Gesundheit
Mental Health von Kindern: Zeit heilt Wunden nicht, sondern verschlimmert sie
- Text: Helene Aecherli
- Symbolbild: Stocksy
Kinder mit einer psychischen Störung müssen oft monatelang auf einen Behandlungstermin warten. Für Kinder und deren Eltern eine unerträgliche Situation. Es muss sofort gehandelt werden, schreibt Autorin Helene Aecherli in ihrem Kommentar.
Dieser Artikel ist erstmalig im Mai 2023 erschienen.
Inhaltshinweis: Suizid
Die Zahlen sind verstörend: Gemäss des Bundesamts für Statistik haben allein zwischen 2020 und 2021 die stationären Spitalaufenthalte wegen psychischer Störungen bei den 10- bis 24-Jährigen um 26 Prozent zugenommen, die ambulanten psychiatrischen Behandlungen im Spital um 19 Prozent. Tendenz steigend.
Die Helpline 147 der Pro Juventute verzeichnet bis zu acht Beratungen wegen Suizidgedanken pro Tag, fast doppelt so viele wie vor der Corona-Pandemie – ein trauriger Rekord.
Fachleute sprechen von einer «Multikrise»
Über die Gründe, weshalb psychische Störungen bei jungen Menschen gerade jetzt fast schon epidemische Ausmasse annehmen, lässt sich derzeit nur mutmassen. Fachleute sprechen von einer «Multikrise», von verschiedenen, sich überlappenden Krisen – Corona-Pandemie, Klimakrise, Ukraine-Krieg –, die, potenziert durch Social-Media-Konsum, Leistungsdruck und nicht zuletzt auch durch die Pubertät, auf die kindliche Psyche treffen.
Ein Faktor wird dabei aber kaum ins Feld geführt: Die «überlastete Versorgungskette», wie es Pro Juventute formuliert. Konkret, die langen Wartezeiten für eine psychiatrische Behandlung oder ein Therapiegespräch. Sie drohen, zum Treiber der Multikrise zu werden.
Wartezeiten von bis zu sechs Monaten
Aktuell vermelden Kinder- und Jugendpsychiatrische Dienste (KJPDs) Wartezeiten von bis zu sechs Monaten für einen Termin – für viele betroffene Kinder und deren Eltern eine unerträgliche Situation. «Wir haben keinen Plan, was wir tun können», sagt mir ein Vater, dessen 12-jährige Tochter an Panikattacken leidet, sich seit Wochen kaum mehr aus dem Haus wagt und nur noch sporadisch zur Schule geht.
Er und seine Frau wechseln sich mit Homeoffice ab, verschieben Termine, sind so ratlos wie verzweifelt: «Wir fühlen uns total allein gelassen.»
Kinderpsychiatrie steht in der Hierarchie ganz unten
Die Engpässe in den kinderpsychiatrischen Diensten der Schweiz sind seit Jahren bekannt. Doch die Kinderpsychiatrie steht in der medizinischen Hierarchie ganz unten, Kinderpsychiater:innen verdienen schlechter als alle anderen Ärzte. Ergo fehlt es an Fachkräften. Zudem werde die psychische Gesundheit bei Kindern noch immer tabuisiert, so Lulzana Musliu, Leiterin Politik und Medien von Pro Juventute.
Angst- und Erschöpfungszustände würden oftmals nicht erkannt oder gar verniedlicht, fragile Kinder als «Sensibelchen» oder «Schneeflöckli» bezeichnet; eine Haltung, die sich in der Unterfinanzierung von psychiatrischen Ambulatorien, Kinder- und Jugendberatungsstellen sowie der Schulsozialarbeit niederschlägt.
Kinder gelten zwar als gesellschaftlicher Segen, sichern sie doch deren Überleben, aber soll die öffentliche Hand Geld ausgeben, ist ihre Lobby schwach. Dies grenzt an unterlassene Hilfeleistung, möglicherweise sogar an einen Verstoss gegen das Recht des Kindes auf eine gesunde Entwicklung.
Es braucht mehr ambulante Behandlungsplätze
Um die akute Notlage zu lindern, muss deshalb sofort gehandelt werden. Es braucht mehr ambulante Behandlungsplätze und Therapeut:innen, die, wenn es nicht anders geht, zum Kind nach Hause kommen. Es braucht vertiefte Studien zu den Ursachen der psychischen Störungen und entsprechende Präventions- und Früherkennungsmassnahmen.
Dringend ist jedoch allem voran eine nationale Informationskampagne in Zusammenarbeit mit Kinder- und Jugendpsychiatrischen Diensten und Schulen zu Fragen wie: Was können die Angehörigen tun, um ihrem Kind zu helfen, während es auf einen Termin wartet? Wie organisieren sich Lehrpersonen und Eltern, wenn das Kind nicht zur Schule kann? Welche Entlastungsmöglichkeiten gibt es für Mütter und Väter – auch von Seiten der Arbeitgebenden?
Tatsache ist: Je schneller betroffene Kinder Unterstützung bekommen, desto besser die Prognosen. Denn Zeit heilt bei psychischen Störungen keine Wunden, sondern verschlimmert sie.
Hast du Suizidgedanken, willst du mit jemandem reden oder kennst du Betroffene, die Hilfe benötigen? Hier findest du Hilfe:
- Erwachsene können über die Telefonnummer 143 die Dargebotene Hand kontaktieren oder finden Hilfestellung auf der Website 143.ch. Die Angebote sind vertraulich und kostenlos.
- Crisis support in English: heart2heart.143.ch
- reden-kann-retten.ch
- Opferhilfe Schweiz
- Für Kinder und Jugendliche: Telefon 147, auch per SMS, Chat, E-Mail oder im Internet unter 147.ch
Heute wachsen die Kinder in unserer wohlstandsverwöhnten Welt, in einer so nie dagewesenen Komplexität, auf.
Die grundlegenden Bedürfnisse sind für uns Menschen aber immer noch die gleichen, wie seit ewiger Zeit….
Angebote zur Hilfe (zum Bespiel für die Überbrückung der Wartezeiten) gibt es genug. Aber die meisten Menschen kümmern sich nicht darum und informieren sich nicht.
Jubeltrubeltrallala gibt es an jeder Ecke und wird ja auch bedient und gefördert. Währenddessen die Hilfsangebote eher ruhig daherkommen. Aber ich glaube nicht, dass unsere sauglattismus Gesellschaft das ändern möchte…..
der meinung bin ich auch: den kindern geht es viel zu gut, dabei stehen die eltern in der verantwortung sie auf den boden der tatsachen zurück zu holen indem man sie auch im haushalt mehr mit einbindet, konsequent härtere strafen verhängt wie hausarrest und es nicht immer nur androht und wenn alle stricke reißen zum psychiater geht damit sie antidepressiva bekommen können. diese mittel haben bisher jedes kind unter kontrolle gebracht. zum einstellen geht es halt einige wochen in die psychatrie.
Genau auf dem Punkt getroffen.