Gesundheit
Hirnforscher erklärt: So kommt ihr aus negativen Gedankenkreisen raus
- Text: Franziska Wolffheim
- Bild: Stocksy
Happy World Mental Health Day! Zum heutigen Welttag für psychische Gesundheit erklärt der Hirnforscher Stefan Kölsch, warum es so schwierig ist, gute Gefühle höher zu gewichten als Angst und Kummer – und was dagegen hilft.
annabelle: Stefan Kölsch, Sie schreiben in Ihrem neuen Buch, dass wir oft in negativen Gedankenschleifen festhängen. Was ist eine typische Schleife?
Stefan Kölsch: Ich hatte heute Morgen einen unvorhergesehenen Arzttermin, und in solch einer Situation zündet das Unterbewusste rasch Sorgen darüber, was dabei herauskommt oder ob ich es pünktlich zum Interview schaffe. Wenn man dies erkennt, kann man etwas dagegen unternehmen und ist dann weniger gestresst.
Es ist aber doch normal, sich in so einer Situation angespannt zu fühlen.
Sicherlich. Das Problem ist nur, dass unser Unterbewusstes sehr stark auf negative Erlebnisse reagiert und deren Wichtigkeit übertreibt – unsere Anspannung ist dann unverhältnismässig. Gleiches gilt für negative Gefühle wie Ärger, Sorgen, Frust oder Ängste, sie wiegen doppelt so schwer wie positive Gefühle und Erfahrungen, die wir machen. Unser Unterbewusstsein ist leider sehr gut darin, solche Fallstricke aufzubauen.
«Unser Unterbewusstsein wiegt Ärger, Sorgen, Frust oder Ängste doppelt so schwer wie positive Gefühle und Erfahrungen»
Woran liegt es, dass das Unterbewusste einen Negativ-Filter über unsere Wahrnehmung legt?
Das ist evolutionär bedingt. Unser Unterbewusstsein ist ein Überlebenssystem, das stark auf drohenden Verlust reagiert, vor allem auf den möglichen Verlust unseres Lebens. In Gefahrensituationen wird unser Gehirn blitzschnell vom Unterbewusstsein gekapert. Wenn zum Beispiel ein Panther aus dem Gebüsch springt, übernimmt es sofort das Steuer, um uns aus dieser Situation zu retten. Damals im Urwald war das durchaus sinnvoll, aber in unserem modernen Leben gibt es kaum vergleichbare Situationen. Trotzdem schlägt das Unterbewusstsein immer noch stark an, wenn eine Situation kritisch sein könnte, dadurch werden Erlebnisse dramatischer gemacht, als sie eigentlich sind. Man nennt das auch Negativitätseffekt.
Gibt es diesen Effekt auch in einer Paarbeziehung, hadern wir da auch ewig, wenn das Gegenüber etwas Dummes macht oder zu uns sagt?
Ja. Ein Partner mag zehn positive Eigenschaften haben, aber die eine negative Eigenheit, die uns nicht passt, reizt unser Unterbewusstes immer wieder und führt schlimmstenfalls irgendwann zur Scheidung. Sogar bei banalen Dingen schlägt unser Unterbewusstsein Alarm – etwa wenn der Partner ständig in der Wohnung das Licht brennen lässt. Wichtig ist, sich diesen Mechanismus klar zu machen und die vielen positiven Eigenheiten des Partners bewusst nicht aus den Augen zu verlieren.
Was können wir tun, wenn wir aus negativen Gefühlsschleifen wie Beziehungsärger oder Traurigkeit einfach nicht herauskommen?
Der erste Schritt ist, die negative Emotion überhaupt erst einmal bewusst zu erkennen und zu benennen. Im zweiten Schritt können wir uns dann dazu entscheiden, ruhig zu bleiben und zu entspannen …
… lässt sich das denn entscheiden?
