterin für die Abnehmspritzen des Telemedizin-Unternehmens Ro. Noch dazu sitzt ihr Ehemann Alexis Ohanian, seines Zeichens Tech-Multimillionär und Reddit-Gründer, im Vorstand und investiert seit dessen Gründung in das Unternehmen.
Abnehmspritzen promotet als Lifestyle-Produkt
Ro dürfte sich die Hände reiben, einen mehrjährigen Werbedeal mit Serena Williams als «Celebrity Patient Ambsassador» abgeschlossen zu haben. CEO Zach Reitano wird gegenüber dem Guardian zitiert, dass sie ausgewählt wurde, weil viele sagen würden, sie brauche doch gar keine Abnehmspritze. «Deswegen ist sie perfekt für die Kampagne», erklärt er weiter. Man kann das so verstehen: Williams hilft als Gesicht für Abnehmspritzen dabei, diese als Lifestyle-Produkt zu promoten – für Menschen, die eben nicht die typischen Patient:innen sind, denen Ozempic und Co. verschrieben wird.
Nach Lifestyle mutet die Hochglanz-Kamapagne definitiv an. Perfekt ausgeleuchtet sieht man Serena Williams auf den Kampagnenbildern und im Werbespot, wie sie sich lächelnd eine Spritze in den Arm oder den Bauch jagt. So casual und harmlos aussehend, als würde sie uns einfach zeigen, wie sie ihren Lippenstift aufträgt oder ihre neusten Fitness-Übungen trackt.
Dabei sind Abnehmspritzen alles andere als harmlos. Die möglichen Nebenwirkungen der noch nicht auf ihre Langzeitwirkung getesteten Medikamente reichen von Schlafstörungen über Magenlähmung bis hin zum Darmverschluss. Eine neuere Studie, publiziert in der Fachzeitschrift «Nature», zeigt ausserdem, dass der Wirkstoff Semaglutid (unter anderen in Ozempic und Wegovy enthalten) das Risiko für Depressionen und Suizidgedanken erhöhen kann.
Dennoch erfreuen sich die Medikamente steigender Beliebtheit: Eine Studie von PricewaterhouseCoopers zeigt auf, dass aktuell zwischen 8 und 10 Prozent der US-Amerikaner:innen GLP-1-Medikamente nehmen, weitere 30 bis 35 Prozent denken darüber nach. Die Nachfrage ist so hoch, dass die ursprünglich gegen Diabetes entwickelten Medikamente kaum ausreichend angeboten werden können. Auch bei Schweizer:innen sind die Spritzen hoch im Kurs: Die Universität Zürich zeigte letzten Sommer in einer Studie auf, dass in der Schweiz pro Kopf mehr Ozempic konsumiert wird, als in den USA, Kanada oder Deutschland.
"Sie ist eine der meistausgezeichneten Sportler:innen aller Zeiten, erfolgreiche Unternehmerin, zweifache Mutter – und dennoch scheint ihr Körper, der all dies erreicht hat, nicht genügt zu haben, solange er nicht dünn war"
Und während die Verbreitung von Abnehmspritzen zweifelsohne einen Einfluss auf unser Schönheitsideal hat, ist es doch fragwürdig, dass gerade für eine ehemalige Spitzensportlerin wie Serena Williams Dünnsein diesen Stellenwert hat. Sie ist eine der meistausgezeichneten Sportler:innen aller Zeiten, erfolgreiche Unternehmerin, zweifache Mutter – und dennoch scheint ihr Körper, der all dies erreicht hat, nicht genügt zu haben, solange er nicht dünn war. Er hat sie an die Weltspitze des Tennis gebracht, Kinder ausgetragen und Menschen auf aller Welt inspiriert – aber er ist nicht so geschrumpft, wie sie es von ihm verlangte.
Das Streben nach Dünnsein unter dem Deckmantel «Gesundheit»
«Ich bin ein sehr gutes Beispiel dafür, wie man alles richtig machen kann – sich gesund ernähren, so viel trainieren, dass man als Profisportlerin das Finale von Wimbledon und den US Open erreicht – und trotzdem nicht abnimmt», sagte sie gegenüber dem amerikanischen Magazin «Women’s Health». Ihre Botschaft ist klar: Sie hatte die Arbeit geleistet, und das Medikament war lediglich das fehlende Puzzleteil. Selbst jemand, der so diszipliniert ist wie Williams, benötigt pharmazeutische Hilfe, um als «supergesund» – aktuell ein sehr beliebtes Synonym für dünn – zu gelten.
Noch immer wird Mehrgewicht negativ assoziiert, mit faul sein, mit ungebildet sein, mit ungesund sein. Kein Wunder also, wird die Abwertung dicker Körper unter dem Vorwand des Gesundheitsbewusstseins aktuell wieder populärer, läuft das Streben nach Dünnsein so stark unter dem Deckmantel «Gesundsein».
Postergirl für weibliche Stärke
Serena Williams gibt der Schlankheitskultur nach, gegen die sie sich einst gewehrt hatte. Sie hat als Schwarze Athletin jahrzehntelang neu definiert, wie weibliche Stärke aussieht: muskulös, stark, unangepasst. Hat toxischen Idealen von Schönheit und Weiblichkeit getrotzt, eine ganze Sportart nach ihrem Willen geformt. Das musste sie sich erkämpfen, immer wieder wurde ihr Körper abgewertet; als zu männlich, zu kräftig, zu wuchtig beschimpft.
