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Inkontinenz: «Wir müssen das Thema enttabuisieren»

Inkontinenz: «Wir müssen das Thema enttabuisieren»

Rund 560 000 Menschen in der Schweiz können ihren Urin nicht halten. Doch was kann man gegen Inkontinenz tun? Wir haben mit Karin Kuhn, Geschäftsführerin der Schweizerischen Gesellschaft für Blasenschwäche, über das tabuisierte Leiden gesprochen.

Annabelle: Frau Kuhn, was heisst es für Betroffene, inkontinent zu sein?
Karin Kuhn: Inkontinenz stellt für Betroffene einen grossen Leidensgrund dar, da das Thema für sie mit sehr viel Scham behaftet ist – wie so oft bei Ausscheidungen von Körperflüssigkeiten. Da sie ihre Blase nicht kontrollieren können, fühlen sich Betroffene häufig ins unmündige Kleinkindalter zurückversetzt. Oft tragen diese Personen dunkle Kleidung, damit man keine Flecken sieht, oder haben Angst vor unangenehmen Gerüchen in der Öffentlichkeit.

Nicht selten stossen Betroffene in ihrem privaten und beruflichen Umfeld aufgrund ihrer Inkontinenz auf Unverständnis. Ich rate immer, sich aktiv Hilfe von einer Fachperson zu suchen. Man ist nicht allein – je schneller man darüber redet, desto schneller lässt sich eine passende Lösung finden.

Die zwei häufigsten Inkontinenzformen sind die Belastungsinkontinenz und die hyperaktive Blase. Was sind die Ursachen?
Die Ursachen der Belastungsinkontinenz können eine geschwächte Beckenbodenmuskulatur nach Schwangerschaften und Geburten sein oder durch die hormonelle Umstellung während der Wechseljahre hervorgerufen werden. Ein geschwächtes Bindegewebe, chronischer Husten, das Heben von schweren Lasten und Verstopfung können den Beckenboden ebenfalls schwächen. Die Folgen sind geringe Mengen an Harnverlust durch den erhöhten Druck auf die Blase wie beispielsweise beim Laufen, Springen, Heben, Lachen, Niesen oder Husten.

Und bei der hyperaktiven Blase?
Die hyperaktive Blase hat ihre Ursache im Zusammenspiel von Blase und Gehirn. Der Blasenmuskel zieht sich unkontrolliert zusammen, obwohl die Blase noch nicht richtig gefüllt ist. Die Betroffenen verspüren vielfach einen heftigen Harndrang ohne oder mit nur kurzer Vorwarnzeit, müssen für kleine Urinmengen sehr häufig auf die Toilette gehen oder verlieren unkontrolliert Urin. Beide Formen, sowohl die Belastungsinkontinenz als auch die hyperaktive Blase, können auch gleichzeitig auftreten.

 

 

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«Wir raten jungen Frauen, vorbeugend ihren Beckenboden zu trainieren»

Was kann gegen Inkontinenz helfen?
Bei der Behandlung von Belastungsinkontinenz ist das regelmässige Training des Beckenbodens am wichtigsten. Mit einer Fachperson lernen Betroffene anhand von Übungen, den Beckenboden bewusst anzuspannen und loszulassen. Wir raten jungen Frauen, schon vorbeugend ihren Beckenboden zu trainieren, um ein Gespür für den Muskel zu kriegen. Bei der Behandlung der hyperaktiven Blase wird ein Trink- und Blasentraining gemacht. Weiter können blasenentspannende Medikamente das Leben der Betroffenen vereinfachen.

Gibt es weitere Massnahmen?
Ein weiterer medizinischer Eingriff ist, Botox in die Blasenwand zu spritzen. Somit entspannt sich die Blase für einige Monate und zieht sich nicht mehr unkontrolliert zusammen. Als letzte Option könnte ein Beckenbodenschrittmacher helfen, die Blase zu kontrollieren. Es wird eine Elektrode mit einem kleinen implantierbaren Neurostimulator verbunden, der im oberen Gesässbereich unter der Haut platziert wird, wo er praktisch kaum stört und kosmetisch unauffällig ist. Man kann nicht jede Form der Blasenschwäche heilen, aber die Lebensqualität der Betroffenen um einiges verbessern.

Welche Mythen gibt es um das Thema Inkontinenz?
Von Inkontinenz sind auch junge Menschen betroffen und nicht selten Männer! Auch für sie gibt es Beckenbodenübungen. Ausserdem sollte man auf keinen Fall den Harnstrahl während dem Urinlassen stoppen, das belastet den Beckenboden. Und: Aus Angst, noch mehr auf die Toilette zu müssen, nehmen Betroffene viel weniger Flüssigkeiten zu sich. Dabei sollten sie weiterhin einen bis zwei Liter Wasser am Tag trinken, jedoch wenn möglich Kaffee, Alkohol, Kohlensäure oder Vitamin C reduzieren. Wir müssen offen über Inkontinenz sprechen, um das Thema zu enttabuisieren und Mythen aufzudecken.

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6 Tipps gegen Inkontinenz

Quelle: Broschüre Blasen- und Beckenbodentraining von der Schweizerischen Gesellschaft für Blasenschwäche

1.

1.

Nimm dir Zeit auf der Toilette.

2.

2.

Sorge beim Sitzen auf der Toilette für eine gute Unterstützung der Oberschenkel: Stelle die Füsse auf dem Boden oder einer Fussbank ab.

3.

3.

Achte darauf, dass du deine Blase jedes Mal vollständig entleerst.

4.

4.

Übe beim Wasserlassen keinen Druck auf die Blase aus.

5.

5.

Falls kein Urin mehr kommt, stehe auf, gehe ein wenig und versuche dann erneut, Wasser zu lassen.

6.

6.

Um den Harndrang bis zum Toilettengang zu unterdrücken, hilft es, sich an etwas festzuhalten, z. B. einem Türrahmen, und sich mit angespannten Wadenmuskeln auf die Zehenspitzen zu stellen.

Die Schweizerische Gesellschaft für Blasenschwäche möchte Betroffene und Familienangehörige sowie andere interessierte Personen über die verschiedenen Ursachen, Formen und Behandlungen von Blasenschwäche informieren und beraten. Nach einem telefonischen Erstgespräch wissen die betroffene Personen, an welche Fachpersonen aus der Gynäkologie, Urologie oder Geriatrie sie sich wenden sollen. Weitere Infos gibt es unter www.inkontinex.ch oder [email protected].

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