Ja. Eine einfache Massnahme ist zunächst, ruhig und tief durchzuatmen. Dann kann ich zum Beispiel meinen Ärgergefühlen sagen «Ich habe jetzt keine Zeit für euch» und mich ganz bewusst auf die Tätigkeit konzentrieren, die ich gerade mache, das kann eine Arbeit oder sogar der Abwasch sein. Sobald ich merke, dass ein negatives Gefühl von neuem hochsteigt, lenke ich meine Aufmerksamkeit wieder auf meine Tätigkeit. Fast alles, was man macht, lässt sich mit Konzentration und meditativer Ruhe ausführen, ich nenne das auch Medi-Working.
Klingt leichter, als es ist.
Wir alle müssen unser ganzes Leben lang üben, unsere Emotionen zu kontrollieren, bevor sie uns kontrollieren. Aber es lohnt sich dranzubleiben. Je öfter wir dies tun, umso leichter wird es, und wir werden insgesamt glücklicher, weil unser Unterbewusstes weniger «bad vibrations» produziert.
«Ständige Selbstverurteilungen sind Gift für die Gesundheit»
Warum sind negative Schwingungen eigentlich so schlecht für uns? Es kann doch auch Spass machen, Rachefantasien auszukosten.
Wenn wir «bad vibrations» nicht öfter abschalten, ständig in Alarmbereitschaft sind, schaden wir auf Dauer unserer Gesundheit, das gilt auch für Feindseligkeit oder gar Rachegedanken. Das Unterbewusste steuert unsere Hormone und das vegetative Nervensystem. Nehmen die negativen Gefühle überhand, geraten die Hormone und das Nervensystem aus dem Gleichgewicht. Das führt dazu, dass Stresshormone und Blutdruck ansteigen, unsere inneren Organe überlastet werden, die Regeneration kommt zu kurz. Auch ständige Selbstverurteilungen sind übrigens Gift für die Gesundheit.
Sind wir bei uns selbst eigentlich gnädiger, wenn wir den Negativ-Filter auflegen?
Leider sind viele von uns sehr gut darin, sich selbst herunterzumachen und sich für Fehler zu kasteien. Selbst wenn wir im Leben viel erreicht haben, fehlt uns immer noch etwas. Meist hat das mit Erwartungen und Forderungen zu tun, die wir aus unserer Kindheit mitschleppen und verinnerlicht haben. Auch hier lohnt es sich, achtsam zu sein und auf die Stopp-Taste zu drücken, wenn wir wieder einmal Selbst-Bashing betreiben.
Kennen Sie selbst das auch?
Ich selbst habe vor meinem Psychologie-Studium professionell Geige gespielt. Dabei habe ich mir das Üben immer wieder madig gemacht mit Sätzen wie: «Du bist zu langsam, die anderen können das besser als du.» Jetzt ist das Geigenspiel für mich ein Hobby, und ich achte sehr genau darauf, mich nicht mit negativen Bewertungen zu belasten. Es ist für mich wie eine Achtsamkeitsübung. Hätte ich das damals schon gemacht, hätte ich viel mehr Spass gehabt.
Stefan Kölsch ist ein deutsch-amerikanischnorwegischer Hirnforscher. Sein Buch «Die dunkle Seite des Gehirns. Wie wir unser Unterbewusstes überlisten und negative Gedankenschleifen ausschalten» ist im Ullstein-Verlag erschienen, 384 Seiten, ca. 37 Fr.
Willst du mit jemandem reden oder kennst du Betroffene, die Hilfe benötigen? Hier findest du Hilfe und Infos:
- Erwachsene können über die Telefonnummer 143 die Dargebotene Hand kontaktieren oder finden Hilfestellung auf der Website 143.ch. Die Angebote sind vertraulich und kostenlos.
- reden-kann-retten.ch
- Opferhilfe Schweiz
- Für Kinder und Jugendliche: Telefon 147, auch per SMS, Chat, E-Mail oder im Internet unter 147.ch