Zudem ist sie als Woman of Color klar von Misogynoir – der Mischung aus Sexismus und Rassismus – betroffen und kämpfte ihre ganze Karriere lang dagegen an. Es gibt Stimmen, die nun argumentieren, dass ihre Entscheidung, diese Kampagne anzuführen, im Kontext eines Lebens verstanden werden muss, das sie konstant unter der strengen Beobachtung ihres Körpers verbracht hat.
"Schwierig wird es, wenn wir unseren Körpern absprechen, dass sie sich wandeln wandeln dürfen"
Und natürlich hat Serena Williams das Recht, über ihren Körper selbstbestimmt zu entscheiden. Gewicht zuzunehmen, zu verlieren, sich zu verändern. Nur wird es schwierig, wenn wir unseren Körpern absprechen, dass sie genau dies tun dürfen: sich wandeln. Weil wir älter werden, weil wir Kinder bekommen, weil sich unser Stoffwechsel ändert, unsere Hormone. Die Idee, dass sich verändernde Körper ein Problem sind, dass man lösen muss, hält uns alle gefangen in einem unerbittlichen Verbesserungszyklus, dessen Ende – makellos, also für immer jung und superdünn sein – wir gar nie erreichen können.
Problematisch wird es, wenn uns diese shiny Kampagne einen Kulturwandel in eine Zukunft aufzeigt, in der Abnehmspritzen so zwanglos und hübsch vermarktet werden, wie Make-up. Wenn private medizinische Entscheidungen verpackt werden als Werbung. Und Dünnsein nicht mehr ein fragwürdiges Ideal ist, sondern eine Erwartung wird, für die man sich bei Ärzt:innen ganz entspannt ein Rezept holen kann.
Ich stimme zu dass diese Werbung nicht ok ist. Das sind schliesslich Medikamente und sollten nicht als “Lifestyle” Produkte vermarktet werden. Aber mir fehlt eine Berichterstattung über die Kehrseite der Medaille – die Hoffnung, die Ozempic, Wegovy und Co. für Menschen mit Adipositas bedeuten. Menschen wie mich. Adipositas ist eine Krankheit und die Medikamente ein Weg, diese endlich zu behandeln. Und das hat nichts mit Schönheitsideal zu tun. Menschen mit Adipositas sind weder faul noch willensschwach. Und trotzdem trauen wir uns kaum zu erwähnen, wenn wir das Medikament endlich bekommen. Aus Angst, von der Gesellschaft nun auch noch deswegen gemobbt zu werden und nicht nur wegen unserer ohnehin schon anderer Körper. Und wenn wir dann Gewicht verlieren und ehrlich sagen, dass es dank eines Medikamentes war – dann bekommen wir ein abschätziges Lächeln, wir haben schliesslich nichts für den Umstand getan und haben es darum irgendwie auch nicht verdient. Aber würde man einem Krebspatienten das Medikament zur Heilung missgönnen? Warum missgönnt man es dann jemandem mit einem anderen Krankheitsbild? Bitte berichtet nicht nur immer über die negativen Aspekte. Berichtet auch über die Hoffnung und Heilung.
Man muß sich ernsthaft fragen, was in aller Welt so extrem schiefgelaufen ist, das Mediakmente für Krebspatienten mit Lifestyle Produkten verglichen werden bzw. in eine Waagschale gelegt werden. Da fehlen einem wirklich die Worte.
Darum geht es ja gerade: Dass viele, die das Medikament aus gesundheitlichen Gründen benötigen, es nicht mehr bekommen, weil es “ausverkauft” ist und von Leuten verwendet wird, die es gar nicht brauchen.
Hallo Anita, freue mich für Dich, dass Dir das Medikament hilft. Weiter so. Ich verstehe Dich. Nur ich lese den Artikel anders und glaube so, wie er gedacht ist. Steht auch schon so in der Einleitung. Also, die “Redakteurin Sandra Brun will über “die Gefahren der Verharmlosung von Abnehmspritzen” sprechen. Das tut sie dann auch. Es geht ihr ihrem Artikel nicht um die durchweg positiven Effekte der Medikamente für adipöse Menschen und ihrem chronischen Leiden. Und ich kann auch nicht Deiner Behauptung von “immer über die negativen Aspekte reden” ganz folgen. Ich nehme die Berichtserstattung durchaus differenzierter wahr”. Ich lese hier klar und deutlich eine ernsthafte Betrachtung der Folgen für Menschen, die dieses Medikament in ein Licht der ernsthaften Betrachtung rücken sollten. Denn Werbung wie diese mit solch zweifelhaften Werbefiguren, die eh in Geld und mir völlig fremden Sphären schwimmen, sind Botschafter für ein Schönheitsideal, dass mehrheitlich Menschen in Wohlstandgesellschaften betrifft und Ihnen ein Schönheitsideal verkaufen will, das nicht realistisch ist -denn nicht alle haben so viel Geld oder eine Krankenversicherung wie die Deutschen. Und, es geht um ein Schönheitsideal und nicht um die Erkrankung an sich.
Völlig richtig!
Richtig, Menschen mit stärkerer Adipositas sollten Ozempic & Co. bekommen. Ist eine echte Chance für sie.
Aber sie als Lifestyle-Produkte zu promoten oder zu schnell zum Rezeptblock zu greifen, sodass für wirklich Adipöse und – wie in meinem Fall Diabetiker – immer wieder Engpässe entstehen und wir Schwierigkeiten haben, an die Medikamente zu kommen, ist definitiv nicht Sinn der Sache.
Außerdem besteht die Gefahr, dass sich durch den freizügigen Umgang mit diesen Spritzen Menschen untergewichtig spritzen und einem falschen, Anorexie & Co. fördernden Schönheitsideal Vorschub leisten.